"Die Revolution frisst ihre Kinder"
Machtmenschen und Fanatiker konnten sich nie ihres Lebens ganz sicher sein



Maximilian de Robespierre wurde 1794 Opfer eigener Maßlosigkeit und des von ihm inszenierten Blutrausches.



Hinrichtungen auf der Guillotine bestimmten nach 1789 den Alltag im revolutionären Frankreich, bis die Henker selber unter dem Fallbeil starben.



Die Medaille schildert die Hinrichtung des Ex-Königs Ludwig XVI. am 21. Januar 1793, schon bald musste seine aus Österreich stammende Gemahlin Marie Antoinette das Blutgerüst besteigen.



Stalin hatte im Krieg gegen Nazideutschland Schwierigkeiten, hohe Militärposten mit kompetenten Generalen zu besetzen, denn ein paar Jahre zuvor hatte er sich auf blutige Weise ihrer entledigt.



In der Nacht der langen Messer starben der SA-Stabschef Ernst Röhm und viele seiner Freunde, aber auch Personen, in denen Hitler eine Gefahr sah, unter den Kugeln von SS-Kommandos. Der Diktator saß noch fester im Sattel und hatte die Reichswehr auf seiner Seite.



Rücksichtslos entledigten sich Walter Ulbricht und Erich Honecker ihrer innerparteilichen Kritiker und Gegner, von denen manche erst den Aufstieg der beiden SED-Führer ermöglicht hatten. (Fotos/Repros: Caspar)

Ruhm und Macht halten oft nicht lange, wer heute ganz oben steht, kann schon morgen unter der Erde sein. Das erfuhren schmerzlich neben vielen anderen Machtmenschen und Fanatikern auch einige Häupter der französischen Revolution von 1789. Auf sie trifft das bis heute für solche Entwicklungen verwendete Schlagwort "Die Revolution frisst ihre Kinder" zu. Der Satz wird einem dem Politiker Pierre Vergniaud zugeschrieben. Er soll ihn gesagt haben, bevor er, als Konterrevolutionär verurteilt, im Oktober 1793 das Schafott besteigen musste und seinen Kopf verlor.

Nach der Erstürmung der Pariser Bastille am 14. Juli 1789 dauerte es noch drei Jahre, bis sich Frankreich zur Republik erklärte und König Ludwig XVI. formal abgesetzt und zum "Bürger Capet" degradiert war. Vergeblich hatten Royalisten vom Exil aus sowie ausländische Mächte versucht, das Rad der Geschichte zurückzudrehen und den Monarchen in seine alten Rechte einzusetzen. Doch die überwiegende Mehrheit der Franzosen hatte von der Bourbonenherrschaft und dem Schmarotzertum am Hof von Versailles genug und wünschte sich inbrünstig, dass das Motto "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" endlich Realität wird. Um einen Schlusspunkt unter die lange Königsherrschaft zu setzen, beschloss der Nationalkonvent am 21. September 1792 in Paris, dass Frankreich eine Republik wird und sich eine neue Zeitrechnung zulegt. Der Kalender rückte demonstrativ von der christlichen Zeitrechnung ab und betonte durch ungewöhnliche Bezeichnungen und Einteilungen den Geist der neuen Zeit. Da sich der Kalender aber als unpraktisch erwies und man Schwierigkeiten mit Datierungen hatte, kehrte Kaiser Napoleon I. 1806 zum alten gregorianischen Kalender zurück.

Tod auf dem Schafott

Auf den bisherigen, in Gefangenschaft gehaltenen König Ludwig XVI. und seine aus Österreich stammende Gemahlin Marie Antoinette kamen nach ihrer formalen Absetzung schwere Zeiten zu. In zwei Prozessen wurden sie wegen Landesverrats und Verbrechen gegen das öffentliche Wohl beschuldigt und zum Tod verurteilt. Unter dem Jubel der Volksmassen wurden der Ex-König am 21. Januar 1793 öffentlich durch die Guillotine enthauptet. Das gleiche Schicksal erlitt die wegen ihres luxuriösen Lebensstils besonders verhasste frühere Königin am 16. Oktober 1793. Die Enthauptung des Königspaars erregte in Europa großes Entsetzen. Um die Tat zu rächen und einen im Exil befindlichen Bruder des früheren Monarchen auf den französischen Thron zu setzen, zogen die damaligen Mächte gegen das republikanische Frankreich zu Felde. Da sie den Krieg nicht gewannen, mussten sie sich mit der Existenz einer Republik abfinden, die wie ein Pfahl im Herzen des alten Europa wirkte.

