Heiliger Satan fand blutiges Ende
Rasputin startete am Zarenhof eine sagenhafte Karriere und wurde von seinen Gegnern für Unmoral und Chaos im Land verantwortlich gemacht



Dem Wunderheiler Grigori Rasputin gelang vor und im Ersten Weltkrieg am Petersburger Hof eine sagenhafte Karriere, die Ende 1916 jäh durch einen Mordanschlag beendet wurde.



Als Russland 1913 die Dreihundertjahrfeier des Hauses Romanow beging, wurde auch ein Gedenkrubel mit dem Bildnis von Nikolaus II. und dem Gründervater Michail Fjodorowitsch Romanow geprägt.



Flankiert von zwei hochdekorierten Offizieren und damit sichtbar aufgewertet, hat sich "Grigori der Heilige" für dieses Foto ablichten lassen.





Bissige Karikaturen zeigen, wer am Zarenhof das Sagen hat und dass Rasputin dort die Strippen zieht. Während der Zarenherrschaft war solcher Spott verboten, danach gab es ihn umso mehr.



Der Henker weist Nikolaus II. den Gang zum Schafott. Zwar bot König Georg V. von England seinem Cousin und Verbündeten Asyl an, doch das wurde vom Parlament in London verhindert, so dass das Schicksal für den Herrscher aller Reußen und seine Familie seinen Lauf nahm. (Foto/Repros: Caspar)

Die russische Herrscherfamilie hatte zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein großes Problem. Der Thronfolger Alexej Nikolajewitsch, ein Sohn von Zar Nikolaus II. und Zarin Alexandra Feodorowna, die eine geborene Prinzessin von Hessen-Darmstadt war, litt unter der Bluterkrankheit. Sie gefährdete die Thronfolge und damit das Weiterbestehen der Dynastie Romanow, die 1913 prunkvoll ihr dreihundertjähriges Bestehen feierte. Jede kleine Verletzung konnte das Leben des Zarewitsch beenden, die Krankheit galt damals als unheilbar. In ihrer Verzweiflung wandte sich die tief religiöse Zarin an Magier, Hypnotiseure und Mystiker, die aber keinen Erfolg hatten. Bis im Revolutionsjahr 1905 ein Wanderprediger in Sankt Petersburg von sich reden machte. Die Zarin wurde auf ihn aufmerksam und holte den Unbekanten an ihren Hof, an dem es von Glücksrittern, Karrieristen und obskuren Personen nur so wimmelte. Nikolaus und Alexandra setzten ihre ganze Hoffnung auf die heilenden Kräfte des Mannes mit den durchdringenden Augen und dem traditionell langen Bart.

Der aus einem Dorf in Westsibirien stammende Grigori Rasputin wird als Wüstling geschildert, als ein Mann ohne Bildung und Kultur, ja als ein Teufel mit der Attitüde eines Heiligen und als ein Mensch mit unheimlichen Kräften sexueller Art. Ungeachtet seines abstoßenden, ungepflegten Äußeren und des Gestankes, den er verbreitete, soll er auf manche feine Damen der Petersburger Gesellschaft anziehend gewirkt haben. Diese Kraft hatte wohl auch damit zu tun, dass es dem frommen Wunderheiler gelang, die Blutungen des kaiserlichen Thronfolgers zu stillen und damit großen Einfluss am Hof zu Sankt Petersburg zu gewinnen. Rasputins Erfolg hinterließ in der Kaiserfamilie und vor allem bei der für Mystizismus empfänglichen Zarin großen Eindruck. Sie zählte zu seinen großen Bewunderinnen, sah in ihm einen Heiligen und die Verkörperung der sprichwörtlichen "russischen Seele".

