"Der Hund - Stalin ist tot"
Kult um den sowjetischen Diktator und Massenmörder kannte in der frühen DDR keine Grenze / Ausstellung in der Gedenkstätte Hohenschönhausen



Die Gedenkstätte Hohenschönhausen ist montags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Zur Ausstellung gaben Andreas Engwert und Hubertus Knabe den Begleitband "Der rote Gott - Stalin und die Deutschen" heraus (176 Seiten, 134 Abb., zahlr. zum Teil farbige Abbildungen, 20 Euro, ISBN 978-3-86732-298-0).



Die in der deutschen Museumslandschaft einmalige Ausstellung zeigt, wie Stalin in der frühen DDR gefeiert wurde und welche seltsamen Blüten der Kult um ihn trieb.



Hubertus Knabe schildert, wie ein Abguss des 1961 in Ostberlin abgebauten Stalindenkmals in Ulan Bator aufgespürt und in die Gedenkstätte Hohenschönhausen gebracht wurde.



Zum Friedenaufgebot der deutschen Jugend 1950 wurde diese Medaille mit dem Bildnis von Stalin und des DDR-Präsidenten Wilhelm Pieck hergestellt.



Der Plan, nach Moskauer Vorbild im Herzen Berlins ein riesiges Kulturhaus zu errichten, ging zum Glück nicht in Erfüllung.





Wer mit solchen und ähnlichen Flugblättern oder auch mit der "unbezahlbaren" Satirezeitschrift "Tarantel" in die Fänge der Stasi und DDR-Justiz geriet, galt als Staatsfeind und hatte nichts zu lachen. (Fotos: Caspar)

Als der Diktator Josef Stalin vor 65 Jahren, am 5. März 1953, starb, wurden in der DDR und den anderen unter sowjetischer Herrschaft stehenden Ländern die Fahnen auf halbmast gesenkt, und das Radio spielte Trauermusik. Die Zeitungen druckten Stalinbilder mit dicken Trauerrändern darum. Staatstrauer wird ausgerufen, Arbeiter, Angestellte, Bauern und andere DDR-Bewohner treten zu kilometerlangen Trauerzügen am Stalindenkmal in der Berliner Stalinallee an. Stalins Werk ist unsterblich, behauptet eine Sonderausgabe der Wochenschau "Der Augenzeuge". Dort drapieren Junge Pioniere schwarzen Flor um Stalins Bildnis. Kommunistische Parteien und Regierungen überschlagen sich mit Beileidskundgebungen und Lobesworten für Stalin, den Lenin von heute, den großen Führer und weisen Lehrer des Weltproletariats und liebevollen Vater des Vaterlandes. Überall in der DDR werden quasireligiöse Andachten an kleinen Altären mit der Büste des teuren Toten abgehalten, und Dichter wie Johannes R. Becher sondern heute lachhaft anmutende, damals aber todernst gemeinte Hymnen auf den Staatenlenker ab. Was kaum jemand wusste war, dass Stalin einsam an den Folgen eines Schlaganfalls starb. Keiner seiner Leibärzte war bei ihm, alle hatten Angst dafür verantwortlich gemacht zu werden, wenn das Herz des Unterblichen aufhört zu schlagen, wie der Tod des 72-jährigen Massenmörders in den Zeitungen umschrieben wurde.

Es wird erzählt, dass die DDR-Zeitschrift "Der Hund" ein Porträt des in den kommunistischen Götterhimmel neben Marx, Engels und Lenin erhobenen Stalin mit einem dicken Trauerrand druckte. Erstaunte Leser lasen und das rief die Stasi und die DDR-Justiz auf den Plan. Die Verantwortlichen für den missverständlichen Zeitschriftentitel mussten den Fauxpas schwer büßen. Ob der Fall nur eine Legende ist, gut erfunden wäre er schon. Sich im Machtbereich des sowjetischen Diktators und seiner ostdeutschen Helfershelfer über diesen lustig zu machen, gar seinen Tod zu begrüßen und an diesen die Hoffnung auf eine Art Tauwetter zu knüpfen, war lebensgefährlich. Dafür gab es in der DDR den Verfassungsparagraphen 6, der so genannte Boykotthetze unter schwere Strafe stellte. Als im Gewerkschaftsblatt "Tribüne" ein Schriftsetzer die Worte Krieg und Frieden verwechselte und damit aus Stalin einen überragenden Kämpfer für die Erhaltung und Festigung des Krieges machte, kamen der Setzer sowie der verantwortliche Redakteur, der den Fehler übersehen hatte, ins Gefängnis. Durch ihr Verhalten hätten sich die Angeklagten zu Handlangern der westlichen Kriegsbrandstifter gemacht, hieß es in der Urteilbegründung.

Bronzedenkmal aus Ulan Bator herbei geholt

Der Fall wird in der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, untergebracht im ehemaligen Untersuchungsgefängnis des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR, in der bis zum 30. Juni 2018 eingerichteten Ausstellung "Der Rote Gott - Stalin und die Deutschen" dokumentiert. Erstmals in der deutschen Museumsgeschichte schildert die Sonderausstellung über den Stalin-Kult in der frühen DDR, wie die ostdeutsche Bevölkerung nach dem Zweiten Weltkrieg in den gedruckten und gefilmten Medien, bei Massenaufmärschen sowie durch überlebensgroße Portraits, genannt Pappköppe, bei Partei- und Kulturveranstaltungen, in den Schulen und sogar im Kindergarten auf die SED-Herrschaft eingeschworen wurde und welche Rolle dabei das Vorbild und die ewigen Lehren des "großen Stalin" spielte. Die zwei Jahre lang vorbereitete Ausstellung zeigt skurrile und erschreckende Zeugnisse des Stalin-Kults und der Massenmanipulation von damals wie Monstranzen bei Demonstrationen getragenen Transparenten über bunt bemalte Schüleraufsätze bis hin zu großen und kleinen Stalinbüsten und Medaillen mit dem Bildnis des Diktators.

