Gewachsen auf "märkischem Mist"
Viele Erfinder machten aus der Not eine Tugend und halfen der der märkischen Wirtschaft und Technik auf die Sprünge



An den Begründer der optischen Industrie Johann Heinrich August Duncker erinnert vor dem Bahnhof in Rathenow eine von Alexander Calandrelli geschaffene Büste. Eine um 1930 gebaute Kolonnade umgibt das bronzene Bildwerk wie ein Ehrenhain. Die Widmung auf dem Postament drückt die Dankbarkeit der Rathenower für den großen Sohn der Stadt aus.



Die Tafel an der Heilandkirche in Sacrow bei Potsdam weist darauf hin, dass hier im ausgehenden 19. Jahrhundert Experimente zur drahtlosen Übertragung von Funksignalen stattfanden.





Die Pfaueninsel zwischen Berlin und Potsdam war Schauplatz geheimer Experimente des Glasmachers Johann Kunckel. Seine Rubingläser sind der ganze Stolz von Sammlern und Museen. Diese sind im Berliner Kunstgewerbemuseum am Kulturforum ausgestellt.



Das 1904 gegründete Zucker-Museum in Berlin ist das älteste Museum seiner Art und gehört seit 1995 zum Deutschen Technikmuseum. Bis 2012 war es im Gebäude Institut für Lebensmitteltechnologie in der Amrumer Straße 32 im Wedding untergebracht. Seit November 2015 wird im Deutschen Technikmuseum die Dauerausstellung "Alles Zucker! Nahrung - Werkstoff - Energie" gezeigt. Das Museum setzt dem Chemiker Andreas Sigismund Marggraf (links) seinem Schüler Franz Carl Achard und weiteren Pionieren der industriellen Zuckergewinnung im In- und Ausland ein Denkmal.





Die Fotos zeigen eine Destillationsanlage, die in der Amrumer Straße 32 aufgebaut war, sowie das Modell einer Anlage zur industriellen Herstellung von Zucker.



Zucker war in alten Zeiten ein kostbarer Stoff, und wer ihn sich leisten konnte, reichte ihn in silbernen Dosen und mit ebensolchen Löffeln. (Fotos/Repro: Caspar)

"Not macht erfinderisch" und "Aus Wenigem mache mehr", sagt der Volksmund. Da die Mark Brandenburg in alten Zeiten im Wesentlichen aus Sand und Seen, Wäldern und Flüssen bestand und weder über bedeutende Bodenschätze wie Sachsen, Braunschweig und weiter Nachbarländer noch über ein stark entwickeltes Handwerk und ausgedehnte Handelsbeziehungen verfügte, waren seine Bewohner gezwungen, ihren Kopf anzustrengen und ihr Leben durch mancherlei Erfindungen zu verbessern. Zu nennen wäre die Nutzung von Rüben vor 200 Jahren für die Zuckerproduktion sowie die Litfaßsäule, die der Werbewirtschaft im 19. Jahrhundert einen bedeutenden Schub bescherte, aber auch Experimente für die drahtlose Telegrafie in Sacrow bei Potsdam. Erwähnenswert sind auch das Flugwesen, dessen Wiege in der Mark Brandenburg stand, sowie hilfreiche Dinge wie Ohropax, das laute Geräusche und insbesondere das Schnarchen erträglich macht, sowie Prothesen für verloren gegangene Beine und Hände, die Ringöfen, die beim Brennen von Ziegeln und Kalkseinen nützliche Dienste taten, aber auch die Anfänge des deutschen Spielfilms in den sandigen Bergen nahe Berlin und viele andere interessante Novitäten einschließlich des Papptellers und des aus Wollfilz hergestellten, wasserdichten Huts.

Der Chemiker Friedlieb Ferdinand Runge ging als Entdecker des Anilins und Phenols sowie als derjenige in die Geschichte ein, dem die Isolierung des Coffeins aus Kaffeebohnen und weitere naturwissenschaftlich und wirtschaftlich bedeutsame Entdeckungen gelang. Dann gab es Reinhold Burger, der in Glashütte bei Baruth im Landkreis Teltow-Fläming die Thermoskanne erfand und mit der Herstellung von Röntgenröhren und anderen technischen Gläsern vor über hundert Jahren Forschung und Lehre sowie die Wirtschaft revolutionierte. Dass auch die Dreifarbenfotografie und das Teleobjektiv auf "märkischem Mist" gewachsen ist sollte nicht vergessen werden.

