Schuften für den Klassenfeind
Über der Beschäftigung von Gefangenen in Produktionsbetrieben lang lange der Mantel des Schweigens





Was im Intershop und in westlichen Läden verkauft wurde, kann auch von DDR-Gefangenen hergestellt worden sein. Beide deutsche Staaten profitierten von der Ausbeutung von Zwangsarbeitern.



Mit ihren Gesetzen ging die DDR rabiat gegen Kritiker vor, und wer auch wegen politischer Witze oder staatsfeindlichen Handlungen angezeigt und verurteilt wurde, fand sich unter Umständen in Zwangsarbeiterkolonnen wieder.



Wer in der DDR über Deutsche Mark verfügte, konnte sich im Intershop manche Wünsche erfüllen. Dass dort auch Erzeugnisse im Angebot waren, die in DDR-Gefängnissen hergestellt wurden, dürften die wenigsten Käufer gewusst haben.



In Rüdersdorf bei Berlin mussten zahlreiche Zwangsarbeiter an der Seite "normaler" Kollegen schuften, bekamen aber für die gleiche und noch mehr Arbeit viel weniger Lohn. Die Bauten von damals rotten heute vor sich hin. (Fotos/Repros: Caspar)


Die Beschäftigung von Gefangenen als billige Arbeiter - der deutsche Arbeiter-und-Bauern-Staat hatte damit kein Problem. Tausende Gefangene mussten in den Haftanstalten Köpenick und Rummelsburg, im Zementwerk Rüdersdorf und an anderen Orten in und um Berlin unter zum Teil menschenunwürdigen Bedingungen schuften, und sie halfen dabei, die DDR-Wirtschaft am Leben zu erhalten und die Pläne zu erfüllen. Nostalgiker hören diese und andere beschämende Wahrheiten über den Arbeiter-und-Bauern-Staat ungern an, doch können sie die schlimmen Fakten nicht vom Tisch wischen. Ob sie nun für die Textilreinigung REWATEX Wäsche wuschen, Schnaps für den VEB Bärensiegel herstellten, Geräte für die Knorr-Bremse und die Elektro-Apparate-Werke herstellten oder in Rüdersdorf Zement produzierten, um einige Beispiele zu nennen - von der Zwangsarbeit profitierten auch namhafte Unternehmen in der Bundesrepublik Deutschland, in Westberlin und im kapitalistischen Ausland.

Zahlreiche sowohl über den Versandhandel vertriebene als auch im ostdeutschen Intershop für Westgeld angebotene Erzeugnisse stammten aus diesen Quellen. Der Umfang dieser anrüchigen, für beide Seiten aber recht profitable Kooperation wurde erst nach der Wiedervereinigung (1990) bekannt und auch von den betreffenden Unternehmen wie Ikea, Quelle, Neckermann und Aldi zähneknirschend zugegeben.

Blutplasma für harte Devisen

Experten haben ermittelt, dass mindestens 250 DDR-Betriebe neben normalen "freien" Arbeitern in speziellen Abteilungen auch Häftlinge beschäftigt haben. Das war für die Westkonzerne sowie die als Zwischenhändler tätige SED-Firmen ein blendendes Geschäft, über man den Mantel des Schweigens ausbreitete. Aus DDR-Haftanstalten stammen Möbel, Strumpfhosen, Schreibmaschinen, Fotoapparate, Motorradteile, Fernseher und Radios, ja auch Bettwäsche und sogar Haushaltskerzen. Angesichts der billigen Preise, die dem DDR-Außenhandel für diese und weitere Erzeugnisse bezahlt wurden, sahen die Empfänger im deutschen Westen gern über die Bedingungen hinweg, unter denen sie hergestellt wurden. Die Erträge gingen in die Millionen Valutamark, also Westmark. Die vom VEB Bärensiegel für den Metro-Konzern, Underberg, Cinzano, Verpoorten und andere Abnehmer produzierten Spirituosen ließen sich auch die Bewohner der von der Außenwelt abgeschotteten Wohnsiedlung des SED-Politbüros in Wandlitz und weitere Spitzenfunktionäre gut schmecken. Damit nicht genug wurde in DDR-Gefängnissen gewonnenes Blutplasma für Deutsche Mark an westdeutsche Abnehmer geliefert.

