Brandanschlag auf "Das Sowjet-Paradies"
Aktion einer Widerstandsgruppe um Herbert Baum und Joachim Franke gegen Propagandaausstellung hatte tödliche Folgen





Mit der Ausstellung "Das Sowjetparadies" auf dem Berliner Lustgarten neben dem Dom wurde brutale und verlogene Propaganda gegen Stalins Reich gemacht.



Die Topographie des Terrors in Berlin auf dem Gelände der früheren Gestapozentrale erinnert mit dieser Bild-Text-Tafel an den Versuch der Gruppe um Herbert Baum, der Hetzausstellung auf dem Lustgarten ein Ende zu bereiten.



Auf dem Jüdischen Friedhof an der Herbert-Baum-Straße in Berlin-Weißensee erinnern ein Grabstein an Herbert Baum und weitere Steine an andere Kämpfer gegen den Faschismus.



Der Gedenkstein auf dem Jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee ist Herbert Baum gewidmet. Der in DDR-Zeiten auf dem Lustgarten errichtete Gedenkstein wird ab und zu mit Blumen geschmückt, später angebrachte Tafeln erklären, was die Widerstandskämpfer mit ihrem Anschlag bewirken wollten und wen die Blutrichter in den Tod schickten. (Fotos/Repros: Caspar

Von 8. Mai bis 21. Juni 1942 wurde auf dem Berliner Lustgarten die antikommunistische NS-Propagandaausstellung "Das Sowjet-Paradies" gezeigt. Mit dieser Wanderschau der Reichspropagandaleitung der NSDAP sollten die Lebensverhältnisse in der Sowjetunion angeprangert und der Vernichtungskrieg gegen Stalins Reich legitimiert werden. 1,3 Millionen Besucher sollen nach damaliger Zählung die mit großem Werbeaufwand im ganzen Reich bekannt gemachte Schau gesehen haben, und manche dürften unter dem Eindruck der Horrorbilder beim Herausgehen gedacht haben, dass es richtig ist, die dort in üblen Verhältnissen, Elend, Dreck und Unfreiheit vegetierenden "Untermenschen" zu bekämpfen und vernichten, wie es die Nazipropaganda tagtäglich forderte und wie man es auch in der Schule, bei der HJ, in der Wehrmacht sowie der SS und SA gelernt hatte.

Die Ausstellung hatte das Ziel, den am 22. Juni 1941 vom Deutschen Reich vom gebrochenen Krieg gegen die Sowjetunion zu rechtfertigen. Sie verbreitete auf üble Weise rassistische, kulturelle und politische Vorurteile über das Reich des Josef Stalin und das russische Volk. Vergessen war im Sommer 1942, dass nur zwei Jahre zuvor für kurze Zeit antikommunistische und antisowjetische Propaganda im NS-Reich verboten war, nachdem Hitler und Stalin überraschenderweise am 23. August 1939 den deutsch-sowjetischen Nichtangriffsvertrag abgeschlossen hatten. Er verschaffte beiden Diktatoren freie Hand für den Überfall der Wehrmacht auf Polen und andererseits der Roten Armee auf die baltischen Staaten und weitere zum sowjetischen Einflussbereich gerechneten Länder.

Blutige Rache der NS-Justiz

Mitten auf dem Berliner Lustgarten waren für "Das Sowjetparadies" zeltartige Pavillons mit Fotos, Grafiken, Gemälden, erbeuteten Gegenständen und Waffen aufgebaut. Herzstück der 900 Quadratmeter großen Ausstellung waren der angeblich originalgetreue, in Wahrheit jedoch verfälschte Nachbau eines Stadtteils der weißrussischen Hauptstadt Minsk sowie eines sowjetischen Dorfes, in dem zerlumpte und verhungerte Menschen in elenden Erdlöchern hausen. Den Besuchern wurde nicht gesagt, dass einige Propagandafotos elend dreinschauende Gefangene aus dem KZ Sachsenhausen zeigen. Am Ausgang der Ausstellung hielt ein deutscher Soldat "als Verteidiger der abendländischen Kultur gegen die bolschewistische Barbarei" Wache. In der Ausstellung wurde zur Abschreckung ein Todeskeller des sowjetischen Geheimdienstes GPU gezeigt, der auch unter den Bezeichnungen Tscheka und KGB für furchtbare Terrormethoden und die Liquidierung von unzähligen Opfern des Stalin-Terrors verantwortlich war. Indem die Nazis die GPU zahlreicher Verbrechen an der eigenen Bevölkerung beschuldigten und Stalins Geheimdienst 1942 sogar einen eigenen Spielfilm in der Regie von Karl Ritter widmeten, sahen sie geflissentlich darüber hinweg, dass die eigene Gestapo ähnliche Methoden anwandte.

