Edelweißpiraten begrüßten sich heimlich mit "Swing Heil"
Gestapo ging rabiat gegen unangepasste Jugendliche vor und ließ sie in Konzentrationslagern verschwinden



So sehr sich die Naziführung, allen voran Propagandaminister Goebbels als oberster Chef der Reichskulturkammer, auch mit Terror und Drohungen mühten, Swing und Jazz zu unterdrücken und als "undeutsch" zu verteufeln, so wenig ist ihnen das gelungen.



Viele junge Leute ließ die völkische Propaganda kalt. Vielmehr pflegten sie einen Lebensstil, der sie in Konflikt mit ihren Familien brachte sowie von der Gestapo und der Justiz als feindlich und als die Wehrkraft zersetzend verfolgt wurde.



Statt von "oben" angeordneten Sport zu treiben, stramm zu stehen und sich auf den Krieg vorzubereiten, fanden widerständige Jugendliche und Erwachsene überhaupt nicht gut - und begaben sich damit in Lebensgefahr.



So stellte sich die SED nach 1945 fröhliches Jugendleben im Arbeiter-und-Bauern-Staat vor, doch war dergleichen nicht jedermanns Sache. (Repros: Caspar)


Nicht alle "Volksgenossen" ließen sich von den Nazis vereinnehmen. Es gab auch Menschen, die sich ihnen verweigerten und dafür Freiheit und Leben riskierten und oft genug verloren. Illegale Jugendgruppen, die sich Edelweißpiraten, Swingjugend, Cliquen, Meuten oder Fahrtenstenze nannten, hoben sich mit verbotener "Ami"-Musik sowie durch Kleidung und Frisuren von der Hitlerjugend ab. Die vor allem im Rhein-Ruhr-Gebiet wohnenden Edelweißpiraten waren meist junge Arbeiter, die als Erkennungszeichen ein Edelweiß oder eine weiße Stecknadel unter dem linken Rockaufschlag trugen.

Historiker schätzen, dass die Gruppen mehrere tausend Anhänger zwischen 14 und 17 Jahren hatten. Ihr Widerstand äußerte sich in verbotenen Fahrten und Zeltlagern, aber auch im Krieg durch Verbreitung von illegal abgehörten Informationen über den Kriegsverlauf, was als Rundfunkverbrechen mit Zuchthaus und dem Tod bestraft werden konnte. Wenn bei einem Fliegeralarm die Straßen menschenleer waren, schrieben Edelweißpiraten Parolen wie "Nieder mit Hitler" oder "Naziköpfe rollen nach dem Krieg" nach der ofiziellen Parole "Räder rollen für den Sieg" an Mauern oder an Eisenbahnzüge.

Das NS-Regime bestrafte die oppositionellen Jugendlichen mit Gefängnis und Jugend-KZ, schreckte aber auch nicht vor der Todesstrafe zurück. In dem 1940 eingerichteten Jugend-KZ Moringen bei Göttingen wurden unangepasste und renitente Jugendliche, wie es im Amtsdeutsch hieß, unter ihnen viele Edelweißpiraten, unter unmenschlichen Bedingungen gefangen gehalten und zu schwerer Zwangsarbeit genötigt. Außerdem gab es das Konzentrationslager Uckermark in der Nähe des Frauen-KZ Ravensbrück sowie in Litzmannstadt (?ód?) ein Lager für polnische und tschechische Kinder und Jugendliche sowie weitere über das Reich verstreute Lager dieser Art.

