Schlacht der Superlative
Absurder Zahlenschwelgerei in der Nazipresse sollte von eigentlichen NS-Problemen des Regimes ablenken / "Gröfaz" als Spottbezeichnung



Zu Hitlers 50. Geburtstag am 20. April 1939 veröffentlichte die Berliner Morgenpost diese Grafik mit der Überschrift "Der Führer schuf die deutsche Wirtschaft".



Die Fotomontage von John Heartfield, was die Parole "Kanonen statt Butter" wirklich bedeutet.



Mit dem Vierjahresplan versprach Hitler seinen Untertanen wirtschaftlichen Aufschwung und ungeahnten Wohlstand. Dabei hatte sich alles dem geplanten Krieg unterzuordnen. Statt Butter waren Kanonen die Parole.



Kritik an seinen Entscheidungen ließ Hitler nicht zu, selbst hochrangige Militärs mussten damit rechnen, in die Wüste geschickt zu werden, wenn sie den einen oder anderen Befehl hinterfragten. Nach dem Ende des "Dritten" Reichs beriefen sich Hitlers willige Helfer auf den Befehlnotstand und kamen damit oft sogar durch. (Repros: Caspar)

Hitler wurde von seinen Leuten nicht nur als größter Feldherr und Führer aller Zeiten verherrlicht, im Nazireich musste alles noch viel größer, länger, schwerer und sonst wie besser sein als in anderen Ländern. 1937 erfuhren die "Volksgenossen", wenn man aus einer Tagesauflage der deutschen Presse übereinander legen würde, bekäme man einen 20 Kilometer hohen Turm. Diese Menge bedruckten Papiers wurde als Beweis dafür gelobt, dass die Behauptung des Auslandes vom Niedergang der Presse im Dritten Reich Unsinn ist.

Auch sonst war man dort mit Superlativen nicht gerade sparsam. Bei der Berichterstattung über einen Besuch des italienischen Duce Mussolini in Berlin sollen 40 Kilometer Fahnenstoff eingesetzt worden sein. In seinem Buch "LTI" über die Sprache des Dritten Reichs hat Victor Klemperer einen Vergleich zwischen der absurden Zahlenschwelgerei in den USA und in Hitlers Reich gezogen und festgestellt: "Der Zahlengebrauch der LTI mag von amerikanischen Gepflogenheiten gelernt haben, unterscheidet sich aber weit und doppelt von ihnen, nicht nur durch Übersteigerung des Superlativismus, sondern auch durch seine bewusste Böswilligkeit, denn er geht überall skrupellos auf Betrug und Betäubung aus". Als Beispiel zitierte der in Dresden von den Nazis wegen seiner jüdischen Herkunft diskriminierte Sprachwissenschaftler Klemperer aus Wehrmachtsberichten, die von riesigen Mengen an Gefangenen sowie erbeuteten Waffen erzählen, ohne dass Leser und Zuhöre am Radio die Möglichkeit hatten, diese Zahlen zu überprüfen.

Je misslicher die Lage wurde, um so mehr sei die Sprache ins Maßlose und Märchenhafte gesteigert worden, schrieb Klemperer weiter, der am Tag des Bombenangriffs auf Dresden am 13. Februar 1945 dem Abtransport in ein Vernichtungslager entging und das Naziregime mit Hilfe von Freunden überlebte. Selbstverständlich war von eigenen Verlusten in den von Goebbels kontrollierten Medien nie die Rede, vielmehr wurde in der Wochenschau nur "Feindleichen" gezeigt. Statt bei Formulierungen vorsichtig zu sein, hätten Berichterstatter und Kommentatoren zu Übertreibungen gegriffen und ihre Leser und Hörer mit Zahlen, mal mit großen, mal mit kleinen zu beeindrucken versucht. Hitler habe am 26. April 1942 im Reichstag erklärt, Napoleon habe bei 25 Grad Frost gekämpft, er, der Feldherr, tue es bei 45 Grad und mehr, notierte der intensive Tagebuchschreiber und Zeitungsleser Klemperer. Vorsorglich hatte er seine brisanten Aufzeichnungen bei Freunden versteckt, sie wären ihm bei einer Haussuchung durch die Gestapo zum Verhängnis geworden.

