"Das sind wir den Opfern schuldig"
Bundeskanzlerin Merkel besuchte das ehemalige Stasi-Gefängnis Hohenschönhausen und sicherte der Gedenkstätte weitere Hilfen zu



Bis zum Ende der DDR existierten auf dem hermetisch abgeriegelten Gelände zwischen Elfgeschossern und Kleingärten verschiedene Abteilungen des MfS, darunter auch eine auf Fälschung von Dokumenten spezialisierte Einheit. Insgesamt nahm die "Stasi-Stadt" eine Fläche von 34 000 Quadratmetern ein, wobei auf den Gefängniskomplex rund 18 000 Quadratmeter entfielen.



4,5 Millionen Besucher kamen seit 1995 in das ehemalige Stasi-Untersuchungsgefängnis Berlin-Hohenschönhausen, das nach 1945 vom sowjetische Geheimdienst als "Speziallager Nr. 3" für Nazis und Kriegsverbrecher und solche, die dafür gehalten wurden, eingerichtet wurde und schon bald an die DDR übergeben wurde.



Die Gänge und Zellen im Gefängnistrakt sind original erhalten, doch müssen sie saniert und restauriert werden. Mit den Baumaßnahmen sollen auch neue Räume für Ausstellungen und Seminare gewonnen werden.



Wer in solchen Zimmern seinen Vernehmern gegenüber saß, war ermüdenden und zermürbenden Verhören ausgesetzt. Zahllose Stasi-Akten entgingen der Vernichtung. Sie erzählen authentisch, wie die Geheimpolizei und die DDR-Justiz ihre Opfer behandelte.



Im Original erhalten ist das Dienstzimmer des Gefängnisdirektors, der zugleich Leiter der zentralen Gefängnisabteilung XIV des MfS mit 18 Referaten und 255 Mitarbeitern war.



Durch Wachtürme und andere Bauten sowie Stachel- und Elektrodraht gesichert, war ein Entkommen aus dem Stasiknast nicht möglich. Das ganze Areal war auf DDR-Landkarten grün markiert. Erst nach dem Ende der SED-Herrschaft kam die ganze Wahrheit über das streng gesicherte Stasi-Städten ans Tageslicht. (Fotos: Caspar)

Bundeskanzlerin Merkel besuchte am 11. August 2017 die Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, um sich über die geplante Baumaßnahmen zu informieren und Opfer des SED-Regimes zu ehren. In dem zentralen Untersuchungsgefängnis der DDR-Staatssicherheit waren mehr als 11.000 Menschen inhaftiert. Ihnen wurde so genannte Boykotthetze und staatsfeindliche Verbindungsaufnahme, Spionage, versuchte Republikflucht, die Bildung von oppositionellen Gruppen und ähnliches vorgeworfen, was zu monatelanger und quälender Haft in der "verbotenen Stadt" im Ostberliner Bezirk Lichtenberg führte. Manchmal hatte schon das Erzählen von politischen Witzen oder wenn sich jemand über den "Spitzbart" Walter Ulbricht und seine Genossen lustig machte, die Haft im Stasi-Knast Hohenschönhausen zur Folge. Viele Opfer des DDR-Geheimdienstes und der Justiz waren denunziert worden, manchen waren eingeliefert worden, weil sie den Mächtigen in Partei und Regierung zu nahe gekommen waren.

Nach der Begrüßung der Bundeskanzlerin durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, Monika Grütters, und den Direktor Hubertus Knabe am Eingangstor besichtigte die Bundeskanzlerin ehemalige Hafträume und eine Freigangzelle, die saniert werden sollen. Für fast neun Millionen Euro wird das frühere Gefängnis des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR "ertüchtigt", um es weiterhin als Denkmal und Museumsstätte zu bewahren. Merkel sprach mit dem Zeitzeugen Arno Drefke, von 1953 bis 1962 wegen Militär- und Wirtschaftsspionage und als Kurier für den Bund Deutscher Jugend verurteilt war und in Hohenschönhausen Konstruktionsunterlagen für den Bau der Berliner Mau erstellen musste. Beide legten an einem Gedenkstein einen Kranz für die Opfer kommunistischer Gewaltherrschaft nieder. Der Besuch schloss mit der Besichtigung der Dauerausstellung "Inhaftiert in Hohenschönhausen" ab, die zahlreiche eindrucksvolle Zeugnisse und Dokumente über den Stasi-Terror in dem Gefängnis zeigt und auch schildert, was aus Mielkes Wachmannschaften geworden ist und welch komfortables Leben manche Stasileute bis heute in der Umgebung ihrer ehemaligen Arbeitsstätte führen, ohne dass ihnen ein Haar gekrümmt wurde.