Kontakte zum Widerstand

Manche Edelweißpiraten hatten Kontakte zum Widerstand auf. Die wohl bekannteste Gruppierung dieser Art war die im Kölner Arbeiterstadtteil tätige Ehrenfelder Gruppe. Das Reichssicherheitshauptamt ging gegen die Jugendgruppen unbarmherzig vor. In einem internen Bericht heißt es, dass Mitglieder der Berliner Clique "Knietief" festgenommen wurden. "Sie kamen fast täglich in einem Café im Nord-Osten Berlins zusammen. Bei Jazz-Musik wurde getanzt und ,gehottet'. Ein Angehöriger der Clique hatte die Wohnung seiner abwesenden Eltern für ,Budenzauber' zur Verfügung gestellt, wobei es zu alkoholischen Exzessen und sittlichen Ausschreitungen mit Mädchen kam. Sie verübten ferner Überfälle auf HJ-Angehörige, rissen ihnen die HJ-Abzeichen ab und belästigten sie. Allgemein wurde langer Haarschnitt getragen. Zwei Cliquenangehörige, bei denen es sich um jüdische Mischlinge I. Grades handelt, wurden einem Arbeitserziehungslager zugeführt; 12 Jugendliche sind dem Jugendrichter überstellt worden." Da es im Reichsstrafgesetzbuch keine Bestimmungen für jugendliche Cliquenbildung gab, wurden allgemeine Paragraphen auf die jungen Leute angewendet. Erst eine Richtlinie zur Bekämpfung jugendlicher Cliquen vom 25. Oktober 1944 legte Einzelheiten fest.

Zentrum der von der Gestapo beobachteten und bekämpften Swing-Bewegung, in der man sich manchmal unter sich mit "Swing Heil" begrüßte, war Hamburg. Das Ausbrechen aus den jugendpolitischen Vorgaben des NS-Regimes wurde mit Jugendhaft, Einweisung in ein Konzentrationslager und Schlimmerem bestraft. Selbstverständlich hörten unangepasste Jugendliche heimlich so genannte Ami- oder Niggermusik oder machten selber welche. Der nach dem Krieg bekannt gewordene Jazzmusiker Emil Mangelsdorff war Mitglied der illegalen Hotclub Combo in Frankfurt am Main. Wegen seines Spiels von verbotenem Jazz wurde er Anfang 1943 verhaftet und interniert. Nach Kriegsdienst und Gefangenschaft schloss er sich der Frankfurter Jazzszene an.

Als im Großdeutschen Rundfunk gelegentlich Jazzmusik gespielt wurde, legte der darüber entsetzte Goebbels 1941 fest, grundsätzlich sei Musik mit verzerrten Rhythmen und atonaler Melodienführung verboten, ebenfalls wurde die Verwendung von so genannten gestopften Hörnern untersagt. Der Minister war überzeugt, dass Musik, die Melodien gänzlich verhöhne und nur noch das Rhythmische durch "übeltönendes Instrumentengequieke" betone, ganz und gar abzulehnen sei. Mit großem Ärger registrierte er, dass Feindsender gerade auch deshalb gern von Deutschen abgehört wurden, weil sie die vom NS-Regime unterdrückte "schräge" Musik spielten.

Monotonie des yeah, yeah, yeah

Nicht unerwähnt sollte sein, dass sich in der DDR der damalige SED- und Staatschef Walter Ulbricht maßlos über Ami-Schlager und Rock'n Roll erregte und einen neuen Tanzstil, den Lipsi, durchzusetzen versuchte. Von dem "Gehüpfe" junger Leute in so genannten Texashemden und engen "Nietenhosen", also Jeans, angewidert, forderte der Sachse kategorisch: "Mit der Monotonie des yeah, yeah, yeah und wie das alles heißt, sollte man doch Schluss machen." Das Zentralorgan der FDJ "Junge Welt" wusste über Elvis Presley zu berichten: "Sein ,Gesang glich seinem Gesicht: dümmlich, stumpfsinnig und brutal. Der Bursche war völlig unmusikalisch […] und röhrte wie ein angeschossener Hirsch, nur nicht so melodisch." Der Arbeiter-und-Bauern-Staat verlangte "Sozialistische Jugendtanzmusik", und die Tanzkapellen sollten einen eigenen optimistischen Stil finden, der das positive Lebensgefühl der Arbeiterklasse der DDR ausdrückt. Dieses Ziel wollte die Staatspartei SED durch Verbote einerseits und Förderung systemkonformer Musiker andererseits erreicht werden. Allerdings gingen solche Vorgaben in die Hose, die Dominanz englischer und amerikanischer Hits und Trends war unüberhörbar und kam durch den Äther in die DDR.

25. Januar 2017

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