Querelen um "Die Schweigsame Frau"
Stefan Zweig schildert in "Die Welt von gestern", warum eine Oper von Richard Strauss 1934 verboten wurde und was er als Librettist damit zu tun hatte



Stefan Zweig stammte aus dem alten, dem kaiserlichen Österreich und war in republikanischer Zeit als Schriftsteller überaus erfolgreich. Der Stolperstein liegt vor seinem Haus in Salzburg, das er Ende 1933 verließ, kommende Katastrophen vorausahnend.



Der blaue Leinendeckel des Buches "Die Welt von gestern. Erinnerungen eines Europäers" wird nur durch die Unterschrift seines Verfassers geschmückt.



SA-Leute und fanatisierte Studenten sind geradezu enthusiastisch am 10. Mai 1933 auf dem Berliner Opernplatz dabei, angeblich wider den deutschen Geist gerichtete Bücher und Schriften öffentlich zu verbrennen.



Eine Karikatur vom 10. Mai 1933 in der Berliner Illustrierten Zeitung verspottet Heinrich Mann, der mit anderen Verfemten und Verfolgten aus der Berliner Akademie der Künste geworfen wurde. (Repros: Caspar)

In seinem letzten, 1942 posthum erschienenen Buch "Die Welt von gestern" hat der weltberühmte Schriftsteller Stefan Zweig unter anderem die Querelen rund um die Oper von Richard Strauss "Die schweigsame Frau" geschildert. Die Nazis schätzten den Komponisten, er war das letzte noch lebende, dazu weltweit anerkannte musikalische Aushängeschild des "Dritten Reichs". Hitler und seine Kumpanen delektierten sich an seiner Musik. Da Strauss aber den aus Österreich nach England emigrierten Zweig gebeten hatte, das Libretto für die Oper zu schreiben, bekam er Ärger mit Reichspropagandaminister Joseph Goebbels und der von ihm kontrollierten Reichsmusikkammer, deren Präsident er war. Man missbilligte, dass der "Jude Zweig" den Text geschrieben hatte, und dies zur vollen Zufriedenheit des Komponisten des "Rosenkavalier", der "Salome", der "Elektra" und vieler anderer Werke.

Strauss war den Nazis ungeachtet der Querelen um "Die schweigsame Frau" lieb und wert. In der Endphase des Zweiten Weltkriegs setzten sie ihn nicht nur auf ihre Gottbegnadeten-Liste, sondern sogar auch auf die Sonderliste der drei ihnen am wichtigsten erscheinenden Musikern. Strauss drückte mit seiner ganzen Autorität ungeachtet der Flucht des in Nazideutschland aus rassistischen Gründen verbotenen und verfemten Librettisten Stefan Zweig nach England die Ausführung der Oper durch. Er ließ nicht zu, dass man dessen Namen von Ankündigungsplakaten und Theaterzetteln streicht und die Herkunft des Textes als von Ben Jonson stammend deklariert. Der englische Dichter Benjamin Jonson gilt neben William Shakespeare als der bedeutendste englische Dramatiker der Renaissance. In seiner Komödie "Epicoene or The Silent Woman" entwickelte sich die anfangs schweigsame und still duldende Titelfigur nach ihrer Eheschließung in ein lautes, herrschsüchtiges und zänkisches Weib und erweist sich letztendlich als Mann in Frauenkleidern. Diese Epicoene treibt auch in der Strauss'schen Oper ihr Wesen und Unwesen, und was der Komponist und sein Librettist aus dem uralten Stoff gemacht haben, versprach, ein Welthit zu werden. Strauss bescheinigte seinem Textdichter, er habe "das beste Libretto für eine Opera comique seit Figaro" geschrieben.

"Wider den undeutschen Geist"

Das alles nutzte nichts, beide Künstler hatten nicht ihre Rechnung mit den Nazis gemacht. Zwar war alles für die von Goebbels als kulturpolitischer Paukenschlag und Demonstration für das "neue weltoffene Deutschland" geplante Premiere geplant. Als Richard Strauss aber darauf bestand, dass statt "Oper nach Ben Jonson" der Name von Stefan Zweig publiziert wird, den Goebbels einen "unangenehm talentierten Juden" nannte und der nach 1933 im Deutschen Reich als Salonbolschewist verunglimpft und totgeschwiegen wurde, gab es nach der Premiere nur noch eine zweite Aufführung und dann keine mehr. Bei der Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 in Berlin und danach an anderen Orten landeten auch Schriften von Stefan Zweig im Feuer. Seine Werke standen auf der Schwarzen Liste, wurden aus Buchhandlungen und Leihbüchereien entfernt. Von Tausenden Schaulustigen beklatscht, wurden etwa 25 000 Bücher auf den Opernplatz, den heutigen Bebelplatz, gefahren und unter "vaterländischen" Klängen in den riesigen Scheiterhaufen geworfen. Dabei wurden Feuersprüche wider den "undeutschen Geist" gerufen. Bündelweise wurden die Werke von 94 Autoren in die Flammen geworfen. Unter ihnen waren Karl Marx und Karl Kautsky, Thomas und Heinrich Mann, Lion Feuchtwanger, Sigmund Freud, Erich Maria Remarque, Alfred Kerr, Kurt Tucholsky, Emil Ludwig und Stefan Zweig.