Für die Wehrmachttruppen draußen an der Front war diese prahlerische Ankündigung nur ein schwacher Trost. Sie waren schlecht gekleidet, weil Hitler der Meinung war, der im Sommer 1941 begonnene Russlandfeldzug werde in wenigen Monaten beendet sein, und man brauche keine spezielle Winterbekleidung, wie sie von der Generalität gefordert wurde. Die Folge war, dass tausende Soldaten in den Weiten der Sowjetunion den Kältetod starben, doch war eine Berichterstattung darüber verboten. Wo es möglich war, wurden Briefe von den Fronten in die Heimat, die von den unzumutbaren Zuständen sowie von Hunger, Kälte, fehlender Winterkleidung und mangelhafter Ausrüstung berichteten, nicht an die Empfänger weitergeleitet, sondern als Stimmungsbilder der negativen Art der Gestapo und dem Sicherheitsdienst der SS zur Auswertung übergeben. Es war es auch nicht mehr erlaubt, an das Schicksal der Grande Armee 1812 im eisigen Russland und die schmachvolle Flucht von Kaiser Napoleon I. zu erinnern. Klemperer fand die schamlose Kurzbeinigkeit der nazistischen Lügen erstaunlich und betonte, ihr Fundament sei die Überzeugung der Naziführung von der Gedankenlosigkeit und der absoluten Verführbarkeit und Verdummbarkeit der Masse gewesen.

Manchmal lieferten Hitlers willige Helfer unfreiwillig Material für den Spott über den Diktator und Obersten Befehlshaber. Der Begriff "Gröfaz" oder "GröFaZ" war eine ironisch gemeinte Abkürzung für "Größter Feldherr aller Zeiten". Die Bezeichnung kursierte heimlich nach der Niederlage der Wehrmacht in der Schlacht von Stalingrad und wendete ein überschwängliches Lob des Generalfeldmarschalls Wilhelm Keitel nach dem siegreichen Westfeldzuges und der Eroberung der Benelux-Staaten und Nordfrankreichs auf Hitler ins Gegenteil. Keitels Schmeichelwort "Mein Führer, Sie sind der größte Feldherr aller Zeiten" mag Hitler gefallen haben, doch war seine Wirkung bald verpufft.

Allerdings geht das Kürzel "Gröfaz" nicht auf den 1946 in Nürnberg hingerichteten Keitel zurück, den Kenner wegen seiner Unterwürfigkeit hinter vorgehaltener Hand "Lakeitel" nannten, sondern reagiert auf die Vorliebe der Nazis für Abkürzungen. Bertolt Brecht sprach in seinen Erinnerungen vom "Urinstrom des GröFaZ", dem so viele Menschen zugesehen und darüber gelacht haben. "Gröfaz" soll von Hitlers kommandierenden Generälen lange vor dem Ende des Krieges mit Galgenhumor und in ironischer Absicht verwendet worden sein. Das war natürlich streng verboten und hätte eine Anklage für Wehrkraftzersetzung und ein Todesurteil zur Folge gehabt. Nach einer Presseanweisung aus dem Jahr 1942 sollte Hitlers Titel nicht mehr "Führer und Oberster Befehlshaber der Wehrmacht" lauten, sondern nur noch "Führer". Das verschaffte diesem Titel so etwas wie eine religiöse Aura.

Bliebe noch zu sagen, dass auch in der DDR Superlative schwer im Schwange waren. Witzemacher amüsierten sich über die "Tonnenideologie", über das Berauschen an Zahlen und Gewichten und an Erfolgen bei der Planerfüllung zu 150 Prozent und mehr und an Wahlergebnissen zu 99,9 Prozent. Bis zuletzt wurde in den von der SED "angeleiteten", das heißt gegängelten und überwachten Medien behauptet, der zweite deutsche Staat gehöre zu den zehn führenden Industrienationen der Welt ohne zu sagen, wer denn die anderen neun sind. Erich Honecker glaubte an die Zahlen, die er selber fälschte und an das Fernsehen und die Zeitungen weiter gab. Er war auch der felsenfesten Meinung, die DDR bewältige ihre Probleme viel besser als es die Sowjetunion vermag. Dazu passt ein hinter vorgehaltener Hand verbreitetes Bonmot, nach dem jemand einen anderen fragt: "Sag mal, wer sind die größten Länder der Welt mit U?" Die Antwort lautet: "UdSSR, USA und Unsere DDR." Das sagt eigentlich alles.

14. März 2017

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