"Heim ins Reich"
Vor 80 Jahren wurde Österreich vom Deutschen Reich annektiert, und die Welt sah hilflos zu



Engelbert Dollfus errichtete am 7. März 1933 in Österreich eine Diktatur. Beim Generalappell der Vaterländischen Front schreitet er an ihm ergebenen Truppen entlang.



Im Triumphzug lässt sich Hitler 1938 durch seine vom Deutschen Reich okkupierte österreichische Heimat fahren.



In seinem Buch "Mein Kampf" hat Hitler schon 1924 seine Absichten gegenüber Österreich unmissverständlich formuliert.



Den mit klingendem Spiel einrückenden Okkupanten flogen im Frühjahr 1938 die Herzen und Hände der Österreicher zu, so wenigstens erzählen es damals angefertigte Propagandafotos.



Die Medaillen von Karl Goetz folgen ganz der NS-Propaganda, wonach der "Anschluss" Österreichs an das Deutsche Reich voll und ganz dem Willen des ganzen Volkes entspricht.



Das wie eine Bibliothek gestaltete Mahnmal auf dem Judenplatz in Wien ist den 65 000 Juden gewidmet, die dem nationalsozialistischen Rassenwahn zwischen 1938 udn 1945 zum Opfer fielen. Das am 25. Oktober 2000, einen Tag vor dem österreichen Nationalfeiertag, eingeweihte Denkmal geht auf eine Initiative von Simon Wiesenthal zurück, Bauherr war die Stadt Wien unter dem Bürgermeister Michael Häupl. Der Entwurf der britischen Künstlerin Rachel Whiteread von einer internationalen Jury unter dem Vorsitz des Architekten Hans Hollein ausgewählt. (Foto/Repros: Caspar)

Im Ergebnis des Ersten Weltkriegs büßte der von den Habsburgern beherrschte österreich-ungarische Vielvölkerstaat seine herausragende Stellung in Mittel- und Osteuropa ein. Seiner ihm ganz oder teilweise angeschlossenen Länder wie Böhmen, Ungarn, Kroatien, Slowenien, Bosnien-Herzegowina, Rumänien, Ukraine und Polen verlustig gegangen, wurde die Doppelmonarchie im November 1918 in eine Republik umgewandelt. Dem so genannten Deutsch-Österreich wurde durch den Versailler Vertrag die Fusion mit dem Deutschen Reich verboten. Dessen ungeachtet gab es in der Ersten Republik eine starke Anschlussbewegung, die am 12. März 1938 durch den Einmarsch der deutschen Wehrmacht Erfolg hatte.

Österreich wurde in den zwanziger und dreißiger Jahren von Krisen und bürgerkriegsartigen Kämpfen, von Generalstreiks und Terror von Links und Rechts erschüttert. Rechts gerichtete Österreicher strebten faschistische Verhältnisse wie in Italien unter Mussolini an. Diese Austrofaschismus genannte Bewegung wandelte die Alpenrepublik in einen Ständestaat um und ersetzte die demokratische Regierungsform durch ein autoritäres System. Das Parlament wurde im März 1933 durch einen Staatsstreich ausgeschaltet, neuer Bundeskanzler wurde Engelbert Dollfuß. Kommunisten und österreichische Nazis sowie weitere Parteien außer der von Dollfuß geführten Vaterländischen Front wurden verboten. Die Regierung berief sich auf christliche und nationale Werte, unterdrückte aber die politische Opposition. Wer aufbegehrte, wurde in so genannte Anhaltelager eingeliefert, die nach dem Vorbild der deutschen Konzentrationslager eingerichtet wurden. Papst Pius XI. erteilte dem austrofaschistischen Regime und den "vornehmen Männern, die Österreich in dieser Zeit, in diesen Tagen regieren, die Österreich so gut, so entschieden, so christlich regieren"

Politik der Drohung und Erpressung

Nach der Ermordung von Dollfuß am 25. Juli 1934 während eines Putschversuchs österreichischer Nazis setzte der neue Bundeskanzler Kurt von Schuschnigg die Linie seines Vorgängers fort. Als am 12. März 1938 mit dem Einmarsch der Wehrmacht in Österreich der "Anschluss" der Alpenrepublik an das Deutsche Reich vollzogen wurde, war der Jubel bei einem großen Teil der Bevölkerung unüberhörbar. Überall erschollen "Heil"-Rufe, aus zahllosen Fenstern hingen Hakenkreuzfahnen. Wer konnte, flüchtete ins Ausland, was aber vielen Menschen nicht mehr gelang.