Weitere Hilfen zugesichert

Nach dem Rundgang zwei Tage vor dem 56. Jahrestag des Mauerbaus am 13. August 1961 mahnte die Kanzlerin, das DDR-Unrecht niemals zu vergessen. "Wir können nur eine gute Zukunft gestalten, wenn wir uns der Vergangenheit annehmen", sagte sie. Ähnlich klang ihr Bekenntnis 2009, als sie bei ihrem Besuch im früheren Stasi-Gefängnis erklärte: "Es ist wichtig, dass dieses Kapitel der DDR-Diktatur nicht ausgeblendet und nicht vergessen wird". Der Bund werde sich weiter engagieren, versprach Merkel, um die Erinnerung an authentischen Orten wie Hohenschönhausen offen zu halten. Die Finanzierung der Baumaßnahmen in der von Interessenten aus Deutschland und der Welt vielbesuchten Gedenkstätte erfolgt je zur Hälfte durch den Bund und das Land Berlin. 1994 gegründet und unter Denkmalschutz stehend, verzeichnet sie bis heute rund 4,5 Millionen Besucher. Bei der gleichen Gelegenheit erklärte auch Monika Grütters, für die Bundesregierung bleibe es ein Anliegen und eine Verpflichtung, authentische Orte des SED-Unrechtsregimes wie das zentrale Untersuchungsgefängnis Hohenschönhausen als Mahnung für die Zukunft und als Ort der Auseinandersetzung mit unserer Geschichte zu erhalten. "Es macht mich traurig und wütend, mit welchen Methoden die Stasi Menschen verfolgte, die sich dem Machtanspruch der SED-Diktatur nicht unterwerfen wollten. Es gab willkürliche und politisch motivierte Verhaftungen, Gerichtsverfahren ohne rechtsstaatliche Standards und oft langjährige Haftstrafen. Für viele war die zentrale Untersuchungshaftanstalt des MfS in Hohenschönhausen der Beginn einer langen Leidenszeit." Wir seien es diesen vielen Opfern und ihren Angehörigen schuldig, die Erinnerung an das Unrecht wach zu halten. Dabei sei es vor allem wichtig, der jungen Generation die damaligen Ereignisse nachhaltig zu vermitteln und ihnen den Wert unserer Demokratie zu verdeutlichen. "Die Gedenkstätte Berlin Hohenschönhausen nimmt hier einen zentralen Platz ein. Bund und Land stellen die Mittel für die notwendigen Umbau- und Sanierungsmaßnahmen der Gedenkstätte gern zur Verfügung. Wir knüpfen damit an den ersten Bauabschnitt an, in dessen Rahmen auch die wichtige Dauerausstellung zur Haft in Hohenschönhausen realisiert werden konnte."

Neue Räume für Ausstellungen und Seminare

Während der 2013 abgeschlossene erste Bauabschnitt, der vor allem dem noch aus der Nazizeit stammenden, damals als Küche der NS-Volkswohlfahrt beziehungsweise nach Kriegsende 1945 als sowjetisches "Speziallager Nr. 3" genutzten Altbau galt, umfasst der zweite Bauabschnitt vor allem den Gefängnisneubau aus den 1960-er Jahren mit dem Zellen- und Vernehmertrakt, die Freigangzellen und das Haftkrankenhaus. Bis voraussichtlich Herbst 2019 sollen unter anderem alle historischen Oberflächen und Räumlichkeiten denkmalgerecht saniert und, wenn möglich, rekonstruiert werden. Dass bei der Gelegenheit neue museale Bereiche und Seminarräume eingerichtet werden, wird von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Gedenkstätteleiter begrüßt.

Der Direktor der Gedenkstätte im ehemaligen Stasi-Gefängnis Berlin-Hohenschönhausen, Hubertus Knabe, mahnt mehr Forschung über die politische Justiz und ihre Opfer in der DDR an. Bis heute sei nicht klar, wie viele Menschen aus politischen Gründen in den über die ganze DDR verteilten Haftanstalten saßen. Aus sei die Zahl derer nicht genau bekannt, die den unmenschlichen Haftbedingungen erlagen. Knabe betonte, diese Dinge seien nur mit enormem Aufwand zu erforschen. Die Universitäten hätten das Interesse an dem Thema aber verloren. Er kündigte an, ein entsprechendes Forschungsprojekt zu beantragen.