Einer, der ganz oben in der Hierarchie der französischen Revolutionäre stand, war der Advokat Maximilian de Robespierre. Aus Arras stammend, saß er 1789 als Deputierter des Dritten, also bürgerlichen Standes in den Generalständen, die Ludwig XVI. zur Konsolidierung des Staates und seiner Finanzen einberufen hatte. Robespierre gehörte nach dem Sturm auf die Bastille am 14. Juli 1789 führenden Gremien im Staate und im Jakobinerklub an. Der glänzende Redner setzte sich erfolgreich dafür ein, dass der entmachtete König hingerichtet wird. Radikal den Umbau des Staates und der französischen Gesellschaft fordernd und seinen Feinden mit dem Tod drohend, ging der "Unbestechliche, Tugendhafte und Reine", wie man ihn nannte, buchstäblich über Leichen, als es galt, Feinde der Revolution zu liquidieren. Als Vorsitzender des Wohlfahrtsausschusses besaß Robespierre diktatorische Vollmachten. Die von ihm errichtete Schreckensherrschaft ("La Terreur") gab ihm die Mittel in die Hand, massiv gegen politische Gegner vorzugehen und Personen auszuschalten, denen er Abweichlertum nachsagte.

Lange sah der Konvent dem Treiben des jedes Maß überschreitenden Moralpredigers mit den blutigen Händen zu, doch irgendwann war die Geduld am Ende. Robespierre wurde am 27. Juli 1794, dem 9. Thermidor nach dem neuen Revolutionskalender, gestürzt und am Tag darauf mit einigen seiner Anhänger, unter denen sein Bruder Augustin war, hingerichtet. Die öffentliche Exekution des führenden Revolutionärs und seiner Genossen mitten in Paris gestaltete sich zu einem Volksfest und bedeutete das Ende der Schreckenherrschaft, an deren Höhepunkt 50 bis 100 Menschen täglich ihren Kopf verloren.

Lügner, Clowns, elende Pygmäen, Möpse und Kleffer

Schauen wir in die Geschichte des 20. Jahrhunderts, dann sehen wir, dass auch dort der eingangs erwähnte, zum geflügelten Wort gewordene Satz nicht außer Kraft ist. In der Sowjetunion beispielsweise schaltete Josef Stalin führende Revolutionäre aus der unmittelbaren Umgebung des Staatsgründers W. I. Lenin sowie verdienstvolle Parteisoldaten und Militärs rücksichtslos aus. Die meisten noch im Leninschen Zentralkomitee tätigen Genossen wurden ab 1936 in den berüchtigten Schauprozessen angeklagt, zum Tode verurteilt und hingerichtet. Unzählige andere, vielfach unbekannte Kommunisten hat Stalin ohne Urteil massakrieren lassen oder, wenn er sie am Leben ließ, in die ebenfalls tödliche Verbannung geschickt. Die Urteile standen schon fest, als 19. August 1936 in Moskau vor dem Militärtribunal ein Verfahren gegen 16 ehemalige hohe Parteifunktionäre eröffnet wurde. Folgerichtig wurden die früheren Politbüromitglieder Lew Kamenjew, Grigori Sinowjew und weitere ehemalige Weggefährten von Stalin erschossen.

