Macht triumphierte über freiheitlichen Geist
Preußens König Friedrich Wilhelm III. brach sein Verfassungsversprechen, und die Karlsbader Beschlüsse ebneten Weg für massive Unterdrückung der Opposition



Die Befreiungskriege von 1813 bis 1815 stärkten bei den Deutschen die Hoffnung und frischen Wind und dass sie endlich an der Gestaltung der öffentlichen Dinge mitreden können.



Zar Alexander I. von Russland, Kaiser Franz I. von Österreich und König Friedrich Wilhelm III. von Preußen waren sich einig, keinen Zipfel Macht an ihre Untertanen abzugeben.



Die gleichen Herrscher beschworen mit den Karlsbader Beschlüssen von 1819 ihr Bündnis gegen demokratische Bestrebungen in ihren Ländern und Europa. Ziel war die Wiederherstellung eines Ständestaates wie im vermeintlich vorbildlichen Mittelalter. Der Duktus dieses Bildes zeigt, wohin die Reise gehen sollte.



Die Ermordung des Schriftstellers, Verlegers und Diplomaten in russischen Diensten August von Kotzebue am 23. März 1819 war der offizielle Grund für den Erlass der Karlsbader Beschlüsse, doch wäre wohl auch ein anderes Ereignis zum Anlass für die flächendeckende Unterdrückung demokratischer Bestrebungen genommen worden.



Durch ein Heer von Zuträgern sicherten sich die Fürsten Herrschaft und Wissen über das Denken ihrer Untertanen, im 20. Jahrhundert wurde das Spitzelsystem in Deutschland und vielen anderen Staaten weiter perfektioniert.



In der Märzrevolution von 1848 verlor Metternich seine Ämter und machte sich aus dem Staub. Die Karikatur zeigt den Fürsten mit langer Nase und einem Geldbeutel unter dem Arm auf dem Weg nach England. Nach Aufenthalten dort und in Belgien kehrte er 1851 nach Wien zurück, ohne nennenswerten politischen Einfluss zu gewinnen. (Repros: Caspar)

Panische Angst vor sozialen Unruhen, gar vor revolutionären Entwicklungen nach französischem Vorbild sorgte dafür, dass Preußens König Friedrich Wilhelm III. nach den Befreiungskriegen von 1813 bis 1815 von seinem Versprechen abrückte, in seinem Land verfassungsmäßige Zustände herzustellen. Er und sein hochadliger Clan befürchteten, dass eine Konstitution die Allmacht der Monarchie beschneidet, und dagegen gab es am Berliner Hof massiven Widerstand. Mit der Aussicht auf die Beteiligung des Volkes an den öffentlichen Dingen waren ab 1813 zahllose Preußen zu den Waffen geströmt und hatten Leben und Gut geopfert, um das Land von der napoleonischen Fremdherrschaft zu befreien. Sie vertrauten ihrem König, der am 22. Mai 1815 ziemlich verquast erklärt hatte: "Die Geschichte des preußischen Staates zeigt zwar, dass der wohlthätige Zustand bürgerlicher Freiheit und die Dauer einer gerechten, auf Ordnung gegründeten Verwaltung in den Eigenschaften der Regenten und in ihrer Eintracht mit dem Volke bisher diejenige Sicherheit fanden, die sich bei der Unvollkommenheit und dem Unverstande menschlicher Einrichtungen erreichen lässt. Damit sie jedoch fester gegründet, der preußischen Nation ein Pfand Unseres Vertrauens gegeben und der Nachkommenschaft die Grundsätze, nach welchen Unsere Vorfahren und Wir selbst die Regierung Unseres Reichs mit ernstlicher Vorsorge für das Glück Unserer Unterthanen geführt haben, treu überliefert und vermittelst einer schriftlichen Urkunde, als Verfassung des preußischen Reichs, dauerhaft bewahrt werden, haben Wir Nachstehendes beschlossen: Es soll eine Repräsentation des Volkes begründet werden."

Angst vor Veränderung

Das Echo auf die Ankündigung, eine Verfassung zu erlassen, war geteilt. Die einen meinten, dass es längst an der Zeit ist, in Preußen verfassungsmäßige Zustände herzustellen und den Handlungen des Königs und der Regierung einen festgeschriebenen Rahmen zu geben, also Willkür und Selbstherrschertum auszuschalten. Andere fürchteten um ihre Vorrechte in der feudalen Ständegesellschaft und ihre Einkünfte aus der Gutsherrschaft, sahen sich gar schon wie in der Zeit der französischen Revolution von 1789 am Galgen baumeln oder unter dem Fallbeil enden. Sie forderten den König auf, von dem Verfassungsplan Abstand zu nehmen und auch gleich noch die als lästig empfundenen Stein-Hardenbergschen Reformen aus der Zeit nach Preußens größter Niederlage 1806 zurückzunehmen. Verfassungsgegner malten dem König aus, dass es gegen die Tradition und das Wohl des Staates sein würde, wenn er sich dem Willen einer Mehrheit und den Worten einer "Urkunde" unterwirft. Denn das käme einer Teilung der Staatsgewalt gleich, die der Herrscher niemals aus der Hand geben darf.

Friedrich Wilhelm III. ließ von dem Vorhaben ab und brach sein Verfassungsversprechen. Seine ganze Aufmerksamkeit galt den Ergebnissen des Wiener Kongresses von 1814/15, durch den Preußen erheblichen Land- und Machtzuwachs erhalten hatte. So konnte der Adel weiter seinen Geschäften nachgehen und die Privilegien seines Standes genießen, von irgendwelche Schranken und Verpflichtungen unbekümmert. "Das Versprechen, dem preußischen Volke eine Verfassung zu gewähren, ist, in der Zeit der Not gegeben, in der Zeit der Ruhe und des Glückes nicht gehalten worden. Spätere Geschlechter haben büßen müssen, was Undank und Trotz damals verschuldet haben", fasst der Berliner Historiker Adolf Streckfuß wenige Jahrzehnte später seine Enttäuschung über den Wortbruch des Königs von Preußen zusammen.