Zu sehen ist im Hof der Gedenkstätte absichtsvoll ein nicht aufgestellter, sondern nur hingelegter Abguss des fast fünf Meter hohen Stalin-Denkmals, das bis zu seinem Abbau bei Nacht und Neben im November 1961 vor der Sporthalle auf der Stalinallee, der heutigen Karl-Marx-Allee, stand. Die Bronzestatue ist eine Leihgabe aus der mongolischen Hauptstadt Ulan Bator und kehrt nach dem Abbau der Ausstellung dort wieder zurück. Beim Zerlegen der Bronze schaffte ein Arbeiter ein Ohr und die Bartspitze des Roten Gottes beiseite. Die beiden Relikte und eine übergroße Hand vom Stalindenkmal, das 1956 beim Aufstand in Budapest gestürzt wurde, liegen nun friedlich in den Ausstellungsvitrinen. Besucher lernen beim Rundgang Pläne für die gigantomanische Umgestaltung der Mitte Berlins kennen, genannt Hauptstadt der DDR. An der Stelle des 1950 auf Befehl der SED-Führung abgerissenen Hohenzollernschlosses sollte nach Moskauer Vorbild ein riesiges Kulturhaus errichtet werden. Da sich seine Silhouette in einem Wasserbecken spiegeln sollte, war auch die Beseitigung des Berliner Doms am Lustgarten geplant. Der aberwitzige Plan ging zum Glück nicht in Erfüllung!

Hubertus Knabe, der Leiter der Gedenkstätte Hohenschönhausen, und der Historiker Andreas Engwert als Kurator, erklären, Stalin sei nicht nur wie Hitler als größter Feldherr aller Zeiten gepriesen worden, sondern auch als der einzig dazu berufene Vollender der Lehren von Marx, Engels und Lenin. Er habe als angeblich überragender Wirtschaftslenker und Sprachforscher eine unerhörte Autorität besessen, niemand in der östlichen Hemisphäre sei an ihm vorbei gekommen. Wer sich Stalin in den Weg stellte oder nur in Verdacht geriet, ihm seinen Sitz im kommunistischen Götterhimmel streitig zu machen, wurde ermordet und aus den Geschichtsbüchern getilgt. Die Ausstellung zeigt Beispiele dafür, wie Stalin und seine Henker mit angeblichen Partei- und Staatsfeinden umsprangen und wie die schon in der Antike geübte "Damnatio memoriae", die Löschung des Gedächtnisses, funktioniert hat. An den Wänden leuchten immer wieder neue Plakate mit Menschen auf, die dem immer jung und dynamisch maskierten Stalin zujubeln und schwören, in seinem Geist den Sozialismus und Kommunismus bis in den letzten Winkel des Erdballs zu tragen.

Gemeiner Setzfehler mit bösen Folgen

"Es gibt Leute in diesem Land, vor allem solche, die dem SED-Regime nahestanden, die behaupten, die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg sei in der Sowjetischen Besatzungszone beziehungsweise DDR so etwas wie eine Periode des Aufbruchs gewesen", sagt Hubertus Knabe, vor einem dieser Bilder stehend. Das sei aber ein Mythos, denn diese frühen Jahre seien durch Todesurteile, Zuchthausstrafen und Arbeitslager geprägt gewesen, durch physischen und psychischen Terror und durch Massenflucht. "Wir hier in der ehemaligen Stasi-Untersuchungshaftanstalt kennen die Schicksale derer, die sich dem Stalinkult zu entziehen suchten und/oder die aus politischen Gründen mit der Staatsmacht in Konflikt gerieten wie jene als Handlanger des westdeutschen Imperialismus bezeichneten Mitarbeiter der ,Tribüne', denen eingemeiner Setzfehler zum Verhängnis wurde. Sie saßen in Hohenschönhausen ein und waren nach der Entlassung ein Leben lang gezeichnet. Einer von ihnen, der Journalist Hugo Polkehn, wurde unter Folter gezwungen zuzugeben, dass er absichtlich in jenem Zeitungsbeitrag Krieg durchgehen ließ, wo es doch hatte Frieden heißen müssen."

Nach der Entlarvung des sowjetischen Diktators auf dem XX. Parteitag der KPdSU Anfang 1956 durch Nikita Chruschtschow sah sich die Partei- und Staatsführung der DDR, der noch der Volksaufstand am 17. Juni 1953 in den Knochen steckte, zu Erklärungen genötigt. "Als sich Stalin über die Partei stellte und den Personenkult pflegte, erwuchsen der KPdSU und dem Sowjetstaat daraus bedeutende Schäden", schrieb der SED-Chef im "Neuen Deutschland". Selbstverständlichwaren ihm die Millionen und Abermillionen Opfer des Stalinschen Terrors, Stalins Pakt mit Hitler 1939, die so genannten Säuberungen und die Verirrungen auf dem Gebiet der Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur keine Silbe wert. Auf einem Monitor am Ende der Ausstellung kann man dem Oberstalinisten und SED-Chef Walter Ulbricht zuhören, wie er einem westlichen Journalisten zu erklären versucht, dass es in der DDR keinen Stalinismus und daher auch keinen Stalinkult gegeben hat. Da das aber dem Sachsen mit der Fistelstimme schwer fällt, bricht er ungehalten das Interview ab.

23. Januar 2018

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