Und die Erde wird zittern

In seinen Händen war das Zarenpaar in Witzen und auf Karikaturen der damaligen Zeit nichts alles als Marionetten. Wer etwas am kaiserlichen Hof werden wollte, kam an dem Strippenzieher aus der russischen Provinz nicht vorbei. Rasputin hievte am Hof zu Sankt Petersburg ihm genehme Personen auf hohe Posten und stärkte dadurch seine eigene Stellung, seinen Nimbus als "Erlöser". Im Gegenzug verdrängte er manche bisherigen Würdenträger aus der Umgebung des Zaren ins Abseits - und machte sich diese zu Feinden.Hinter der gewollt plebejischen Fassade verbarg sich ein bauerschlauer Mann, der genau wusste, was er wollte und der die Schwächen seiner vor allem weiblichen Klientinnen weidlich für seine Zwecke nutzte. Der wohl mit suggestiven Kräften begabte "schmutzige Wilde", wie man ihn nannte, ließ all die adligen Schmarotzer und Schleimer in der Gunst des als abwartend geschilderten Imperators und seiner dafür um so begeisterten Gattin weit hinter sich.

Wie Rasputins in ungeahnte Höhen gelangte, wie er Ende 1916 auf schreckliche Weise zu Tode kam und welche Schmähungen man ihn hinterher rief, was aus den Romanows wurde und wie es dazu kam, dass Nikolaus II. und seine Familie ….., nach dem Ende der Sowjetherrschaft, heilig gesprochen wurden, schildert der US-amerikanische Historiker, Übersetzer und Russland-Kenner Douglas Smith in einem voluminösen Buch, das in deutscher Übersetzung unter dem Titel "Und die Erde wird zittern. Rasputin und das Ende der Romanows" im Theiss Verlag Darmstadt erschien. Es hat 896 Seiten, zahlreiche Abbildungen und kostet 38 Euro (ISBN 978-3-8062-3574-6).Der Titel bezieht sich auf eine prophetische Äußerung des einflussreichen Wanderpredigers, die da lautete "Unzählige Menschen werden zugrunde gehen. Viele werden als Märtyrer sterben. Der Bruder wird den Bruder töten, und die Erde wird zittern". Die Voraussage ging nach den russischen Revolutionen des Jahres 1917 und den politischen Entwicklungen danach in grausamer Dimension in Erfüllung ging. Dass er, Rasputin, von manchen Leuten im Russland des Wladimir Putin als Heiliger verehrt und er Held in Sensationsromanen, Filmdramen und in Bars mit seinem Namen mit "Ra-Ra-Rasputin, Russia's greatest love machine" gefeiert wird, konnte der von russischen Adligen aus dem Weg geräumte Wunderheiler nicht wissen.

Als die Mordtat bekannt wurde, ging ein großes Aufatmen, ein Jubel durch das Land. Statt unter ihrem Eindruck und angesichts der katastrophalen Lage im Land und an den Fronten seinen Kurs zu ändern, blieb der Zar hart. Um einen Aufstand abzuwenden zuvorzukommen, planten einflussreiche Kreise eine Palastrevolution. Doch kamen ihnen die revolutionären Ereignisse wenige Wochen später zuvor. Einzig die Zarin trauerte, und der Thronfolger war ohne seinen Heiler allein. Zwei Jahre später war die Zarenfamilie tot und in einem anonymen Grab bei Jekaterinenburg (in Sowjetzeiten Swerdlowsk genannt) verscharrt. Auch dies schildert Smith unter Nutzung aller offiziellen Quellen und geheimer Berichte, wie er überhaupt für dieses voluminöse Werk alle greifbaren, sich vielfach widersprechenden Quellen nutzt und interpretiert und damit Wahrheit von Legenden scheidet.

Erst vergiftet, dann erschossen

"Nikolaus der Blutige", wie der letzte Zar insgeheim in seinem Reich und ganz offen außerhalb der Grenzen genannt wurde, war sich bewusst, welche Natter er an seiner Brust nährte. Da er aber froh war, dass die Blutungen bei seinem Ältesten zum Stillstand gekommen waren, hielt er zu dem Wunderheiler, der so gar nicht zu der feinen Hofgesellschaft passen wollte. Rasputin schadete es nichts, dass man ihn der Korruption und ausschweifender Orgien bezichtigte, denn über wen der Zar und seine Gemahlin ihre Hand hielten, der war tabu. Kritik an ihrem Vertrauten hat der Selbstherrscher aller Reußen als niederträchtige Denunziation abgeschmettert sowie mit Amtsenthebung, Verbannung nach Sibirien und Schlimmerem bestraft.

