"Dieser Feind steht rechts!"
Nach dem Untergang der Monarchie in der Novemberevolution 1918 erschütterten politische Morde das Deutsche Reich



Mit der Abdankung Kaiser Wilhelms II. am 9. November 1918 und der anderen Bundesfürsten endete im Deutschen Reich eine Ära.



Straßenkämpfe mit Geschützen und anderen Waffen, aber auch Mordanschläge waren in und nach der Novemberevolution 1918/19 an der Tagesordnung.



Die Dolchstoßlegende war ein billiges Mittel, die Niederlage des Deutschen Reiches und seiner Verbündeten im Ersten Weltkrieg auf Verräter in der Heimat zuzuschieben.



Karl Liebknecht fordert seine Landsleute auf, in die von ihm, Rosa Luxemburg und anderen gegründete KPD einzutreten, die aus dem Spartakusbund hervorgegangen war.



Für die deutsche Rechte und die Nazis war Walther Rathenau eine besondere Hassfigur. Erst nach dem Ende der braunen Diktatur war ein ehrendes Gedenken an den aufrechten Demokraten möglich.



Nach der Ermordung von Rathenau versammelten sich zahllose Menschen, um ihn zu ehren und "Nie wieder Krieg" zu rufen. (Repros: Caspar)

Zwar riefen der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann und der spätere Mitbegründer der KPD Karl Liebknecht am 9. November 1918 fast gleichzeitig in Berlin die freie deutsche Republik beziehungsweise die freie sozialistische Republik Deutschland aus. Doch die neue Ordnung nach dem Ersten Weltkrieg von Ruhe und Frieden, von Einigkeit und Recht und Freiheit weit entfernt. Kaiser Wilhelm II. und die anderen Monarchen waren vor und nach dem 9. November 1918 in der Hoffnung abgetreten, über kurz oder lang wieder ihre Throne einnehmen zu können. Geblieben waren die Generale und all die anderen Stützen des Kaiserreichs, und sie dachten nicht daran, einen Zipfel Macht an die Arbeiter und Soldaten abzugeben, die den Regimewechsel ermöglicht und mit ihrer Rebellion den Krieg beendet hatten. Für die verheerende Entwicklung des Ersten Weltkriegs und sein katastrophales Ende wollten weder die deutschen Bundesfürsten noch ihre Hofschranzen, weder die Politiker noch das Militär verantwortlich sein. Sie behaupteten, an der Niederlage seien nicht sie und die "im Feld" kämpfenden und gefallenen Soldaten Schuld, sondern aufgewiegelte Zivilisten in der Heimat, die angeblich den tapferen Kriegern einen Dolchstoß in den Rücken versetzt hätten. Schon war die so genannte Dolchstoßlegende geboren.

In seinem Erinnerungsbuch "Ereignisse und Gestalten" schrieb der im niederländischen Exil komfortabel lebende Ex-Kaiser Wilhelm II.: "Dreißig Jahre ist die Armee mein Stolz gewesen. Ich habe für sie gelebt und an ihr gearbeitet. Und nun nach vier glänzenden Kriegsjahren mit unerhörten Siegen mußte sie unter dem von hinten gegen sie geführten Dolchstoß der Revolutionäre zusammenbrechen, gerade in dem Augenblick, als der Friede in Greifnähe stand! Und dass in meiner stolzen Flotte, meiner Schöpfung, die Empörung zuerst offen zutage getreten ist, hat mich am tiefsten ins Herz getroffen". Skrupel und Schuldgefühle gegenüber den Millionen Kriegstoten und Versehrten plagten den ehemaligen Monarchen und seinen Anhang nicht.

Alle Macht den Räten

Karl Liebknecht und seine Mitstreiter vom Spartakusbund forderten Ende 1918 die Fortführung der bürgerlich-demokratischen Revolution und ihre Umwandlung in eine proletarisch-sozialistische Revolution. Aus Angst vor der "Bolschewisierung" nach russischem Vorbild verschworen sich rechtsgerichtete Offiziere und andere Personen mit dem Ziel, die Spartakusbewegung und ihre Führer, allen voran Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, zu liquidieren. Ende 1918 kam es in Berlin und an anderen Orten zu Putschversuchen von Freikorpsleuten und zu Mordanschlägen, denen zahlreiche Menschen zum Opfer fielen. Mitten im Chaos fand vom 30. Dezember 1918 bis 1. Januar 1919 unter dem Motto "Alle Macht den Räten, nieder mit Imperialismus und Militarismus, Verbrüderung mit der russischen Revolution" der Gründungsparteitag der Kommunistischen Partei Deutschlands statt. Noch 1932, als die Nazis schon die Hand nach der Macht ausstreckten, riefen ihre Anhänger dazu auf, das Land in ein Sowjetdeutschland zu verwandeln. Wie sich Kommunisten und Sozialdemokraten bekämpften, kam die in der Zeit höchster Gefahr notwendige Einheitsfront nicht zustande. Nach Hitlers "Machtergreifung" am 30. Januar 1933 war es dazu zu spät.

