Falsche Tagebücher und echte Protokolle
Mit Hitlers angeblichen Aufzeichnungen tat sich 1983 das Magazin "Stern" keinen Gefallen



Die triumphale Pose des Journalisten Gerd Heidemann 1983 bei der Präsentation der falschen Hitler-Tagebücher wurde in dem Film "Schtonk" auf unnachahmliche Weise von Götz George nachempfunden. Der ganz auf Auflage und Profit orientierte "Stern" war bis auf die Knochen blamiert.



Bei den 62 von Konrad Kujau fabrizierten und dem "Stern" für 9,3 Millionen DM verkauften Kladden war nichts echt und alt. Das erkannten erst Experten vom Bundeskriminalamt. Am kruden Inhalt hatte zuvor weder die Rekation noch prominente Historiker Anstoß genommen. Damals gab es einen Spott "So echt wie Hitlers Tagebücher", heute werden Fake News ganz anderer Dimension produziert und geglaubt.



In dem Film "Der große Diktator" bedient sich Charlie Chaplin in der Pose des Adenoid Hynkel einer Kunstsprache, die durchaus verstanden werden kann. Chaplin räumte nach dem Zweiten Weltkrieg ein, wenn er den ganzen Umfang des Holocausts gekannt hätte, dann hätte er die Satire nicht gedreht.



Mit seinen Hitler schmeichelnden Aufzeichnungen machte der manische Tagebuchschreiber nicht nur viel Geld, sondern schwang sich auch zum Chronisten des "Dritten Reichs" auf. Als historische Quelle taugen "Vom Kaiserhof zur Reichskanzlei" und ähnliche verlogene Machwerke nichts. (Repros: Caspar)

Als das Hamburger Nachrichtenmagazin "Stern" am 28. April 1983 verkündete, es sei im Besitz von privaten Tagebüchern Adolf Hitlers, rieb sich die Welt verwundert die Augen. Hitler und Tagebücher schreiben? Das war einfach sensationell, das kannte man nur von seinem Propagandaminister Joseph Goebbels, der ein manischer Tagebuchschreiber war und seine Aufzeichnungen als ein Mittel für seinen Ruhm und Nachruhm ansah. 1934 ließ er seine "dem Führer" gewidmeten Tagebücher unter dem Titel "Vom Kaiserhof zur Reichskanzlei" veröffentlichen. Aufklärung über die Befindlichkeiten der Nazis wenige Monate vor ihrer "Machtergreifung" kann man von ihnen nicht erwarten, Die Tagebücher sind mit Gift und Galle geschrieben, sie zeigen nur die triumphalen Gefühle, die Goebbels auf dem Weg zur diktatorischen Macht empfand, und lassen ahnen, was er und seinesgleichen mit den Gegnern des Regimes vorhatten.

Bei Hitler wusste man nur von mitgeschriebenen Tischreden im Führerhauptquartier, die nach 1945 veröffentlicht wurden, und von offiziellen Diensttagebüchern. Der Quellenwert der Monologe am Mittagstisch und beim Abendessen ist nicht hoch anzusetzen, in der Literatur über Hitler, sein Großdeutsches Reich und den Zweiten Weltkrieg spielen sie nur am Rand und dann auch eher als Kuriosität eine Rolle. Die monströsen Ausmaße der deutschen Vernichtungspolitik im Zweiten Weltkrieg treten aus anderen Dokumenten viel klarer zutage.

Des "Führers" menschliche Züge

Nach dem Auftauchen der angeblichen Hitler-Tagebücher behauptete der "Stern" und versprach sich davon den profitablen Verlauf einer Riesenauflage, jetzt müsse die jüngste Geschichte umgeschrieben werden, denn der "Führer" habe auch menschliche Züge gehabt. Er sei mit Krankheit und Skrupeln geschlagen gewesen und war eigentlich ein einsamer Mann, der so gern Künstler geworden wäre. Für Alt- und Neonazis war die Legende vom "menschlichen" Hitler ein gefundenes Fressen.