Während des Ersten Weltkrieges, als der Zar an der Front war, um den für Russland ungünstigen Kriegsverlauf ins Gute zu wenden, übte der Heiler größeren Einfluss denn je auf die Zarin. Doch wurde an seinem Stuhl kräftig gesägt, üble Gerüchte wurden gestreut und geglaubt. Man machte Rasputin für das Chaos im Lande und die Kriegslage verantwortlich, hielt ihn für einen Spion des deutschen Kaisers, also des Kriegsgegners. Gerüchte, wonach Alexandra Feodorowna eine intime Beziehung mit Rasputin habe, machten die Runde, ebenso dass er sich bereichert habe und Orgien feire, die schlimmste Fantasien übertreffen. Grigori Rasputin konnte dagegen nichts unternehmen, die Wirkung der echten oder falschen Meldungen war zu groß. So kam es, wie es kommen musste. Der ehemaligen Wanderprediger wurde in der Nacht vom 29. auf den 30. Dezember 1916 bei einem Gelage erst vergiftet und dann sicherheitshalber durch mehrere Schüsse ermordet. Die adligen Attentäter, unter denen auch ein Großfürst war, wie man die kaiserlichen Prinzen nannte, warfen den Leichnam in die Newa, aus der sie einige Zeit später gefischt wurde.

Mörder blieben ungeschoren

Während die Zarin noch mit Tränen rang, zeigten sich Nikolaus II. und seine Klientel durchaus zufrieden, den Wunderheiler los zu sein. Untersuchungen über die Mordtat verliefen im Sande. Anklagen brauchten die namentlich bekannten Mörder aus allerhöchsten Kreisen nicht zu befürchten. Zwei Monate später wurde in der Februarrevolution die russische Monarchie weggefegt und gegen Jahresende die Herrschaft der Bolschewiki unter Lenins Führung errichtet. Jetzt brach sich eine Welle von vermeintlichen oder wahren Enthüllungen über das Lotterleben am Hof zu Sankt Petersburg Bahn. Douglas Smith zitiert auch hier aus zeitgenössischen Berichten und Archiven. Der Dreck, der über den "heiligen Satan" mit dem durchdringenden Blick und der Gabe eines Zauberers gegossen wurde, war meterdick. Posthum wurde seine Leiche verbrannt, um niemandem einen Ort für die Heiligenverehrung zu geben. Einer der ins Ausland geflohenen und dort komfortabel von den Erträgen mitgenommener Juwelen und Kunstwerke lebende Mörder, Fürst Felix Felixowitsch Jussupow, blieb ungeschoren und rühmte sich, den Wunderheiler aus dem Weg geräumt zu haben.

Douglas Smith räumt ein, dass einhundert Jahre nach Rasputins gewaltsamem Tod die eigentliche Person nicht zu erkennen ist. "Hinter dem ganzen Klatsch und Gerede, den Verleumdungen und anzüglichen Anspielungen wird er selbst quasi unsichtbar." Weil sowjetische Dokumente zum Thema Rasputin, und nicht nur zu diesem, unzugänglich waren, konnten die wildesten Gerüchte ins Kraut schießen. Die Situation habe sich in den vergangenen Jahren geändert, endlich hätten die russischen Archive damit begonnen, ihre Geheimnisse preiszugeben. Das Buch von Douglas Smith enthält, breit dargestellt und von Cornelius Hartz, Martin Richter und Bernd Rullköter, trefflich aus dem Englischen ins Deutsche übertragen, ein herausragendes Panorama der russischen Sozial- und Kulturgeschichte am Vorabend der Revolutionen, die vor einhundert Jahren die Welt erschüttert haben und deren Folgen wir auf unterschiedliche Weise noch immer spüren. Leider passen zu dem umfangreichen Buch die in schlechter Qualität wiedergegebenen Bilder nicht. Bei einem Preis von 39 Euro wäre der Einsatz von Kunstdruckpapier eigentlich zu erwarten gewesen.

1. Dezember 2017

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