Von Propagandaminister Goebbels aufgeputschte SA-Leute und Studenten riefen Hetzparolen "gegen Klassenkampf und Materialismus, Dekadenz und moralischen Verfall, Gesinnungslumperei und Verrat, seelenzerfasernde Überschätzung des menschlichen Trieblebens, Verfälschung der Geschichte und Verhunzung der deutschen Sprache, volksfremden Journalismus demokratisch-jüdischer Prägung, literarischen Verrat am Soldatentum des Weltkriegs, Frechheit und Anmaßung - für Zucht und Sitte in Familie und Staat, Adel der menschlichen Seele und Achtung und Ehrfurcht vor dem unsterblichen Volksgeist". Der bei den Nazis in Ungnade gefallene Schriftsteller Erich Kästner hatte sich unter brüllende Menge gemischt. "Ich stand vor der Universität, eingekeilt zwischen Studenten in SA-Uniform, den Blüten der Nation, sah unsere Bücher in die zuckenden Flammen fliegen und hörte die schmalzigen Tiraden des kleinen abgefeimten Lügners", erinnerte sich Kästner an das Spektakel. Der beliebte Autor hatte in den folgenden Jahren unter vielerlei Drangsalierungen zu leiden und konnte seine Werke nur im Ausland veröffentlichen, bis er schließlich mit einem totalen Schreibverbot belegt wurde, aber wenigstens am Leben blieb.

Nazis wollten jüdischen Librettist totschweigen

Zur Premiere der Oper "Die schweigsame Frau" notierte Zweig in seinem Erinnerungsbuch: "Ich wohnte selbstverständlich der Aufführung nicht bei, da ich wusste, daß der Zuschauerraum von braunen Uniformen strotzen würde und sogar Hitler selbst zu einer der Aufführungen erwartet wurde." Zur Ehre der Kritiker stellte Zweig in seinem Erinnerungsbuch fest, neun Zehntel von ihnen hätten begeistert die Gelegenheit genutzt, noch einmal und zum letzten Mal ihren inneren Widerstand gegen den Rassenstandpunkt zeigen zu dürfen, indem sie die denkbar freundlichsten Worte über sein Libretto sagten. Weitere Vorstellungen an deutschen Bühnen wurden für die kommende Spielzeit angekündigt. Doch plötzlich, nach der zweiten Vorstellung, kam ein Blitz aus dem hohen Himmel, schreibt Zweig weiter. "Alles wurde abgesagt, die Oper über Nacht für Dresden und ganz Deutschland verboten. Und noch mehr: Man las erstaunt, daß Richard Strauß seine Demission als Präsident der Reichskulturkammer eingereicht habe."

Richard Strauss war so unvorsichtig, seinen Librettisten nach der "Schweigsamen Frau" zu bitten, doch bald an den Text einer neuen Oper zu gehen. In dem Brief hatte sich der weltberühmte Komponist allzu freimütig über seine politische Einstellung geäußert, doch das Schreiben wurde von der Gestapo abgefangen. Als Geheimpolizisten den Komponisten mit seinen kritischen Bemerkungen konfrontierten, reichte dieser seine Demission als Präsident der Reichsmusikkammer ein. Dieser Rücktritt hat aber wohl seinem exklusiven Stand im Kulturleben des Nazistaates nicht ernsthaft geschadet. In Deutschland verboten, wurde die Oper wurde im Ausland und sogar an der Mailänder Scala gespielt, also in Italien, dessen Duce Mussolini weniger rassistisch eingestellt war wie Hitler. "Das deutsche Volk aber hat nie mehr einen Ton aus dieser teilweise bezaubernden Altersoper seines größten lebenden Musikers hören dürfen", schreibt Zweig und fährt in seinem Buch mit der Schilderung bedrückender Vorgänge vor seiner Haustür an der deutsch-österreichischen Grenze fort. Noch vor der Annexion Österreichs durch den Hitlerstaat dominierten Nazis in braunen Uniformen in Salzburg und Umgebung das Straßenbild. Die Vorboten ihrer "Machtergreifung" auch in der Alpenrepublik waren nicht zu übersehen.