Stalin beschuldigte sie, Anhänger des im Exil lebenden früheren Revolutionsführers Leo Trotzki zu sein, eines engen Kampfgefährten des Partei- und Staatsgründers W. I. Lenin, und den Untergang des Stalinschen Systems herbei führen zu wollen. Angeblich habe das "weißgardistische Gezücht" die Absicht, den Kapitalismus in der Sowjetunion wiederherzustellen. Außerdem hätten sie als Agenten westlicher Staaten antikommunistische Wühlarbeit geleistet und seien nichts als "nichtswürdige Lakaien der Faschisten". Den Angeklagten waren durch Folter so genannte Geständnisse abgepresst worden. Sie hatten keine Chance, sich zu erklären und zu verteidigen. Rücksicht auf frühere Verdienste um die russische Revolution von 1917 und beim Aufbau der jungen Sowjetmacht wurde nicht genommen. Entlastende Argumente kamen erst gar nicht zur Sprache, und die Schlussworte der Angeklagten mit Bekenntnissen zum Kommunismus verhallten ungehört. Generalstaatsanwalt Andrej Wyschinski warf zu Prozessbeginn den ehemaligen Funktionären Terrorakte gegen die Führer der KPdSU und die Sowjetregierung, die Ermordung von Stalin und weiterer hoher Politiker, Spionage im Auftrag imperialistischer Staaten vor. Der Chefankläger beschimpfte die Angeklagten als "Lügner, Clowns, elende Pygmäen, Möpse und Kleffer" und schloss seine Anklagerede mit den Worten: "Ich fordere, dass diesen tollgewordenen Hunde allesamt erschossen werden!".

Josef Stalin hatte jenen den Schauprozess von 1936 sorgsam vorbereiten lassen und wurde von seinen Leuten ständig auf dem Laufenden halten. Endlich konnte er die ganze Gefährlichkeit seiner Gegner nachweisen und zeigen, dass nur er allein der legitime Erbe von Lenin ist. Die öffentlichen Verhandlungen sollten abschreckend wirken und anderen Oppositionellen, die mit dem rigorosen Umgestaltungs-, Modernisierungs- und Kollektivierungskurs des Diktators nicht einverstanden waren, zeigen, wohin es führt, wenn man sich ihm anlegt. Zugleich sollten die Verfahren die Führungsschicht noch stärker um den Diktator scharen. Da er sich als Führer des Weltproletariats verstand und über die in vielen Ländern tätigen kommunistischen und Arbeiterparteien bestimmen wollte, dienten die Schauprozesse auch der Disziplinierung von Parteiführern außerhalb der Sowjetunion. Im Übrigen hatten Stalin und die ihm hörige Justiz mit solchen Schauveranstaltungen bereits Erfahrungen. Denn den Verfahren von 1936 und folgenden Jahren waren andere, weniger bekannte Prozesse mit ähnlichen Ergebnissen vorangegangen, etwa solche gegen Kulaken und ehemalige Großgrundbesitzer, gegen reiche Russen und gegen Wissenschaftler, die nicht ins ideologische Konzept des "roten Zaren" passten und seinen Allmachtsphantasien im Wege standen.

Erschossen und zu Unpersonen gemacht

Der krankhaft misstrauische und um seine Sicherheit und seinen Ruhm besorgte Diktator ließ die zu Volksfeinden abgestempelten Funktionäre aus den Geschichtsbüchern tilgen. Niemand durfte mehr die Namen von Bucharin, Kamenjew, Sinowjew, Trotzki (der 1940 einem von Stalin in Auftrag gegebenen Attentat in Mexiko zum Opfer fiel), Tuchatschewski und vielen anderen erwähnen. Zu Unpersonen erklärt, hat man Bilder von ihnen unkenntlich gemacht. Wenn sie irgendwo erwähnt werden mussten, hat die sowjetische Propaganda die ehemaligen Helden der Sowjetunion als skrupellose Verräter und Volksfeinde, gemeines Gesindel, imperialistisches Spione und faschistische Teufel diffamiert und ihnen schlimmste Verbrechen angehängt. Wer dagegen Einspruch nahm, hatte ebenfalls mit schwersten Strafen zu rechnen.

Den Völkern der Sowjetunion und dem Ausland wurde 1936 ein rechtsstaatliches Verfahren aufgrund der sowjetischen Verfassung und der Strafgesetze vorgegaukelt. Doch wie 20 Jahre später Stalins Nachfolger im Amt des Parteichefs, Nikita Chruschtschow, in seiner berühmten Geheimrede auf dem XX. Parteitag der KPdSU erklärte, waren die Schauprozesse alles andere als dem Recht und Gesetz verpflichtet. Stalin habe Kollektivität in der Führung und in der Arbeit "absolut" nicht ertragen, stellte Chruschtschow fest, der mit jener Rede die so genannte Entstalinisierung einleitete, im Übrigen aber als enger Mitarbeiter und Vertrauter von Stalin in dessen Verbrechen verwickelt war.