Goldstaub färbt Gläser rot

In der Zeit des Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg machte der Chemiker Johann Kunckel durch die Herstellung von Rubinglas von sich reden. In der Barockzeit durften auf fürstlichen Tafel und in vornehmen Haushalten die in märkischen Hütten gefertigten Prunkgläser aus durchsichtigem beziehungsweise farbigem Material nicht fehlen. Sie brachten den brandenburgischen Kurfürsten und preußischen Königen manchen harten Taler ein. Kunckel gelang es als Erstem, eine gleichmäßig rot gefärbte Glasmasse herzustellen. Winzige Goldpartikel sowie Zinn verliehen dem Glas die unverwechselbare Farbe des Goldrubins. Um das Verfahren möglichst geheim zu halten und Brandenburg einen Exportschlager zu sichern, arbeitete Kunckel mit seinen Helfern fernab von der übrigen Bevölkerung auf der Pfaueninsel zwischen Berlin und Potsdam und ließ dort Unterkünfte sowie eine Mühle, ein Backhaus, eine Brauerei und andere nützliche Einrichtungen errichten. So konnten sich Kunckel und seine Mannschaft selbst versorgen.

Auf der Insel haben Archäologen anhand ausgegrabener Relikte rekonstruiert, wie die Glashütte eingerichtet war und was man dort produziert hat. Nach dem Tod seines kurfürstlichen Gönners zeigte dessen Sohn und Nachfolger Friedrich III., ab 1701 König Friedrich I., geringes Interesse an Kunckels Arbeit und Forschungen. Es waren wohl Neider und mächtige Feinde, die ihnen ein Ende setzten. Der berühmte Chemiker verließ das Land seiner größten Erfolge und gelangte am Ende seines Lebens in Schweden als Kunckel von Löwenstern zu neuem Ansehen. Die Lehrbücher des begnadeten Chemikers und Alchemisten erlangten große Verbreitung. Auf der Pfaueninsel erinnert ein Gedenkstein an ihn und seine epochalen Experimente.

Die besten Brillen kamen aus Rathenow

Rathenow und seine optische Industrie - das ist eine lange Erfolgsgeschichte. Hier stand im frühen 19. Jahrhundert die Wiege der hochwertigen Massenfertigung von Brillen, Mikroskopen und anderen optischen Geräten. Johann August Duncker, der Begründer der Rathenower Optikindustrie, war studierter Theologe, doch zog es den jungen Pfarrer zu den Naturwissenschaften und zur Technik, eine Erscheinung, die im Zeitalter der Aufklärung und der industriellen Revolution nicht ungewöhnlich war. Mit jungen Jahren bereits befasste er sich mit theoretischer Physik und insbesondere Fragen der Optik. Er übte sich im Glasschleifen und kombinierte unterschiedliche Linsen, um mit ihnen Mikroskope auszustatten. Die von Duncker in Rathenow hergestellten "sehscharfen" Brillen samt Fassungen waren ein Novum und erfreuten sich großer Beliebtheit. Der Fabrikant fand einen großen Absatzmarkt vor, denn in Preußen gab es ein Einfuhrverbot für Brillen aus anderen Staaten, um das Geld im eigenen Land zu behalten. Allerdings ließen einheimische Produkte dieser Art zu wünschen übrig. So fiel die Gründung der optischen Industrie in Rathenow auf fruchtbaren Boden. Dies um so mehr, als Versuche bisher gescheitert waren, diesen Wirtschaftszweig anderenorts in Preußen auf die Beine zu stellen.

Für die Fabrik stellte der Rathenower Garnisonpfarrer Samuel Christoph Wagener das Startkapital zur Verfügung, und als sich Pfarrer Duncker mit einem Gesuch an König Friedrich Wilhelm III. wandte, ihm die Herstellung von Brillen und optischen Geräten als Nebenerwerb zu gestattet, hatte er Erfolg. Am 10. März 1801 erhielten Duncker und Wagener die Genehmigung, die "Königlich privilegierte optische Industrie-Anstalt" zu führen. Zeitgleich wurde die Dunckersche Vielschleifmaschine patentiert. Das Unternehmen gewann rasch an Bedeutung und Ansehen, denn gute Brillen, Mikroskope und andere Geräte wurden dringend gebraucht. Zum Erfolg trug bei, dass Duncker großen Wert darauf legte, dass die Optiker seine Brillen ihren Kunden individuell anpassen, was heute eine Selbstverständlichkeit ist.