Wie groß war dann die Blamage, als sich herausstellte, dass unter großem Blitzlichtgewitter vorgestellten Aufzeichnungen in 63 Heften von A bis Z erfunden sind, zusammengestoppelt aus Biographien und Befehlen, Erlassen, Memoiren und Zeitungsausschnitten oder frei erfunden, aber immer abgefasst in gut nachgeahmter Schreibschrift. Da Historiker und Graphologen die Echtheit der ihnen zur Begutachtung vorgelegten Kladden zunächst leichtfertig bestätigt hatten und nichts dabei fanden, dass manche Details nicht stimmen, ließ sich der "Stern", ein riesige Geschäft und internationales Ansehen fest im Blick, täuschen. Erst als Spezialisten vom Bundeskriminalamt mit Schriftvergleichen und Untersuchungen von Tinte, Papier, Einband und Heftfaden feststellten, dass die Tagebücher nach Hitlers Tod verfasst wurden, flog der Schwindel auf.

Als Fälscher wurde der Zeichner und Karikaturist Konrad Kujau entlarvt. Über eine Clique von Altnazis bekam er Verbindung zu dem Reporter Gerd Heidemann und über diesen zum "Stern", dem er sage und schreibe 62 Bände sogenannter Hitler-Tagebücher für 9,3 Millionen DM verkaufte. Kujau hatte es verstanden, seine Machwerke inhaltlich und optisch so zu gestalten, dass man an ihnen zunächst keinen Anstoß nahm und sich seriöse Experten wie der britische Historiker Hugh Trevor-Roper täuschen ließen. Der beim "Stern" beschäftigte Journalist Gerd Heidemann hatte gehört, Kujau könne von dort Hitlers ganz und gar unbekannte Tagebuchaufzeichnungen beschaffen. Das Magazin ließ sich den Deal die enorme Summe von 9,3 Millionen DM kosten. Der Skandal war für sein Ansehen als seriöses Medium höchst peinlich und geschäftsschädigend, und die Konkurrenz jubilierte.

Die Betrugsaffäre konnte sich in einer Zeit entfalten, als sich die deutsche und die Weltöffentlichkeit nach dem Motto "Hitler geht immer" verstärkt mit den Verbrechen des Nationalsozialismus befasste und Prozesse gegen NS-Mörder stattfanden. Auf der anderen Seite erhoben Alt- und Neonazis frech ihr Haupt und versuchten, das NS-Regime und seine Protagonisten reinzuwaschen und einen Schlussstrich unter die Zeit zwischen 1933 und 1945 zu ziehen mit dem Argument "Bei Hitler war nicht alles schlecht". Nachdem der Coup aufgeflogen war, wurde der aus Sachsen stammende Kujau, der seit in der Bundesrepublik Deutschland eine akademische Kunstausbildung erhalten, aber mit seinen Bildern wenig Erfolg hatte, im Juli 1985 vom Landgericht Hamburg wegen Betruges zu vier Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt. Er kam aber schon nach drei Jahren wegen einer schweren Kehlkopfkrebs-Erkrankung frei. Bis zu seinem Tod im Jahr 2000 verdiente er als Kunstmaler und Hersteller von "Original Kujau-Fälschungen" im Stil der alten Meister einiges Geld. Der zum Opfer der eigenen Hybris und der Gier seiner Vorgesetzten gewordene Reporter Heidemann wurde mit Schimpf und Schande vom "Stern" entlassen. Nach einer Strafanzeige des bis auf die Knochen blamierten Herausgebers und Chefredakteurs Henri Nannen wegen des Verdachts des Betruges angeklagt, wurde er im Juli 1985 vom Hamburger Landgericht zu vier Jahren und acht Monaten Haft verurteilt.

Mundgeruch und Blähungen

Die Story wurde 1992 auf unnachahmliche Weise in dem Film "Schtonk" mit Uwe Ochsenknecht und Götz George in den Hauptrollen dramatisiert. Dass Hitler den gefälschten Tagebüchern Mundgeruch und Blähungen hat, finden im Film die Chefs des Nachrichtenmagazins "Stern" bemerkenswert, und so lassen sie alle Vorsicht fahren, die beim Auftauchen unbekannter Dokumente und natürlich auch von teuren Kunstwerken obligatorisch ist. Der Filmtitel ist dem Film "Der große Diktator" entnommen, in dem sich Charlie Chaplin in der Rolle des aufgeblasenen Diktators Adenoid Hynkel einer irgendwie "deutsch" klingenden Pseudosprache bedient und mehrmals "Demokratsie Schtonk! Liberty Schtonk! Free Sprekken Schtonk!" ins Mikrofon brüllt und damit "Demokratie wird abgeschafft! Freiheit wird abgeschafft! Redefreiheit wird abgeschafft!" meint. Von da ist es nicht weit zu dem deutschen Wort Stunk, mit dem Zank, Streit, Unfrieden und Nörgelei ausgedrückt wird. Gerd Heidemanns nicht erfundene Beziehung zu Edda Göring, der Tochter des 1946 hingerichteten Reichsmarschalls, wurde in "Schtonk" satirisch auf die Schippe genommen.