Zielstrebig hatte Adolf Hitler, der Führer der NDSAP und deutsche Reichskanzler, auf die Einverleibung seines Geburtslandes in das Deutsche Reich hingearbeitet und sich dabei skrupelloser Helfer vor Ort bedient. Vor jener euphemistisch "Anschluss" genannten Annexion hatte Hitler in einer Rede vor dem Reichstag der Tschechoslowakei und Österreich mit offener Intervention gedroht, angeblich um die dort lebenden Deutschen vor Übergriffen zu schützen. Bei einem Treffen auf dem Obersalzberg verlangte er ultimativ vom österreichischen Bundeskanzler Kurt von Schuschnigg, die Außen-, Militär-, Wirtschafts- und Pressepolitik der Alpenrepublik der des Deutschen Reiches anzupassen und den nationalsozialistischen Politiker Arthur Seyß-Inquardt zum Innenminister zu bestellen.

Der so erpresste Schuschnigg stimmte notgedrungen zu, rief aber zu einer kurzfristig anberaumten Volksabstimmung am 13. März 1938 über die Frage auf, ob das Land ein "freies und deutsches, unabhängiges und soziales, ein christliches und einiges Österreich" sein soll. Unter massiven deutschen Druck geraten, sagte Schuschnigg die Volksbefragung jedoch ab und trat als Bundeskanzler zurück. Sein Nachfolger Seyß-Inquart "bat" die deutsche Reichsregierung um die Entsendung von Truppen und forderte die Österreicher auf, keinen Widerstand zu leisten. Hitler kam allzu gern dem Begehren seines Statthalters nach und ließ die Wehrmacht am 12. März 1938 einmarschieren. Von der Mehrheit der Österreicher wurden die mit klingendem Spiel paradierenden Soldaten als "Befreier" begrüßt, ein Faktum, an das man sich nach dem Zweiten Weltkrieg nicht gern erinnern ließ.

Hitlers Plan ging auf

Bei einer Kundgebung auf dem überfüllten Heldenplatz in Wien erklärte Hitler am 15. März 1938: "Ich proklamiere nunmehr für dieses Land seine neue Mission. Sie entspricht dem Gebote, das einst die deutschen Siedler aus allen Gauen des Altreiches hierher berufen hat: Die älteste Ostmark des deutschen Volkes soll von jetzt ab das jüngste Bollwerk der deutschen Nation und damit des Deutschen Reiches sein." Die Forderung, das so genannte Deutschösterreich müsse wieder zurück zum großen deutschen Mutterland, hatte der geborene Österreicher bereits 1924/25 in seinem Buch "Mein Kampf" erhoben. Bereits auf der ersten Seite schrieb er, gleiches Blut gehöre in ein gemeinsames Reich. Nach seiner "Machtergreifung" am 30. Januar 1933 hielt er sich mit der Verwirklichung seines Plans zurück, um seinen Bündnispartner, den italienischen Diktator Mussolini, nicht zu beunruhigen. Hitlers fünfte Kolonne in Österreich benutzte in ihrer Untergrundarbeit die schon bei der Angliederung des Saargebietes im Jahr 1935 skandierte Parole "Heim ins Reich" und hatte alsbald Erfolg.

Blicken wir zurück auf den Sommer 1934. Da hatten österreichische Nazis auf Weisung von Hitler versucht, die amtierende Regierung Österreichs zu stürzen. Am 25. Juli 1934 um 12.53 Uhr stürmen 150 SS-Männer das Bundeskanzleramt in Wien. Kanzler Engelbert Dollfuß, der Führer des autoritären Ständestaates, wurde schwer verletzt und starb. Die Putschisten gaben schnell auf. Da die österreichische SA verbittert und irritiert über den "Röhm-Putsch" in Deutschland war, bei dem SA-Führer Ernst Röhm und seine Kumpanen auf Hitlers Befehl ermordet worden waren, verweigerten sie den SS-Leuten die Gefolgschaft. Zwar gelang einigen die Flucht nach Deutschland, doch wurden sie an Österreich ausgeliefert, vor Gericht gestellt und Anfang August 1934 hingerichtet. Die in aller Eile durchgeführten Militärgerichtsprozesse taten alles, um die während des Putsches zutage getretenen Mängel auf der Seite der Regierung vor der Öffentlichkeit zu verschleiern. Auf deutscher Seite bestand geringes Interesse, die Hintergründe des Juli-Putsches 1934 auszuleuchten. Hitler ordnete nach dem "Anschluss" 1938 die Einstellung der Untersuchungen an und verpflichtete alle Beteiligten zu striktem Stillschweigen.

