Zersetzen, ausgrenzen, paralysieren
Das MfS bediente sich brutaler, aber auch ausgefeilter Methoden, um die Opposition im Lande klein zu halten





Wer im Stasigefängnis Berlin-Hohenschönhausen seinen Vernehmern gegenüber saß und dort eingesperrt war, durfte auf Verständnis und Fairness nicht hoffen.





Sorgsam beobachtete der Geheimdienst so genannte feindlich-negative Gruppen und einzelne Oppositionelle und sammelte deren insgeheim vervielfältigen Schriften, um sie gegen ihre Urheber einzusetzen.



In der Gedenkstätte im Haus 1 des Mielke-Ministeriums für Staatssicherheit an der Ruschestraße in Berlin-Lichtenberg sind Hinterlassenschaften der Staatssicherheit ausgestellt, hier nach Orten und Straßen geordnete Karteikarten mit Daten verdächtiger DDR-Bewohner. (Fotos/Repros: Caspar)

Die Methoden des Ministeriums für Staatssicherheit reichten von plump-brutal bis ausgefeilt-psychologisch, doch stets ging es darum, die in der Gewalt des DDR-Geheimdienstes befindlichen Häftlingen so zu "bearbeiten", dass sie sich selbst bezichtigen und die ihre Komplicen, so sie welche hatten, verraten. Wenn die Häftlinge Geständnisse unterzeichneten, waren die Vernehmer am Ziel. Durch Zersetzung, Ausgrenzung und Paralysierung wurde mit Hilfe von eingeschleusten Spitzeln und Verrätern versucht, so genannte feindlich-negative Personen und oppositionelle Gruppen auszuschalten, wie es im Stasi-Jargon hieß. In den nach 1990 veröffentlichten geheimen Dokumenten des MfS finden sich theoretische Ausarbeitungen und konkrete Maßnahmepläne darüber, wie die offiziellen und die inoffiziellen Stasi-Mitarbeiter bei ihrer Zersetzungsarbeit vorgingen. Friedens- und Umweltgruppen sowie Anhänger der Aktion "Schwerter zu Pflugscharen" und andere Regimegegner wurden durch gezielt gestreute Falschmeldungen zersplittert.

Mielkes Geheimdienst hat Regimegegner, sofern sie nicht gleich eingesperrt und "isoliert" wurden, demonstrativ rund um die Uhr beobachtet mit dem Ergebnis fotografiert, dass Freunde und Sympathisanten um die betreffenden Personen einen Bogen machten. "Wanzen" wurden in Wohnungen und am Arbeitsplatz platziert, und es wurden Gesprächsprotokolle angefertigt. Es gab Tag und Nacht Telefonterror, sofern jemand ein Telefon hatte. Die Stasi hat Kinder durch gezielte Verdächtigungen und Verleumdungen ihren Eltern entfremdet sowie Ehen durch Gerüchte über angebliches Fremdgehen entzweit, und es wurden fingierte Berichte über Säufer, Pornografen, Kinderschänder, Hurensöhne und Huren in Umlauf gebracht. Alles in allem hat die Stasi nichts unversucht gelassen, um der Opposition im Lande das Genick zu brechen und zu verhindern, dass die Gruppen untereinander kommunizieren und ihre Kräfte zum Schaden des Regimes vereinen.

Zwietracht und Misstrauen

Zum Repertoire der Stasi gehörte die Inszenierung beruflicher Misserfolge, bei Akademikern die Behinderung wissenschaftlicher Forschung oder bei Malern und Schriftstellern die Verweigerung einer Mitgliedschaft im Künstlerverband, die Voraussetzung zur Selbstverwirklichung und zum Gelderwerb durch künstlerische Arbeit war. In ihrem Buch "Zersetzen. Strategie einer Diktatur" hat Sandra Pingel-Schliemann die ausgefeilten Methoden der "operativen Psychologie" und ihre Auswirkungen analysiert sowie Schicksale von Personen dokumentiert, die von der Staatssicherheit in aussichtslose Situationen getrieben wurden und unter Depressionen, Unsicherheit, Minderwertigkeitsgefühlen, Unlust, Angst, Schlaf- und Essstörungen und Panikattacken litten.

Manche Stasiopfer wurden so weit getrieben, dass sie sich dem Regime anpassten und ihre oppositionelle Haltung aufgaben. Hinzu kam, dass von den "staatlichen Organen" vielfach eine Bindung an den Wohnort sowie Berlin-Verbote ausgesprochen wurden. In Stasi-Berichten wird immer wieder befriedigt festgestellt, das Sähen von Zwietracht und Misstrauen zeige Erfolge, etwa wenn sich eine Person ins Private zurückzieht und aus einer Friedens- oder Umweltgruppe aussteigt. Manche Betroffene, die ja eigentlich nur einen "besseren Sozialismus" haben und sich nicht von der Staatspartei vereinnahmen lassen wollten, begingen Selbstmord.

Für das SED-Regime waren all diese, wie es hieß, feindlich-negativen Personen verloren. Das Beste war für die zu Staatsfeinden abgestempelten Jugendlichen, Männer und Frauen, ihre Ausreise zu beantragen oder, wenn sie im Gefängnis saßen, auf den Häftlingsfreikauf zu hoffen. Die Wirkungen der Zersetzungs- und Ausgrenzungsaktionen auf die Betroffenen, ihre Familien und ihr Umfeld waren verheerend. Wenn die Maßnahmen der Stasi durchschaut wurden und man einen sehr starken Willen sowie einen intakten familiären Hinter- und Untergrund hatte, konnte man die Drohungen und Drangsalierungen einigermaßen überstehen. Auch solche Fälle hat es gegeben.