Die jüdisch-kommunistische Widerstandsgrundgruppe um den Berliner Elektriker Herbert Baum und eine ebenfalls im Untergrund tätige Gruppe um Joachim Franke unternahm am 18. Mai 1942 einen Brandanschlag auf die Ausstellung, die zuvor schon in Wien und Prag gezeigt worden war. Obwohl der Brand schnell gelöscht wurde und nur geringer Sachschaden entstanden war, übte die NS-Justiz blutige Rache. Mindestens 33 Kämpfer hingerichtet. Am Tag vor dem Attentat hatte eine Gruppe um Harro Schulze-Boysen und Fritz Thiel etwa eintausend Zettel mit der Aufschrift "Ständige Ausstellung / Das NAZI-PARADIES / Krieg Hunger Lüge Gestapo / Wie lange noch?" in ganz Berlin verbreitet. Auch von dieser Gruppe mussten etliche Mitglieder ihren mutigen Einsatz mit dem Leben bezahlen.

Reichspropagandaminister und Berlins Gauleiter Joseph Goebbels wies die Presse per Fernschreiben am 26. und 27. Mai 1942 an, "die Ausstellung habe in größtem Umfange für die Berechtigung unseres Krieges gegen die Sowjetunion zu werben. Kein Ausstellungsgegenstand darf daher aufgenommen werden, der ,irgendwie für den Bolschewismus werbend wirken' könnte."

In der Wohnung von Joachim Franke wurde der Zündmechanismus für den Brandanschlag auf die Propagandaausstellung hergestellt. Franke trug am 18. Mai 1942 den Brandsatz in einer Aktentasche bei sich und legte gemeinsam mit Herbert Baum und Werner Steinbrink den Brand. Kurz nach dem Anschlag wurden Baum, seine Ehefrau Marianne, Franke und weitere Freunde festgenommen. Baum beging in der Haft in Berlin-Moabit am 11. Juni 1942 Selbstmord, mehr als 15 seiner Mitstreiter wurden in den folgenden Monaten zum Tode verurteilt und in Berlin-Plötzensee ermordet.

Herbert Baum hatte sich nach der Errichtung der Diktatur an kommunistischen Widerstandsaktionen gegen den NS-Staat beteiligt. Durch seine Tätigkeit in der jüdischen Jugendorganisation "Ring-Bund Deutsch-Jüdischer Jugend" hatte er viele Kontakte zu Jugendlichen, die seine politischen Ansichten teilten. Seit 1936 sammelte sich um Baum eine Gruppe junger Kommunisten, von denen die meisten wie er selber jüdischen Glaubens waren. Sie trafen sich in privatem Kreis, diskutierten über verbotene Bücher und verfassten und vervielfältigten Flugblätter. Viele Mitglieder der Gruppe waren von den Repressionen gegen Juden betroffen. Seit September 1941 mussten sie den gelben Stern tragen und Zwangsarbeit leisten.

Gedenkstein auf dem Lustgarten

Auf dem Lustgarten, dem Berliner Dom gegenüber, steht seit 1981 ein Gedenkstein mit dem Motto "Für immer in Freundschaft mit der Sowjetunion verbunden". Er stammt von dem Bildhauer Jürgen Raue und erinnert an den Widerstandskämpfer Herbert Baum, nach dem in Weißensee eine auf den Jüdischen Friedhof zulaufende Straße benannt ist, und seine Gruppe. In beiden deutschen Staaten hatte man Probleme im Umgang mit der "Gruppe Baum", denn im Westen galt sie wegen ihrer Orientierung auf die Sowjetunion als viel zu links und daher politisch suspekt, in der DDR hingegen übersah man, dass Baum und weitere Mitglieder seiner Widerstandsgruppe jüdischer Herkunft waren. So kam der Steinwürfel nach dem Ende der DDR ins Gerede. Manche Leute empfanden die Parole von der "ewigen Freundschaft mit der Sowjetunion" als nicht mehr zeitgemäß, ja unerträglich. Es wurde sogar die Beseitigung des Denkmals im Zusammenhang mit der Neugestaltung des Lustgartens gefordert. Doch dazu kam es nicht, "weil der Stein keine anstößige Inschrift oder ein verfassungsfeindliches Symbol trägt", wie es im Bezirksamt hieß. Allerdings bedecken seit einigen Jahren auf Initiative einer Gedenktafelkommission zusätzliche Plexiglastafeln mit ergänzenden Texten zwei der vier Schriftzüge. Sie machen auf die Hintergründe der Aktion gegen die Naziausstellung aufmerksam und nennen Mitglieder der Baum-Gruppe, die für ihr Fanal einen hohen Blutzoll zahlen mussten. Der Stein am Rand des Lustgartens dokumentiert sowohl die mutige Widerstandsaktion von 1942 als auch das Geschichtsverständnis von 1981 und unser heutiges Gedenken an die Männer und Frauen, die ihren Kampf gegen NS-Regime mit dem Leben und Freiheit bezahlen mussten. )

20. September 2017

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