Die Ermordung des Stabschefs der SA, Ernst Röhm, und weiterer hoher Funktionäre der braunen Terrortruppe Ende Juni/Anfang Juli 1934 wurde von der NS-Propanganda als Akt der Staatsnotwehr und als Maßnahme zur Niederschlagung eines angeblich gegen die NS-Führung gerichteten Putsches ausgegeben. Neben prominenten SA-Leuten wurden weitere Personen ermordet, die wie Kurt von Schleicher, der Vorgänger von Hitler als Reichskanzler, Hitler im Wege standen. Die von ihm und Göring insgeheim vorbereitete Aktion "fand durch Kommandos der SS mit Unterstützung der Gestapo und der Reichswehr statt. Im Ergebnis war die SA entmachtet, und die SS konnte unter Reichsführer Heinrich Himmler eine spürbare Aufwertung verzeichnen.

Nacht der langen Messer

Vergessen war im Sommer 1934, dass die SA wesentlich zur Errichtung und Festigung der Nazidiktatur beigetragen hatte und dass Hitler den SA-Chef immer wieder seiner Dankbarkeit und Freundschaft versichert hatte. Röhm war einer der wenigen Getreuen, der mit Hitler per "du" war. Bis zu seiner Ermordung fühlte sich der Stabschef als zweiter Mann im Staate, was Göring und Goebbels wütend machte. Röhm und seine SA sahen sich als eigentliche Träger der NS-Bewegung und als Erben der laut Versailler Vertrag nur aus 100 000 Mann bestehenden Reichswehr. Hingegen mochte die NSDAP-Führung der SA lediglich den Status einer Ordnungstruppe der Partei zugestehen. Ganz und gar unpassend war, dass sich die SA-Führung auf den im NSDAP-Programm von 1920 geforderten sozialistischen Umbau der Gesellschaft berief und behauptete, ihre Revolution habe ihre Ziele noch nicht erreicht.

Da Hitler das Image eines Straßenkämpfers ablegen wollte und mit Blick auf seine Kriegspläne die Reichswehr beziehungsweise Wehrmacht brauchte, wies er Röhms Behauptung zurück, die Revolution sei noch nicht beendet. Die SS streute derweil Gerüchte über Röhms homosexuelle Neigungen, die damals ein schwerer Straftatbestand waren, und bereitete so auch ideologisch den Schlag gegen die SA-Führung vor. Ernst Röhm wurde am 1. Juli 1934 mit weiteren SA-Führern von einem SS-Kommando von Bad Wiessee nach München ins Gefängnis Stadelheim geschafft und erschossen. Mit ihm starben weitere auf einer "Reichsliste" vermerkte Personen, die Hitler hätten gefährlich werden können. Einer der Orte der Hinrichtungen ohne Recht und Gesetz war die Kadettenanstalt in Berlin-Lichterfelde.

Die "Nacht der langen Messer" wurde nachträglich durch das Gesetz über Maßnahmen der Staatsnotwehr vom 3. Juli 1934 sanktioniert. Hitler schwang sich in einer Rede zum obersten Gerichtsherren auf, der über dem Gesetz steht, und saß nun fest im Sattel. Hitler begründete die Mordaktion unter anderem mit der Homosexualität von Röhm und einiger seiner Spießgesellen. Die vorgetäuschte Empörung zu diesem Punkt nahm niemand dem Diktator ab. Hinter vorgehaltener Hand fragte man sich, wie schockiert er erst sein wird, wenn er erfährt, dass Göring dick ist und Goebbels hinkt.

Nach 1945 schaltete Walter Ulbricht, der starke Mann in der Sowjetischen Besatzungszone beziehungsweise ab 1949 in der DDR, rücksichtslos ehemalige Mitkämpfer aus, indem er sie degradierte, aus der SED ausschließen oder ins Zuchthaus werfen ließ. Im Unterschied zu seinem großen Vorbild Josef Stalin ließ sie der "Spitzbart" Ulbricht am Leben. Erst 1971 hat sein eigener Ziehsohn Erich Honecker ihn kalt gestellt und zu einer "Persona non grata" erklärt. Das gleiche Schicksal erlitten der SED- und Staatschef im Oktober 1989 nach einer Palastrevolution im Zentralkomitee und andere Führer kommunistischer und weiterer Länder, die nicht mehr gebraucht wurden und neuen Herren lästig waren.

2. August 2017

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