Spandauer Kriegsverbrechergefängnis
Im Militärgebäude aus der Kaiserzeit saß zuletzt nur noch Hitlers Stellvertreter Rudolf Heß



Nach dem Freitod von Rudolf Heß am 17. August 1987 wurde der Gefängniskomplex an der Spandauer Wilhelmstraße dem Erdboden gleich gemacht, um Neonazis nicht als Gedenk- und Weihestätte zu dienen. Auf dem Foto findet die Wachablösung zwischen französischen und sowjetischen Soldaten statt.



Von Nazifunktionären begleitet, schreitet Rudolf Heß in München eine Front ab, ein paar Jahre später wurde er nach seinem Flug nach England von Hitler für verrückt erklärt.



In seinen besten Tagen als Reichsminister für Bewaffnung und Munition Albert Speer gern als Feldherr und Manager des Endsiegs fotografieren, nach dem Ende der Nazidiktatur gerierte er sich als unpolitischer Technokrat und sogar als verkappter Widerstandskämpfer.



Die von Besuchern der Spandauer Zitadelle oft gestellte Frage nach dem Kriegsverbrechergefängnis wird dahingehend beantwortet, dass es sich nicht in der alten Festung, sondern an einem anderen Ort in Spandau befunden hat. (Foto/Repros: Caspar)

Die Siegermächte teilten sich die Reichshauptstadt unter sich auf, so wie auch das untergegangene Deutsche Reich in Besatzungszonen untergliedert wurde. Neben der im ehemaligen Kammergerichtsgebäude untergebrachten Alliierten Luftsicherheitszentrale war das Spandauer Kriegsverbrechergefängnis die einzige Einrichtung, die von den vier Siegermächten gemeinsam betrieben wurde und auch während des Kalten Kriegs bestand. Das aus der Kaiserzeit stammende Militärgefängnis an der Wilhelmstraße im Berliner Bezirk Spandau war von 1946 bis 1987 das von Soldaten der USA, Sowjetunion, Großbritanniens und Frankreichs bewachte Zuchthaus für die im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess zu langen Freiheitsstrafen verurteilten Nazifunktionäre und Militärs Großadmiral Karl Dönitz, Wirtschaftsminister Walter Funk, Hitlers Stellvertreter Rudolf Heß, Außenminister Konstantin von Neurath, Großadmiral Erich Raeder, Reichsjugendführer und Gauleiter von Wien Baldur von Schirach und Rüstungsminister Albert Speer. Dönitz saß seine zehn Jahre ab und wurde 1956 entlassen, der schwer erkrankte Funk konnte bereits 1957 das Gefängnis verlassen, von Neurath und Raeder kamen 1954 beziehungsweise und 1955 vorzeitig frei. Es blieben dann noch Heß, Speer und von Schirach in dem riesigen Gefängnis übrig.

Nach der Errichtung der NS-Diktatur war der Militärkomplex in ein so genanntes Schutzhaftlager für zahlreiche NS-Gegner umgewandelt worden, zu denen die Publizisten Egon Erwin Kisch und Carl von Ossietzky gehörten. Wer nach dem Zweiten Weltkrieg Spandau sagte, meinte das schwer bewachte Zuchthaus für die sieben Gefangenen, die Häftlingskleidung tragen mussten. In der Reihenfolge, wie sie das Gefängnis betreten hatten, bekamen sie eine Nummer. Der zu 20 Jahren Zuchthaus verurteilte ehemalige Rüstungsminister und Lieblingsarchitekt von Hitler, Albert Speer, war danach Häftling Nummer 5. Die Ziffern waren an der Jacke gut sichtbar zu tragen.

Verhinderte Amnestie

Die vor dem Gebäude in einer feierlichen Zeremonie aufgezogenen Flaggen signalisierten, wer von den vier Siegermächten gerade die Gefängnisverwaltung inne hat. Es muss in dem Gefängnis ziemlich lustig zugegangen sein, denn es gibt Berichte darüber, dass sich die Gefangenen mit Hilfe bestechlicher Helfer Sekt, Schnaps und Kaviar besorgten und so ihren tristen Alltag "verschönten". Besuch war nach einem strengen Reglement möglich, Familienangehörige konnten Zeiten für längere Gespräche ansparen. In den 1950-er Jahren gab es Versuche von Privatpersonen, aber auch von der Bundesregierung und im Bundestag, für den zu 20 Jahren Zuchthaus verurteilten ehemaligen Rüstungsminister und Stararchitekten Albert Speer eine Amnestie zu erwirken. Die Chancen standen dafür nicht schlecht, die Stimmung in weiten Teilen der westdeutschen Bevölkerung tendierte dahin, das "Geschehene" zu vergessen und zu verzeihen und den "guten Nazi", als der sich Speer in Nürnberg dargestellt hatte, freizulassen. Allerdings ließ sich die Sowjetunion auf keine Zugeständnisse ein, und so mussten Speer und der ehemalige Reichsjugendführer und Gauleiter von Wien, Baldur von Schirach, ihre Haftzeit komplett absitzen. Aus dem Zuchthaus lancierte Gerüchte, dass die Häftlinge schlecht behandelt werden, halfen nicht viel, um Stimmung für die Freilassung der Gefangenen zu machen, die Regierung in Moskau blieb hart, verfügte sie doch mit dem Militärgefängnis einen Ort von hoher Symbolkraft im Westteil der ehemaligen Reichshauptstadt.