Um Ruhe und Ordnung wiederherzustellen, setzte der Sozialdemokrat Gustav Noske Regierungstruppen Ende 1918 und Anfang 1919 gegen Spartakisten und andere Revolutionäre in Marsch. Mit seinem Befehl: "Jede Person, die mit der Waffe in der Hand, gegen Regierungstruppen kämpfend angetroffen wird, ist sofort zu erschießen" und dem Bekenntnis "Einer muss den Bluthund machen! Ich scheue die Verantwortung nicht!" verschaffte sich der Politiker den zweifelhaften Spitznamen Blutnoske oder Bluthund. Unter den bürgerkriegsartigen Bedingungen nach dem Ende der Monarchie gedieh der politische Mord. Freikorpsleute machten Jagd auf linke Aktivisten und heizten die Spannungen mit entsprechenden Aufrufen an. Liebknecht und Luxemburg wurden am 15. Januar 1919 bestialisch ermordet. Die Folge waren verstärkte Protestaktionen, die blutig niedergeschlagen wurden. Vier Tage später fanden die Wahlen zur deutschen Nationalversammlung statt, in denen die bürgerlichen Parteien die Mehrheit erlangten. Die KPD hatte die Wahl, an der erstmals auch Frauen teilnehmen konnten, boykottiert. Das Nachkriegsparlament trat im fernen Weimar zusammen, weil die Verhältnisse in Berlin zu unsicher waren. Das verschaffte der neuen Ordnung den Namen Weimarer Republik.

Hetze gegen so genannten Erfüllungspolitiker

"Ich kämpfe gegen das Unrecht, das in Deutschland geschieht, denn ich sehe Schatten aufsteigen, wohin ich mich wende. [...]. Seit Jahrzehnten hat Deutschland keine ernstere Periode durchlebt als diese; das stärkste aber, was in solchen Zeiten geschehen kann, ist: das Unrecht abtun" - das schrieb der spätere Reichsaußenminister Walther Rathenau im Jahre 1911. Elf Jahre später wurde er Opfer seiner demokratischen Grundüberzeugung und seiner Verständigungspolitik gegenüber den ehemaligen Kriegsgegnern. An der Einmündung Erdener Straße in die Koenigsallee im Berliner Bezirk Wilmersdorf erinnert ein schlichter Stein mit einer Inschriftenplatte aus Bronze an den Mordanschlag, dem der Politiker am 24. Juni 1922 zum Opfer fiel. Walther Rathenau hatte sich einen Namen durch die Aushandlung des Vertrags von Rapallo mit Sowjetrussland gemacht und war dafür eingetreten, dass Deutschland seinen Verpflichtungen aus dem Vertrag von Versailles gegenüber den Siegermächten nachkommt, weshalb konservative, nationalistische, antisemitische und faschistische Kreise gegen ihn hetzten und ihn als Landesverräter und angeblichen Erfüllungspolitiker verunglimpften.

Dem Mord an Rathenau durch zwei Mitglieder der rechtsextremen Organisation Consul war ein regelrechtes Kesseltreiben gegen den jüdischen Politiker voran gegangen. Man warf ihm viel zu große Nachgiebigkeit gegenüber den Siegermächten des Ersten Weltkriegs und seinen unbedingten Einsatz für die junge Republik und ihre demokratischen Errungenschaften vor. Mit der Mordtat sollte nicht nur ein aufrechter Demokrat liquidiert, sondern auch die neue, noch sehr fragile republikanische Ordnung getroffen werden. In seiner Trauerrede erklärte Reichskanzler Joseph Wirth am 25. Juni 1922 im Reichstag, mit dem Mord an dem Außenminister seien die großen Entwicklungen jäh unterbrochen worden, "und die Herren, die die Verantwortung dafür tragen, können das niemals mehr vor ihrem Volke wieder gutmachen." Wirth forderte in jeder Stunde Demokratie und meinte nicht Demokratie, "die auf den Tisch schlägt und sagt: wir sind an der Macht! - nein, sondern jene Demokratie, die geduldig in jeder Lage für das eigene unglückliche Vaterland eine Förderung der Freiheit sucht!" Der Reichskanzler beendete seine mit lang anhaltendem Beifall von Mitte bis Links quittierten Rede mit den Worten: "Da steht der Feind, der sein Gift in die Wunden eines Volkes träufelt. Da steht der Feind - und darüber ist kein Zweifel: dieser Feind steht rechts!"

Nach den Todesschüssen auf Walther Rathenau erließ die Reichsregierung zwei Verordnungen zum Schutz der Republik, die wenig später in das "Gesetz zum Schutz der Republik" eingingen. Allerdings wurde es vor allem gegen Kommunisten und andere linke Gruppierungen angewendet, obwohl es gegen extremistische Organisationen jeder Couleur gerichtet war. Elf Jahre später war die Weimarer Republik am Ende, die Herrschaft der Nationalsozialisten begann.

16. Februar 2017

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