Dunckers Leben bekam 1819 durch eine schwere Krankheit eine jähe Wende, er war nicht mehr in der Lage, sein Unternehmen selbst zu führen. So übernahm sein erst 23 Jahre alter Sohn Eduard die Leitung der Fabrik. Er erweiterte ihre Kapazitäten, richtete Heimarbeitsplätze ein, baute den Vertrieb aus und lieferte bis nach Russland und in die USA. "Rathenow" wurde zum Inbegriff für hervorragende Augengläser und ist es auch heute. Die Stadt profitierte vom Aufschwung dieses Wirtschaftszweiges, im 19. Jahrhundert verfünffachte sich die Einwohnerzahl. Im Kreismuseum von Rathenow wird die Geschichte der optischen Industrie in Rathenow dokumentiert, und hier wird auch die von Duncker erfundene Vielschleifmaschine gezeigt, mit denen zeit- und kostensparend Augengläser geschliffen und poliert werden konnten. Historiker bescheinigen der Apparatur die gleiche Bedeutung, die seinerzeit mechanische Webstühle und Spinnmaschinen für die Textilindustrie hatten.

Pioniere der Zuckerindustrie

Zucker war bis in das 19. Jahrhundert hinein eine teure Angelegenheit. Wie die süßen Kristalle gewonnen und zu einem Volksnahrungsmittel wurden, erzählt das zur Stiftung Deutsches Technikmuseum Berlin gehörende Zucker-Museum. Die Ausstellung schildert anhand von Dokumenten, Bildern und Geräten, dass die Gewinnung des begehrten Stoffes durch Anbau und die Verarbeitung von Zuckerrohr auf afrikanischen, karibischen und lateinamerikanischen Plantagen ausgesprochen mühsam und kräftezehrend war. Zucker entwickelte sich seit der frühen Neuzeit zu einem der wichtigsten Welthandelsgüter, doch seine Produktion kostete unzähligen Sklaven das Leben. Schlecht ernährt, produzierten die Gefangenen unter sengender Sonne eine klebrige Masse, die so lange eingekocht wurde, bis aus dem Sirup die Zuckerkristalle gewonnen waren. Wie sehr das teure Nahrungsmittel geschätzt wurde, zeigen kostbare Zuckerstreuer und Dosen aus Silber. Auf Speisetafeln begüterter Leute stehend, unterstrichen sie als Statussymbole Wohlstand und Einfluss. Manche Behälter sind mit kleinen Schlössern gesichert um zu verhindern, dass sich Unbefugte an den Kristallen bedienen

Dass sich aus dem süßen Gold in den vergangenen 200 Jahren ein ganz gewöhnliches, heute in großen Mengen konsumiertes und daher nicht unbedenkliches Nahrungsmittel entwickelte, hat mit der Nutzung der Zuckerrübe als Ausgangsstoff zu tun. In einer der vielen Vitrinen wird geschildert, wie um 1920 in einer Fabrik in Nauen bei Berlin aus Rüben der weiße Zucker gewonnen wurde. In anderen Schaukästen sind dabei verwendete Geräte ausgestellt, und es wird auch gezeigt, in welchen Formen und Verpackungen Zucker gekauft und konsumiert wurde und heute angeboten und verbraucht wird.

BUCHTIPP Maria Curter: Das erfinderische Berlin (Das neue Berlin 2011, 192 S., zahlr. Abb., ISBN 978-3-360-02119-9-9); Informationen über Runge und andere im heutigen Land Brandenburg tätige Erfinder, Gelehrte, Künstler, Politiker und Herrscher im Buch von Helmut Caspar "Brandenburger Köpfe. Denkmäler und Erinnerungsorte zwischen Elbe und Oder" (Michael Imhof Verlag Petersberg 2010, 336 S., zahlr. Abb., ISBN 978-3-86568-548-3)

14. Februar 2018

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