Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit
Die vor 225 Jahren geschaffene Marseillaise mobilisierte die Franzosen zum Kampf gegen die Tyrannei der Könige



Mit dem Sturm auf die Bastille, das Staatsgefängnis in Paris, am 14. Juli 1789 begann der große Volksaufstand gegen die französische Königsherrschaft.



Die Medaille mit dem Porträt König Ludwigs XVI. aus dem Revolutionsjahr 1789 erinnert an die Einberufung der Generalstände, von denen die Regierung die Lösung der gravierenden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Probleme des Landes erhoffte.



Die Hinrichtung des Königs auf der Place de la Concorde in Paris am 21. Januar 1793 war ein ungeheuerlicher Vorgang, auf das die europäischen Mächte mit einem Feldzug gegen das revolutionäre Frankreich geantwortet haben.



Auch in deutschen Landen wurden nach französischem Vorbild so genannte Freiheitsbäume aufgepflanzt, dieses Bild stammt aus Mainz, in dem nach französischem Vorbild die Republik ausgerufen wurde.



Die Karikatur aus dem 19. Jahrhundert schildert, was Revolutionäre mit den Mächtigen der Welt anstellen, wenn sie dazu Gelegenheit haben. (Repros: Caspar)

Nach der Erstürmung der Pariser Bastille am 14. Juli 1789 dauerte es noch drei Jahre, bis sich Frankreich zur Republik erklärte und König Ludwig XVI. formal abgesetzt und zum "Bürger Capet" degradiert war. Vergeblich versuchten Royalisten vom Exil aus sowie ausländische Mächte, das Rad der Geschichte zurückzudrehen und den Monarchen in seine alten Rechte einzusetzen. Doch die überwiegende Mehrheit der Franzosen lehnte die unselige Bourbonenherrschaft und das Schmarotzertum am Hof von Versailles ab und wünschte sich inbrünstig, dass das Moto "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" endlich Realität wird. Um einen Schlusspunkt unter die lange Königsherrschaft zu setzen, beschloss der Nationalkonvent am 21. September 1792 in Paris, dass Frankreich eine Republik wird und sich eine neue Zeitrechnung zulegt. Der Kalender rückte demonstrativ von der christlichen Zeitrechnung ab und betonte durch ungewöhnliche Bezeichnungen der Monate und Tage den Geist der neuen Zeit. Da sich die neue Einteilung des Jahres in Dekaden als unpraktisch erwies und man Schwierigkeiten mit Datierungen hatte, kehrte Kaiser Napoleon I. 1806 zum alten gregorianischen Kalender zurück.

Auf den gefangen genommenen Ex-König Ludwig XVI. und seine aus Österreich stammende Gemahlin Marie Antoinette kamen nach ihrer Absetzung und Gefangennahme schwere Zeiten zu. In zwei Prozessen wurden sie wegen Landesverrats und Verbrechen gegen das öffentliche Wohl beschuldigt und zum Tod verurteilt. Unter dem Jubel der Volksmassen wurden der ehemalige König am 21. Januar 1793 öffentlich durch die Guillotine enthauptet. Das gleiche Schicksal erlitt die wegen ihres luxuriösen Lebensstils und als "Österreicherin" und "Madame Deficite" verhasste frühere Königin am 16. Oktober 1793 ihren Kopf. Die Enthauptung des Königspaars erregte in Europa großes Aufsehen und Entsetzen. Um die Tat zu rächen und einen im Exil befindlichen Bruder des früheren Monarchen auf den französischen Thron zu setzen, zogen die damaligen Mächte gegen das republikanische Frankreich zu Felde. Da sie den Krieg gegen die schlecht ausgerüsteten, aber hoch motivierten Revolutionstruppen nicht gewannen, mussten sie sich mit der Existenz einer Republik abfinden, die wie ein Pfahl im Herzen des alten Europa wirkte.

Auf, Kinder des Vaterlands

Auf dem Weg von Sieg zu Sieg begleitete die Soldaten ein Lied, das zur Nationalhymne der Franzosen wurde und auch heute, obwohl es ziemlich blutrünstig und antiquiert klingt, bei offiziellen Anlässen und Volksfesten gesungen wird. Ursprünglich hieß der Gesang Kriegslied der Rheinarmee, doch wurde er als Marseillaise weltbekannt. Hervorgegangen aus der französischen Revolution, hat das Lied mit der Anfangszeile "Allons enfants de la Patrie, / le jour de gloire est arrivé…." (deutsch: Auf, Kinder des Vaterlands, / Der Tag des Ruhmes ist gekommen! / Gegen uns hat die Tyrannei / Das blutige Banner erhoben. / Hört ihr auf den Feldern / Diese wilden Soldaten brüllen? / Sie kommen bis in eure Arme, / Um euren Söhnen, euren Gefährtinnen die Kehlen durchzuschneiden" zwei Kaiserreiche, die Periode der Restauration der Königsherrschaft, mehrere Republiken sowie zwei Kriege einschließlich der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg überlebt.