Für den als "Musterknabe" geschilderten, stets um sportliche Betätigung und Laufen an frischer Luft bemühten Häftling Albert Speer gab es nach draußen eine Linie über seinen Rechtsanwalt zu seinem Vertrauten Rudolf Wolters, der in der Speer unterstehenden Behörde Generalbauinspektor für die Reichshauptstadt und im Arbeitsstab für den Wiederaufbau bombenzerstörter Städte gearbeitet hatte und seinem Chef tief ergeben war. In Coesfeld lebend und ungeschoren als Architekt arbeitend, nahm Wolters Kontakt zu früheren Kollegen auf und schloss sie zum "Anholter Kreis" zusammen, benannt nach der Burg Anholt, die der Runde von Nikolaus Leopold Heinrich zu Salm-Salm zur Verfügung gestellt worden war. Bei den Treffen wurde viel über Unterstützungsmaßnahmen für den in Spandau einsitzenden Speer gesprochen und konkrete Hilfsmaßnahmen für dessen Familie verabredet. Wolters sammelte und ordnete die Kassiber, die Speer in Spandau geschrieben und nach draußen geschmuggelt hatte. Das Interesse der westdeutschen Behörden daran, was Wolters und seine Freunde mit dem Häftling Nummer 5 zu tun haben, scheint nicht ausgeprägt gewesen zu sein. Nachdem Speer 1966 auf freien Fuß gekommen war, kam es zum Bruch in den Beziehungen der früheren Freunde, denn der eingefleischte Nazi warf seinem früheren Chef vor, ehemalige Mitstreiter beim Prozess in Nürnberg verraten zu haben. Besonders verbittert hat es Wolters, dass der zum Medienstar und gut verdienenden Buchautor aufgestiegene Speer von seinem treuen Gefolgsmann Wolters nichts mehr wissen wollte und ihn schlicht ignorierte.

Keine Pilgerstätte für alte und neue Nazis

Albert Speer hatte seine Zeit im Spandauer Gefängnis die Haftzeit zum Abfassen von Tagebüchern, Erinnerungen und Buchmanuskripten genutzt. Die heimlich angefertigten Niederschriften wurden mit Hilfe von bestechlichen Wächtern und Pflegern nach draußen geschmuggelt. Die Veröffentlichung seiner Rechtfertigungsbücher war durch Wolters möglich, der die Zettel treulich gesammelt hatte. Sein "Spandauer Tagebuch" und die "Erinnerungen", aber auch gut bezahlte Artikelserien und Interviews machten Speer zu einem wohlhabenden Mann und trugen zur Legende bei, er habe von Hitlers Verbrechen nichts gewusst und sei nur ein unpolitischer Technokrat gewesen.

Als Albert Speer und der ehemalige Reichsjugendführer Baldur von Schirach am 1. Oktober 1966 inter großer Medienbeteiligung entlassen wurden, blieb als Einziger der frühere Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß noch in Haft. Der war in Nürnberg zu lebenslanger Haft verurteilt worden, die er am 17. August 1987 durch Selbstmord beendete. Einzelheiten des Suizids sind nicht geklärt, Neonazis deklarieren das Ende ihres Idols als Mord. "Es war mir vergönnt, viele Jahre meines Lebens unter dem größten Sohne zu wirken, den mein Volk in seiner tausendjährigen Geschichte hervor gebracht hat", erklärte Heß, unbelehrbar und uneinsichtig, wie er war, in seinem Nürnberger Schlusswort mit Blick auf Hitler. Dieser war in Rage geraten, als er von Heß' spektakulären "Friedensflug" am 10. Mai 1941 nach England hörte. Sofort ließ er Personen aus der engen Umgebung seines für verrückt und zur Unperson erklärten Stellvertreters ihrer Posten entheben und als angebliche Komplizen verhaften.

27. Juni 2017



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