Liebeskummer zerreißt das Herz

In der Gedenkstätte Haus 1 des Ministeriums für Staatssicherheit an der Ruschestraße in Berlin-Lichtenberg werden folgende Formen der Zersetzung genannt: Systematische Diskriminierung der persönlichen Integrität, systematische Organisierung beruflicher und gesellschaftlicher Misserfolge, zielstrebige Untergrabung von Überzeugungen und Idealen, Verunsicherung, Verängstigung und Disziplinierung von Einzelpersonen und Gruppen, systematische Zerstörung der Vertrauensverhältnisse in den Gruppen, ihre systematische Unterminierung und Zersplitterung sowie allmähliche Veränderung ihrer Zielvorstellungen. Damit wollte man den Einfluss des politischen Gegners auf andere Bürger behindern, ihren Willen lähmen und schließlich ausschalten.

Die Juristische Hochschule (JHS) war eine der besonders geheimen Einrichtungen des Ministeriums für Staatssicherheit. 1951 von Walter Ulbricht als Schule des Ministeriums für Staatssicherheit in Golm, einem Dorf bei Potsdam, eröffnet, war sie Ausbildungsstätte mit 30 Lehrstühlen und Instituten für rund 10 000 Stasileute. Ausbildungsfächer waren unter anderem Operative Psychologie und Politische Untergrundtätigkeit. Die eigentliche juristische Ausbildung umfasste nur etwa 20 Prozent. Bis zu ihrer Auflösung im Frühjahr 1990 schlossen an der JHS mehr als 4200 MfS-Leute das Studium als Diplomjurist ab, außerdem wurden mehr als 400 Personen zum Dr. jur. oder Dr. sc. jur. promoviert. Nach dem Einigungsvertrag können die Doktor- und Professorentitel weitergeführt werden. Außerdem erwarben etwa 10 000 Stasi-Mitarbeiter den Abschluss als Fachschuljurist.

Ein Lehrmaterial der Juristischen Hochschule verdeutlicht den Studenten die Wirkungen der Zersetzungsstrategie folgendermaßen: "Ärger schlägt sich auf den Magen, Liebeskummer zerreißt das Herz, Probleme bereiten Kopfschmerzen, Probleme bereiten Kummerspeck, etwas geht auf die Nerven, vor Wut kocht die Galle über, man macht sich vor Angst in die Hosen u. ä." Das alles wurde in vielen Fällen tatsächlich erreicht, und so nimmt es nicht Wunder, dass heute, fast 30 Jahre nach dem Ende der SED- und Stasi-Diktatur, die Emotionen immer von neuem hochkommen, zumal wenn die Peiniger und Spitzel von damals ihren Opfern vorwerfen, an ihrem Schicksal selber schuld gewesen zu sein, und sich selber als Opfer der imperialistischen Bundesrepublik zu sein und von ihr verfolgt zu werden.

Das Leben der Anderen

Die JHS wurde in keinem offiziellen Hochschulführer der DDR aufgeführt, die Abschlussarbeiten und weitere Materialien unterlagen dem Geheimnisschutz. Sie konnten nirgendwo außerhalb des MfS eingesehen werden, wurden allerdings nach dem Zusammenbruch der DDR ausgewertet und zum Teil auch veröffentlicht. Lehrfilme, in denen gezeigt wird, wie man feindlich-negative Personen beobachtet, in ihren Wohnungen "Wanzen" installiert oder wie man sich als "Romeo" an weibliche Geheimnisträger im Westen heranmacht, sind ab und zu im Fernsehen, aber auch in Stasi-Gedenkstätten zu sehen.

Im Stasi-Film "Das Leben der Anderen" von 2006 hält der Schauspieler Ulrich Mühe in der Rolle eines als Stasi-Offiziers eine Vorlesung in einem der weitgehend original erhaltenen Hörsäle in Golm bei Potsdam. Die ehemaligen Geheimdienst-Liegenschaften unterstehen der Universität Potsdam. Im Potsdamer Hans-Otto-Theater berichteten Zeitzeugen, Zeitzeugen, die vom Mielke-Ministerium verfolgt und inhaftiert worden waren, unter dem Titel "Staats-Sicherheiten" über ihre traumatischen Erlebnisse und machten darauf aufmerksam, dass sich ehemalige Mitarbeiter des Mielke-Ministeriums als verhinderte Retter des Sozialismus in der DDR aufspielen und ihrer verlorenen Macht nachtrauern.

Dass der eine oder andere Stasimann genüsslich vor der Fernsehkamera von seiner Arbeit erzählen kann, ohne dass ihn jemand unterbricht und mit peinlichen Fragen konfrontiert, ja dass es ultralinke Verlage und Internetseiten gibt, auf denen sich ehemalige SED-Größen und Stasileute rechtfertigen und sich voll auf dem Fundament der DDR-Verfassung und ihrer Gesetze zum Schutz der Republik darstellen, ist der Meinungsfreiheit in diesem Land geschuldet, einer Meinungsfreiheit, die nicht gestattet war, als diese Personen noch das Sagen hatten und die "anderen" drangsalierten konnten.

13. September 2017

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