Die Vereinigung der Alpenrepublik mit dem Deutschen Reich vor 80 Jahren ließ sich der in Braunau am Inn geborene Diktator nachträglich durch eine mit ungeheurem Propagandagetöse und dem Auftritt prominenter Nazigrößen vorbereiteten Volksabstimmung am 10. April 1938 absegnen. Aus Angst vor Repressalien gaben viele Wahlberechtigte ihre Stimme "offen" ab. Das Ergebnis war überwältigend, das Deutsche Reich konnte sich von nun an Großdeutsches Reich nennen. Mit der Wehrmacht kamen in das nunmehr Ostmark genannte Land die Gestapo und die SS. Sie machten sofort Jagd auf Juden, Antifaschisten, Oppositionelle und andere Personen, die nicht ins politische und rassistische Weltbild der Nationalsozialisten passten.

Mord und Totschlag, Angst und Terror

Schon bald richteten die neuen Herren die ersten Konzentrationslager und Folterhöllen ein, um mit Mord und Totschlag jede Form von Widerstand im Keim zu ersticken und Angst und Schrecken zu verbreiten. Die österreichische Presse wurde wie schon 1933 die deutschen Medien vom Propagandaminister Joseph Goebbels "gleichgeschaltet" und gab mit Jubelgesängen eine weit verbreitete Stimmung wieder. Endlich war das nach dem Ersten Weltkrieg stark geschrumpfte Österreich wieder wer, mochten viele "angeschlossene" Bewohner gedacht haben, wenn auch nur als Teil des "Tausendjährigen Reichs", das sich bald darauf anschickte, Europa zu erobern und im Zweiten Weltkrieg unterging.

Gegen die Behauptung, Österreich sei das erste Opfer des Hitlerreiches gewesen, steht die Tatsache, dass viele Menschen mit wehenden Fahnen und antisemitischen Aktionen zu den neuen Herren in den braunen Hemden und den schwarzen Uniformen überliefen. Fotografien und Berichte von damals zeigen, wie Juden in Wien und an anderen Orten gezwungen wurden, unter dem Jubel einer aufgeputschten Menge kniend Bürgersteige zu putzen und andere erniedrigende Arbeiten auszuführen. Schneller als nach Hitlers "Machtergreifung" wurden Behörden, Theater, Verlage, Universitäten, Schulen und andere Institutionen "judenrein" gemacht. Das lässt sich ebenso wenig leugnen wie die Tatsache, dass österreichische Nazis in den Konzentrationslagern und den Erschießungskommandos ganz vorn standen und quasi im Blut ihrer Opfer badeten.

Die Großmächte nahmen die Annexion Österreichs als unvermeidbar hin und lösten ihre Botschaften in Wien auf. Sie vertrauten Hitlers Versprechen, keine weiteren territorialen Ansprüche mehr stellen zu wollen. Diese Lüge kam der Beschwichtigungspolitik des britischen Premierministers Chamberlain entgegen, der auf Ausgleich mit dem Nazistaat setzte und sich dabei auf entsetzliche Weise verrechnete.

Bei einem Staatsakt in der Wien Hofburg hob Bundespräsident Alexander van der Bellen am 12. März 2018 die Mitverantwortung seines Landes an der NS-Gewaltherrschaft hervor. Österreicher seien nicht nur Opfer, sondern auch Täter gewesen, oft in führenden Positionen. Zugleich ermahnte der Politiker die heutigen Generationen, den Rechtsstaat und die Menschenrechte mit großer Wachsamkeit zu beschützen. Bundeskanzler Sebastian Kurz erinnerte an die Verfolgung der Juden und kündigte die Errichtung eines Mahnmals an. "Für die jüdische Bevölkerung Österreichs begann 1938 ein beispielloser Leidensweg, der uns auch heute noch beschämt. Den rund 66.000 österreichischen Jüdinnen und Juden, die dem NS-Terrorregime zum Opfer gefallen sind, wollen wir ein bleibendes Zeichen des Gedenkens und der Erinnerung setzen."

Über die numismatischen Folgen des "Anschlusses" von Österreich siehe einen weiteren Beitrag auf dieser Internetseite, Rubrik Münzen und Medaillen

10. März 2018

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