Als die Bundesregierung in den achtziger Jahren versuchte, den Import von Möbeln und Strumpfhosen aus der DDR im Interesse der heimischen Wirtschaft einzuschränken, wusste sie, unter welchen Bedingungen diese Waren in DDR-Gefängnissen hergestellt wurden. Eine öffentliche Anklage fand damals nicht statt, ebenso nicht der Verzicht auf diese ertragreiche Kooperation. Nach dem Ende der DDR wurde bekannt, dass politische Häftlinge mit Kriminellen zusammen arbeiten mussten. Sie hatten mehr als "freie" Beschäftigte zu leisten, verdienten aber wesentlich weniger als diese. Vielfach brachten veraltete Maschinen sie dabei in Lebensgefahr oder ruinierten ihre Gesundheit. Außerdem waren vielfach die Hygienezustände in den betreffenden Fabriken "unter aller Sau", wie Betroffene im Rückblick erklärten.

Auch die Deutsche Reichsbahn, ein Staatsbetrieb der DDR mit einem aus dem schon lange untergegangenen Deutschen Reich stammenden Namen, beschäftigte Gefangene beim Bau von Eisenbahngleisen, von Güterwagen und anderen Erzeugnissen. 500 "Politische" sollen es im Jahr gewesen sein. Manche Zwangsarbeiter waren bei Fluchtversuchen aus der DDR geschnappt worden oder weil sie politische Witze gerissen hatten. Die Arbeit war hart, zwölf Stunden von Montag bis Samstag war die Norm. Gearbeitet wurde unter primitiven Umständen ohne Schutzkleidung mit bloßen Händen und für wenig Geld. Wie die Historiker Christopher Kopper, Susanne Kill und Jan Henrik Peters in ihrem Buch "Die Reichsbahn und der Strafvollzug in der DDR. Häftlingszwangsarbeit und Gefangenentransport in der SED-Diktatur" (Klartext-Verlag Essen 2016, ISBN 978-3-8375-1436-0) schildern, erlebten viele politischen Gefangenen die Zwangsarbeit als besonders demütigend.

Primitive Arbeitsbedingungen

Die von der Deutschen Bahn AG in Auftrag gegebene Studie lässt Zeitzeugen zu Wort kommen, etwa darüber was geschah, wie Gefangene für Arbeitsverweigerung bestraft wurden und was ihnen von ihrem kargen Lohn übrig blieb. Wenn die Reichsbahn 120 Ostmark pro Gefangenen zahlte, dann behielt der Strafvollzug einen Großteil davon ein, um seine Kosten zu reduzieren. Den Gefangenen blieben gerade mal 50 Mark im Monat. Die Deutsche Bahn AG hat Forderungen von ehemaligen Zwangsarbeitern bei der Deutschen Reichsbahn zurück gewiesen und verweist auf die Politik, die sich dieser Frage stellen sollte.

Gefangenen waren auch im Zementwerk Rüdersdorf beschäftigt. In DDR-Zeiten hat man auf die Umwelt keine Rücksicht genommen. Arbeitsschutz stand weitgehend nur auf dem Papier. Der Ausstoß aus den Schloten ohne Filter betrug täglich über hundert Tonnen. Vor allem in der Nacht rieselte Zementstaub auf Menschen, Pflanzen, das Erdreich und die Bauten in Rüdersdorf und Umgebung. Und so konnte es geschehen, dass Dächer einstürzten, weil sie die Last der steinharten Schichten nicht mehr aushielten. Wenn sich Anwohner und Arbeiter sowie Gefangene, die in dem Zementwerk eingesetzt waren, über den Staub beschwerten, der die Lungen angriff und schwere Gesundheitsschäden hervorrief, wurde ihnen bedeutet, sie hätten gefälligst den Mund zu halten, weil Filteranlagen würden die Produktion drosseln. Da Rüdersdorfer Zement ein wichtiger Devisenbringer ist, könne man sich Einschränkungen durch Maßnahmen im Umweltschutz nun einmal nicht leisten. Heute liegt die Staubemission des Zementwerks Rüdersdorf, das zur Readymix AG gehört mund abseits der alten Fabrikanlagen liegt, unter der amtlichen Norm. Das historischen Industriebauten stehen unter Denkmalschutz und werden museal genutzt.

5. März 2017

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