System von Zuckerbrot und Peitsche

Wer die Gedenkstätte im ehemaligen Untersuchungsgefängnis besucht, braucht beim Anblick der Hinterlassenschaften der Stasi und der DDR-Justiz starke Nerven. Was man beim Besuch von Minister Mielkes Amtsräumen an der Normannenstraße/Ruschestraße in Lichtenberg erfährt, vertieft ein paar Kilometer weiter der weitgehend im Original erhalte gebliebenen Stasi-Knast an der Genslerstraße. Zu sehen sind dort die ober- und unterirdischen Haft- und Verhörräume einschließlich der so oben vergitterten Tigerkäfige, in denen sich Häftlinge ab und die Füße vertreten konnten. Er landete im berüchtigten Stasi-Gefängnis in Berlin-Hohenschönhausen. Arno Drefke, der Zeitzeuge, verbrachte vier Monate im sogenannten U-Boot und saß dort völlig abgeschottet in Einzelhaft. "Tag und Nacht war dort Licht, es herrschte absolute Ruhe und nur die Riegel an der Zellentür klackten laut. Zellen waren strahlend weiß, kein Farbtupfer lenkte das Auge ab. Ich durfte nur mit meinem Vernehmer sprechen, und der war mein größter Feind", sagt Drefke. Drei Tage wurde er mit Nachtverhören gefoltert. Dann sagte und unterschrieb er alles, egal, was davon der Wahrheit entsprach. "Sie haben mich fertig gemacht."

Der Alltag im Stasiknast war nach dem System "Zuckerbrot und Peitsche" organisiert, wie man in der Dokumentation aus dem Mund von ehemaligen Häftlingen erfährt, die auf Monitoren ihre Erlebnisse auf Bildschirmen schildern. Drohungen und Lockangebote, Anbiederung und brutaler Terror wechselten sich ab. Zwar verzichtete die Stasi auf die in der Sowjetunion nach Stalinscher Manier praktizierte Folter und - mit einigen Ausnahmen - auf die Todesstrafe. Die Behandlungs- und Verhörmethoden wurden im Laufe der Jahrzehnte subtiler und gingen zur psychischen "Bearbeitung" der Gefangenen über, die in totaler Isolierung gehalten und im Unklaren darüber gelassen wurden, was aus ihren Familien geworden ist und ganz allgemein was in der Außenwelt passiert. Die Verhöroffiziere versuchten, Häftlinge durch "Freundlichkeiten" wie besseres Essen, Zigaretten und gutes Zureden, aber auch durch erlogene Nachrichten aus den Familien oder dem Freundeskreis gesprächig zu machen. Wichtig waren für die Stasileute stets Namen und Adressen von "Komplizen", die dann Grundlage weiterer Ermittlungen bildeten. Ebenso wurde mit allen Mitteln versucht, den Gefangenen "Geständnisse" abzupressen. An den Häftlingen ging glatt vorbei, dass 1989 die SED-Herrschaft ihrem Ende entgegen stolperte, Honecker ins Abseits gedrängt wurde und die Mauer am 9. November gefallen war. Der eine oder andere Besucher berichtet vor Ort, dass er dies als besonders erniedrigend empfunden hat.

Zermürbende Einzelhaft im U-Boot

Wie die Pressionen gegenüber den Gefangenen aussahen, lässt sich aus Dienstanweisungen ablesen, die im so genannten Wendeherbst ungeachtet hektischer Vernichtungsversuche mit dem Schredder erhalten blieben. Ein solches Gerät wird in der Ausstellung gezeigt. Dass es Mitarbeitern des Geheimdienstes und auch des Stasi-Knasts bis heute gut geht, lässt sich an schicken Häusern sowie an Fahrschulen und Wachschutz-Unternehmen ablesen, die sich rund um die nun nicht mehr "verbotene Stadt" in Hohenschönhausen und in den umgebauten Dienstgebäuden des Mielke-Imperiums angesiedelt haben. Manche ehemalige Bedienstete des Macht- und Terrorapparats sind bis heute der Meinung, einen Job wie jeden anderen gemacht zu haben. Wer die DDR verlassen wollte oder gegen sie arbeitete, habe schließlich gewusst, welches Risiko er eingeht, wird bei Diskussionen behauptet. Dass es internationale Normen gibt, die das Schießen auf Flüchtlinge von einem Land ins andere verbieten und auch die DDR-Gesetze die Normen von Völkerrecht und Humanität betonten, wird bei dieser verqueren Schutzbehauptung geflissentlich übersehen.

Am 3. Oktober 1990, dem Tag der deutschen Wiedervereinigung, wurden die letzten Häftlinge nach Moabit verlegt. Unter ihnen waren 81 Jahre alte Erich Mielke, der Chef der DDR-Staatssicherheit, der auf seinen Prozess wartete, und der letzte Vorsitzende des DDR-Gewerkschaftsbundes FDGB, Harry Tisch. Sie fanden ihre Gefangenschaft am Ort unendlicher Qualen von Gegnern des SED-Regimes überhaupt nicht lustig und beschwerten sich über die beschwerlichen Haftbedingungen. Ob sie über das reflektiert haben, was sie und die von ihnen repräsentierte Diktatur angerichtet haben, ist nicht überliefert.

12. August 2017

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