Fraktur als Judenletter verteufelt
Lange auch in Nazimedien verwendet, wurde die seit dem 15. Jahrhundert verwendete Schrift durch einen Führerbefehl zu einem Hassobjekt



Wie selbstverständlich verwendeten die Nazis lange Zeit die aus dem späten Mittelalter stammende Fraktur für ihre Publikationen.



Die der Naziideologie geschuldete Bezeichnung "Schwabacher Judenlettern" ist historisch falsch, weil nach der Erfindung der beweglichen Lettern, zu denen auch die abgelehnten Schriftarten zählten, nur Christen als Drucker tätig werden durften.



Propagandaminister Goebbels befolgte eifrig den Willen seines Führers und ließ seine Verlautbarungen in "Normalschrift" verbreiten.



Die von Hitler befohlene Umstellung auf die lateinische "Normalschrift" kam während des Krieges nur schleppend voran und wurde auch bei Münzen beibehalten. (Repros: Caspar)

Der Rassismus der Nationalsozialisten ging so weit, die seit dem 15. Jahrhundert verwendete und auch lange Zeit von ihnen selbst benutzte so genannte deutsche Schrift als undeutsch und jüdisch zu verteufeln. Seit ewigen Zeiten geschrieben und gedruckt, gehört die "gebrochenen Schrift" zur Klasse der Fraktur, die sich in ihrem "spitzen" Duktus klar von den lateinischen Lettern unterscheidet. Über ihren Gebrauch in deutschen Amtsstuben, offiziellen Drucksachen, in den Zeitungen und Zeitschriften sowie in Universitäten, Schulen und an anderen Orten gab es schon vor 1933 einen heftigen Streit über ihre Vorteile und Eigenheiten im Vergleich zur lateinischen Antiqua. Er wurde Nationalsozialismus zu Beginn des Zweiten Weltkriegs radikal zugunsten der besser lesbaren und internatonal gültigen Antiqua entschieden. Das verwundert, wurde doch das wichtigste Buch der Hitler-Ära, nämlich "Mein Kampf", das Nazi-Zentralorgan "Völkischer Beobachter" und vieles andere demonstrativ in deutscher Fraktur gedruckt.

Hitler, der Verfasser, attackierte "jene Rückwärtse, die meinen, eine ‚teutsche Kunst' aus der trauten Welt ihrer eigenen romantischen Vorstellungen der nationalsozialistischen Revolution als verpflichtendes Erbteil für die Zukunft mitgeben zu können". 1934 erklärte er auf dem Nürnberger Parteitag, eine "vermeintliche gotische Verinnerlichung" seiner Anhänger passe nicht in das Zeitalter von Stahl und Eisen, Glas und Beton, von Frauenschönheit und Männerkraft, von hochgehobenem Haupt und trotzigem Sinn. "Unsere Sprache wird in hundert Jahren die europäische Sprache sein. Die Länder des Ostens, des Nordens wie des Westens werden, um sich mit uns verständigen zu können, unsere Sprache lernen. Die Voraussetzung dafür: An die Stelle der gotisch genannten Schrift tritt die Schrift, welche wir bisher die lateinische nannten". Das war schneller gefordert als durchgesetzt. Die Nazipartei selbst und ihre Blätter verhielten sich inkonsequent bei der Nutzung der deutschen oder der lateinischen Schrift.

Um die Unsicherheit ein für allemal zu beendet, fällte Hitler am 3. Januar 1941 seine keinen Widerspruch duldende Entscheidung: Die gotischen Schriften seien sämtlich zugunsten der "Normal-Schrift" aufzugeben. Reichsleiter Martin Bormann bestimmte im Auftrag von Hitler: "Die sogenannte gotische Schrift als eine deutsche Schrift anzusehen oder zu bezeichnen ist falsch. In Wirklichkeit besteht die sogenannte gotische Schrift aus Schwabacher Judenlettern. Genau wie sie sich später in den Besitz der Zeitungen setzten, setzten sich die in Deutschland ansässigen Juden bei Einführung des Buchdrucks in den Besitz der Buchdruckereien und dadurch kam es in Deutschland zu der starken Einführung der Schwabacher Judenlettern. Am heutigen Tage hat der Führer in einer Besprechung mit Herrn Reichsleiter Amann und Herrn Buchdruckereibesitzer Adolf Müller entschieden, dass die Antiqua-Schrift künftig als Normal-Schrift zu bezeichnen sei. Nach und nach sollen sämtliche Druckerzeugnisse auf diese Normal-Schrift umgestellt werden. Sobald dies schulbuchmässig möglich ist, wird in den Dorfschulen und Volksschulen nur mehr die Normal-Schrift gelehrt werden. Die Verwendung der Schwabacher Judenlettern durch Behörden wird künftig unterbleiben; Ernennungsurkunden für Beamte, Straßenschilder u. dergl. werden künftig nur mehr in Normal-Schrift gefertigt werden. Im Auftrage des Führers wird Herr Reichsleiter Amann zunächst jene Zeitungen und Zeitschriften, die bereits eine Auslandsverbreitung haben, oder deren Auslandsverbreitung erwünscht ist, auf Normal-Schrift umstellen."

Der Führerbefehl wurde missmutig zur Kenntnis genommen und ebenso ausgeführt. Die Umsetzung von einem Tag zum anderen war aus wirtschaftlichen und logistischen Gründen nicht möglich. Mitten im Krieg konnte man die Schriften für Zeitungen, amtliche Verlautbarungen und Schulbücher nicht ohne weiteres austauschen, dazu brauchte man einen längeren Vorlauf und Geld für Investitionen.

Hintergrund der vom Deutschen Sprachverein und anderen Betroffenen missbilligten Maßnahme waren die Weltherrschaftspläne der Nazis, denen die im Ausland schwer lesbare Fraktur entgegen standen. Die Umstellung auf die Normalschrift in der Schule und in Lehrmaterialien, in Behörden und den Medien erfolgte unter den Kriegsbedingungen nach und nach recht uneinheitlich. Die in der Tat schwer lesbare Frakturschrift verschwand nach 1945 fast ganz aus der Öffentlichkeit und wird heute gelegentlich in der Werbung und zu besonderen Anlässen nur noch als nostalgischer Gag angewandt.

16. April 2017

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