Friedhofsruhe und Aufstände

Im Ergebnis der Befreiungskriege von 1813 bis 1815 standen Russland, Österreich und Preußen mächtiger denn je dar und spielten im Konzert der europäischen Völker eine herausragende Rolle. Am 26. September 1815 kamen die Herrscher dieser Länder in Paris überein, gegen Freiheitsbestrebungen und das Verlangen nach verfassungsmäßigen Zuständen in ihren Ländern und im übrigen Europa politisch, geheimdienstlich und auch mit Waffengewalt vorzugehen. Der als Heilige Allianz bekannte Verbund hatte das Ziel, die feudalen Verhältnisse zu zementieren und Bestrebungen einen Riegel vorzuschieben, die Völker an der Gestaltung ihrer eigenen Verhältnisse zu beteiligen. Die Heilige Allianz entwickelte sich unter Berufung auf Gottes Willen zu einem auf Verbreitung von Angst, Polizeigewalt und Spitzelwesen beruhenden Unterdrückungswerkzeug.

Über Preußen und andere Länder des Deutschen Bundes sowie weite Teile Europas breitete sich Friedhofsruhe aus, doch brodelte es im Untergrund, und es brachen in Polen, Italien, den Niederlanden, Frankreich, Griechenland und anderen Ländern Aufstände und Revolutionen aus, die die Fürsten das Fürchten lehrten und unter hohen Opfern an Blut und Gut niedergeschlagen wurden. Vier Jahre nach den Befreiungskriegen schränkten deutsche Fürsten, allen voran der Kaiser Franz I. von Österreich und Friedrich Wilhelm III. von Preußen, die Arbeit der Universitäten und der Presse massiv ein. Die im Ergebnis einer Konferenz im böhmischen Karlsbad vom 6. bis 31. August 1819 erlassenen Bestimmungen legten harte Maßnahmen gegen "revolutionäre Umtriebe" sowie zur Verfolgung von so genannten Demagogen fest und versetzten der Gedanken- und Pressefreiheit einen schweren Schlag. Durch strikte Anwendung der Zensur sollte alles verhindert werden, was in Österreich-Ungarn, im preußischen Staat und den übrigen Mitgliedsländern des 1815 gegründeten deutschen Bundes bei den Regierungen "Missvergnügen" erregt und gegen die bestehende Ordnung aufreizt.

Das System Metternich

Wer nach dem Sieg über den französischen Kaiser Napoleon I. an die Verheißungen der Fürsten erinnerte und ihre Einlösung forderte, wurde als Demagoge, also Volksverführer, Freigeist und Königsmörder verfolgt. In dieser Hinsicht tat sich Klemens Wenzel Lothar Fürst von Metternich hervor. Der österreichische Staatskanzler überzog sein Land und halb Europa mit einem Netz von Geheimpolizisten und baute einen Unterdrückungsapparat auf, wie man ihn bisher noch nicht kannte. Über den Politiker gibt es unterschiedliche Meinungen. Sein Bild schwankt "von der Parteien Gunst und Hass verwirrt" in der Geschichte, um ein Wort von Friedrich Schiller über den kaiserlichen Feldherren Albrecht von Wallenstein zu zitieren. Die einen sehen ihn als großen Europäer, der konservative Werte gegen den demokratischen Zeitgeist verteidigt. Andere erblicken in dem Namensgeber des "Systems Metternich" einen engstirnigen Reaktionär, der nicht erkannte, dass das Ancien régime, also die alte Fürsten- und Adelsherrschaft, abgewirtschaftet hat und Europa frischen Wind braucht.

Metternich setzte durch, dass an dem nunmehr von den Bourbonen regierten Frankreich keine Rache geübt wird, und er war auch zur Stelle, als sich die Siegermächte an ehemaligen Verbündeten von Napoleon I. schadlos hielten. Die von Metternich initiierte Heilige Allianz wurde zu einem auf Polizeigewalt und Spitzelei beruhenden Werkzeug zur Unterdrückung demokratischer Bestrebungen ausgebaut. Das machte den Fürsten zu dem wohl bestgehasstetsten Mann im damaligen Europa.

Von Angst getrieben

Getrieben von der Angst, in Europa könne es zu revolutionären Unruhen wie im späten 18. Jahrhundert in Frankreich kommen, nahmen die Regierungen die Ermordung des Schriftstellers und russischen Generalkonsuls August von Kotzebue am 23. März 1819 durch den Studenten und Burschenschafter Karl Ludwig Sand zum Anlass für die drastische Knebelung des freien Geistes und die Ausschaltung oppositioneller Kräfte. Verboten war von jetzt ab jede Kritik an der Feudalherrschaft und am fürstlichen Gottesgnadentum. Die Karlsbader Beschlüsse wurden als so diskriminierend empfunden, dass ihre Abschaffung bei immer wiederkehrenden Protesten gegen die Unterdrückung der Meinungsfreiheit und dann auch in der Revolution von 1848/49 auf der Tagesordnung standen. Zwar wurden in der Kaiserzeit nach 1871 die Zensurbestimmungen gelockert, doch der Tatbestand der Majestätsbeleidigung, der Gotteslästerung und der revolutionären Agitation, was immer man darunter verstand, war weiter mit hohen Strafen belegt, wurden aber von gewitzten Autoren und Verlagen trickreich umgangen.

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4. Juni 2017

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