Schöpfer der Worte und der Melodie ist Joseph Rouget de Lisle (1760-1836). Der Kapitän des Pionierkorps der Garnison von Straßburg und spätere Schriftsteller komponierte das Lied in der Nacht vom 24. auf den 25. April 1792, vor genau 225 Jahren, als sich das damals formal noch königliche, bald schon republikanische Frankreich und Österreich gegenüber standen, das mit seinen Verbündeten Preußen, England und anderen Mächten das Ancien régime wiederherstellen wollte. Die Marseillaise traf den Nerv der republikanischen Franzosen und machte ihnen Mut. Armeegeneral François Mireur, der nach Marseille gekommen war, um den gemeinsamen Marsch der Freiwilligen von Montpellier und Marseille zu organisieren, veröffentlichte das "Kriegslied der Grenzarmeen", das von den Truppen in Marseille übernommen wurde.

Der anfeuernde Gesang machte als Marschlied die Runde und wurde beim Einzug der Revolutionäre in die Hauptstadt am 30. Juli 1792 angestimmt. Darauf gaben die Pariser der schnell populär gewordenen Hymne den Namen Marseillaise. In der ersten Republik (1792-1804) trug das gegen Tyrannei und Königsherrschaft gerichtete Kriegslied zum Sieg der Revolution bei, spätere Regimes zogen andere, weniger radikale Lieder vor. Die französischen Verfassungen von 1946 und 1958 erklärte die Marseillaise zur offiziellen Hymne der Republik.

Eine Sternstunde der Menschheit

Kein Geringere als der Schriftsteller Stefan Zwei nahm das französische Revolutionslied in seine Sammlung "Sternstunden der Menschheit" auf und schrieb: "Rouget braucht gar nicht zu dichten, zu erfinden, er braucht nur in Reime zu bringen, in den hinreißenden Rhythmus seiner Melodie die Worte zu setzen, die heute, an diesem einzigen Tage, von Mund zu Mund gegangen, und er hat alles ausgesprochen, alles ausgesagt, alles ausgesungen, was die Nation in innerster Seele empfand. Und er braucht nicht zu komponieren, denn durch die verschlossenen Fensterläden dringt der Rhythmus der Straße, der Stunde herein, dieser Rhythmus des Trotzes und der Herausforderung, der in dem Marschtritt der Soldaten, dem Schmettern der Trompeten, dem Rasseln der Kanonen liegt. Vielleicht vernimmt er ihn nicht selbst, nicht sein eigenes waches Ohr, aber der Genius der Stunde, der für diese einzige Nacht Hausung genommen hat in seinem sterblichen Leibe, hat ihn vernommen. Und immer fügsamer gehorcht die Melodie dem hämmernden, dem jubelnden Takt, der Herzschlag eines ganzen Volkes ist."

Wie unter fremdem Diktat habe Rouget die Worte und Melodie hastig und immer hastiger geschrieben, ein Sturm sei über ihn gekommen, wie er nie seine enge bürgerliche Seele durchbrauste. "Eine Exaltation, eine Begeisterung, die nicht die seine ist, sondern magische Gewalt, zusammengeballt in eine einzige explosive Sekunde, reißt den armen Dilettanten hunderttausendfach über sein eigenes Maß hinaus und schleudert ihn wie eine Rakete - eine Sekunde lang Licht und strahlende Flamme - bis zu den Sternen. Eine Nacht ist es dem Kapitänleutnant Rouget de Lisle gegönnt, Bruder der Unsterblichen zu sein: aus den übernommenen, der Straße, den Journalen abgeborgten Rufen des Anfangs formt sich ihm schöpferisches Wort und steigt empor zu einer Strophe, die in ihrer dichterischen Formulierung so unvergänglich ist wie die Melodie unsterblich."

Rouget de Lisle - den Adelstitel hatte er sich selber zugelegt - wurde nur als Schöpfer der Marseillaise berühmt, sonst aber hatte er als Komponist und Dichter nur mäßigen Erfolg. Als die Herrschaft von Kaiser Napoleon I. beendet war, versuchte er, seinen Lebensunterhalt und die Gunst der neuen Herren aus dem Haus Bourbon zu gewinnen, fertigte aber auch für schmalen Lohn Übersetzungen und Abschriften an. 1826 kam er sogar in Schuldhaft, die er in Paris absitzen musste. Der so genannte Bürgerkönig Louis-Philippe I. aus dem mit den Bourbonen verwandten Haus Orleans, der nach der Revolution von 1830 den französischen Thron bestieg, ließ ihm Ehrungen und eine kleine Pension zukommen.

Im Jahr 1848 hat der Dichter und leidenschaftliche Demokrat Ferdinand Freiligrath eine deutsche Version gedichtet. Diese so genannte Arbeiter-Marseillaise beginnt mit den Worten "Frisch auf zur Weise von Marseille / Frisch auf ein Lied in hohem Ton! / Singt es heraus als Reveille der neuen Revolution… Marsch! Marsch! Marsch! Marsch! / Marsch - waer's zum Tod! / Und unsre Fahn' ist rot!"

8. Mai 2017





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