Österreich auf dem Weg zur Diktatur

Strauss' Verbindungen zu dem nach London geflohenen Zweig riss nicht ab, obwohl der dort lebende Schriftsteller über die Einvernahme seines Freundes durch Hitler und Goebbels verwundert war. Aus der Ferne beobachtete Zweig mit wachsendem Entsetzen den Naziterror in Deutschland. In Salzburg noch bis Ende 1933 lebend, sah er, wie sich ehemalige Freunde und Kollegen von ihm abwandten, weil sie nicht als "Judenfreund" gelten wollten. Im März 1933 war das Parlament in Wien durch einen Staatsstreiche ausgeschaltet worden. Neuer Bundeskanzler wurde Engelbert Dollfuß. Kommunisten und österreichische Nazis sowie weitere Parteien außer der von Dollfuß geführten Vaterländischen Front wurden verboten. Die Regierung berief sich auf christliche und nationale Werte, unterdrückte aber die politische Opposition. Wer aufbegehrte, kam in so genannte Anhaltelager, die nach dem Vorbild der deutschen Konzentrationslager eingerichtet wurden. Papst Pius XI. erteilte dem austrofaschistischen Regime und den "vornehmen Männern, die Österreich in dieser Zeit, in diesen Tagen regieren, die Österreich so gut, so entschieden, so christlich regieren" ausdrücklich seinen apostolischen Segen. Nach der Ermordung von Dollfuß am 25. Juli 1934 während eines von österreichischen Nazis vorbereiteten Putschversuchs setzte der neue Bundeskanzler Kurt von Schuschnigg die Linie seines Vorgängers fort. Durch den im März 1938 erzwungene Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich waren die Austrofaschisten am Ziel. Dass zahlreiche Österreicher damals mit wehenden Fahnen zu den Nationalsozialisten überliefen und sich bei der Verfolgung der jüdischen Mitbürger und der Gleichschaltung des gesellschaftlichen und kulturellen Lebens überboten, gehört zu den beschämenden Ereignissen der neueren Landesgeschichte. Zweig hat in seinem Erinnerungsbuch auch diese schlimmen Vorkommnisse eindrücklich geschildert.

Stefan Zweig verließ seine Heimat und ging über Paris nach England, zu dem er eigentlich keine Beziehung hatte. Geplant war eine längere Auslandsreise, "um all den kleinen Spannungen zu entgehen. Doch ich ahnte nicht, daß es schon eine Art Abschied war, als ich im Oktober 1933 mein schönes Haus verließ." Der Schriftsteller lebte bis kurz nach Beginn des Zweiten Weltkriegs in England und wurde dort wie andere Emigranten von einem zum anderen Tag zum feindlichen Ausländer abgestempelt. In seinem Rückblick auf die Welt von gestern schildert er, wie die Exilanten in entwürdigender Weise um Pässe und Formulare betteln mussten, wie sich bisherige Freunde von ihnen abwandten und sie Gefahr liefen, in als angebliche oder potenzielle Spione in ein Internierungslager gesteckt zu werden.

Spiegelschein meines Lebens

Über die Stationen New York, Argentinien und Paraguay gelangte Zweig 1940 nach Brasilien, in ein Land, das ihm früher eine triumphale Begrüßung bereitet hatte und für das er eine permanente Einreiseerlaubnis besaß. Zweigs ergreifend zu lesender Rückblick auf das kaiserliche und nach 1918 das republikanische Österreich und überhaupt seine Zeit vor und nach dem Ersten Weltkrieg endet mit der Überfahrt in die Neue Welt. Das Buch mit dem Untertitel "Erinnerungen eines Europäers" entstand ohne Zuhilfenahme irgendwelcher Aufzeichnungen nur mit dem, was dem Autor in Erinnerung geblieben war und was ihm wichtig erschien. "Nur was sich selbst bewahren will, hat ein Anrecht, für andere bewahrt zu werden. So sprecht und wählt, ihr Erinnerungen, statt meiner, und gebt wenigstens einen Spiegelschein meines Lebens, ehe es ins Dunkel sinkt", schreibt Zweig am Ende seines Vorworts zu "Die Welt von gestern". Das Buch kam 1942 postum in Kooperation der Verlage Hamish-Hamilton London und Bermann-Fischer Verlag AB Stockholm heraus und erlebte nach dem Ende der NS-Diktatur auch in Deutschland viele Auflagen.

Das Leben und das tragische Ende von Stefan Zweig schildert der deutsche Spielfilm "Vor der Morgenröte" aus dem Jahr 2016. Mit Recht hat das Magazin DER SPIEGEL diesen Streifen in der Regie von Maria Schrader sowie mit Josef Hader und Aenne Schwarz als das Ehepaar Stefan und Charlotte (Lotte) Zweig in Anlehnung an eines der bekanntesten Bücher von Stefan Zweig eine Sternstunde des Kinos genannt. Der Film zeigt unter anderem, wie Zweig unter dem ihm aufgezwungenen Exil leidet und sich nicht bewegen lässt, öffentlich und mit dem ganzen Gewicht seines Namens das Wort gegen den Naziterror zu ergreifen, wie es andere prominente Autoren tun. Hitlers militärischen Erfolge zu Beginn des Zweiten Weltkriegs und der Naziterror in seiner Heimat lassen ihn schier verzweifeln. Dass Freunde in Europa bleiben mussten und er ihnen nicht helfen kann, ist für ihn eine unerträgliche Last, die ihn und seine Frau zur tödlichen Dosis Veronal greifen lässt. Zweigs letztes Wohnhaus an der Rua Gonçalves Dias Nr. 34 in Petrópolis nördlich von Rio de Janeiro ist von einem privaten Verein in ein Museum verwandelt worden. Hier hatte der Schriftsteller seine Autobiografie "Die Welt von Gestern" sowie die "Schachnovelle" überarbeitet und einen Essay über Montaigne entworfen.

17. Juli 2017

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