Im Unterschied zu Kujaus erfundenen Hitler-Tagebüchern sind die Gesprächsprotokolle echt, die der Diktator von Frühherbst 1942 bis April 1945 durch ehemalige Reichstagsstenografen von seinen Lagebesprechungen anfertigen ließ. Hwollte durch die wortwörtlichen Mitschriften für die Nachwelt festgehalten wissen, was er seinen Generalen befohlen hat, um sie im Streitfall mit dem Hinweis, sie hätten gegen seine Befehle gehandelt, zur Rechenschaft ziehen zu können. Zuvor war der Inhalt der Lagebesprechungen nur in Stichworten festgehalten worden. Die Aufzeichnungen nicht nur über Dienstbesprechungen, sondern auch von privaten Unterhaltungen und sogar von Telefonaten zeigen, wer in die verbrecherische Kriegführung verwickelt war und wie willig und ohne Skrupel Militärs und hohe NS-Funktionäre auf das reagierten, was ihr Anführer ihnen befahl.

Brisante Dokumente wurden vernichtet

Niemand war in den letzten Kriegstagen daran interessiert, dass diese in Kurzschrift abgefassten Aufzeichnungen sowie die Abschriften den NS-Staat überleben. Die Fassung für die Reichskanzlei ist mit weiteren Akten verbrannt worden, ein zweiter Satz wurde von dem Wehrmachtshistoriker Generalmajor Walter Scherff vernichtet, bevor er, in Gefangenschaft geraten, Selbstmord beging. Scherff war am 17. Mai 1942 von Hitler zum "Beauftragten des Führers für die militärische Geschichtsschreibung" ernannt worden. In dem Erlass wird ihm aufgetragen:: "Wie das gewaltige Geschehen dieses Krieges eine Einheit darstellt, so muss seine Geschichte auch nach einheitlichen Gesichtspunkten geschrieben werden. Ich habe daher den Oberst d. G. Scherff mit der grundlegenden Darstellung des großdeutschen Freiheitskampfes beauftragt, ihn für die entsprechende Ausrichtung des gesamten militärischen Schrifttums verantwortlich gemacht und ihm zunächst das Ziel gesetzt, alle Grundlagen für diesen Zweck zu schaffen." Scherff sei bevollmächtigt, die kriegsgeschichtlichen Einrichtungen der Wehrmachtteile zur Mitarbeit heranzuziehen und in deren Aufgabenstellung und Arbeitsweise Einblick zu nehmen. Er habe ihm, Hitler, laufend über den Fortgang seiner Arbeit zu unterrichten. Der Wehrmachtshistoriker hatte sich durch liebedienerische Publikationen über den "Größten Feldherrn aller Zeiten" (Gröfaz) empfohlen, wie man Hitler hinter vorgehaltener Hand und wenn kein Spitzel in der Nähe nannte. Er war bei allen wichtigen Lagebesprechungen dabei und erlitt beim Attentatsversuch von Oberst Graf Schenk von Stauffenberg am 20. Juli 1944 schwere Verletzungen.

Der dritte, mehr als 110 000 Seiten umfassende Protokollsatz sowie die originalen Stenogramme wurden von den beiden Stenografen in einem Flugzeug nach Berchtesgaden gebracht, um sie zu verbrennen. Da das nicht vollständig gelang, wurde ein kleiner Teil der Aufzeichnungen von den Amerikanern sichergestellt, entziffert und für den Nürnberger Kriegsverbrecherprozess aufbereitet. Aus einer dieser Mitschriften geht hervor, dass Hitler am 22. April 1945 gegen den Rat seiner Generale kategorisch erklärt hat, in Berlin bleiben zu wollen und dort, wenn es denn sein müsse, auch sterben werde. Eine andere Mitschrift enthält den Führerbefehl, nach dem alle Piloten der Alliierten umzubringen seien, wenn man ihrer nach Abschuss oder Notlandung habhaft wird.

7. Oktober 2017

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