"Der Feind steht rechts"
Nach dem Ende der Monarchie Ende 1918 herrschte in der jungen Weimarer Republik noch lange nicht Ruhe und Ordnung



Unweit des Lichtenberger Rathauses wird an Spartakisten erinnert, die im März 1919 ermordet wurden.



Die Gedenkstätte auf dem Zentralfriedhof Friedrichsfelde war in DDR-Zeiten Schauplatz von Ehrungen durch die SED-Führung und Regierung. Es wurden Ehrengräber für Liebknecht und Luxemburg angelegt. Hier sind auch DDR-Politiker wie Ulbricht und Grotewohl bestattet.



Mit Hilfe der Dolchstoßlegende wurde gegen die junge Weimarer Republik und seine Vertreter gehetzt.



Der in die Flucht geschlagene Kaiser Wilhelm II. musste viel Hohn und Dreck ertragen. Seine Hoffnung, im Triumphzug nach Berlin zurückzukehren, ging nicht in Erfüllung.



Karl Liebknecht, Walther Rathenau und andere Politiker unterschiedlicher Ausrichtung wurden nach dem Ende des Ersten Weltkriegs Opfer von Mordanschlägen, die von rechtsgerichteten, nationalistischen und faschistischen Gruppen ausgeführt wurden. Diese erhielten Beifall von einem nicht kleinen Teil der Bevölkerung, andere Gruppen begehrten auf.



Walter Rathenau und seine Familie wurden auf dem Waltfriedhof Oberschöneweide im Berliner Bezirk Treptow-Köpenick bestattet. Er war 1902 im Auftrag des Mitgründers der Allgemeinen Elektricitäts-Gesellschaft (AEG), Emil Rathenau, angelegt worden. (Fotos/Repros: Caspar)

In der Novemberrevolution 1918 purzelten in Deutschland die Kronen. Das Deutsche Reich und seine Verbündeten hatten den Ersten Weltkrieg verloren. Es herrschten chaotische Zustände, Mord und Terror bestimmten das Tagesgeschehen. In Berlin rief der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann am 9. November 1918 die freie, demokratische Republik aus, während der spätere Gründer der Kommunistischen Partei Deutschlands, Karl Liebknecht, die freie, sozialistische Republik Deutschland proklamierte, womit schon kommende Gegensätze angedeutet wurden. Kaiser Wilhelm II. ging unter Mitnahme vieler seiner Besitztümer ins holländische Exil, und auch die anderen Fürsten dankten ab. Kein Heerführer und auch kein Rüstungsfabrikant wurden jemals zur Rechenschaft gezogen.

Die von vielen Katastrophen, revolutionären Bewegungen und Putschversuchen, einer verhängnisvollen Inflation, den Bestimmungen und Auflagen des Versailler Vertrags und einer schweren Wirtschaftskrise Ende der 1920er Jahre ist uns als die Zeit der Weimarer Republik bekannt. Die durch einen bemerkenswerten Aufschwung von Kunst und Kultur geprägte Periode endete am 30. Januar 1933 mit der Errichtung der Nazidiktatur. Der zum Reichskanzler ernannte Führer der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP), Adolf Hitler, übernahm die Herrschaft und setzte binnen kurzem Recht und Gesetz außer Kraft.

Die gar nicht friedliche Zeit der Weimarer Republik, die von den Nazis verächtlich als Systemzeit verunglimpft wurde, wird nach dem Nachkriegsparlament benannt, das am 11. Februar 1919 im idyllischen Weimar, weit weg von der von revolutionäre Unruhen geschüttelten Hauptstadt Berlin, zusammentrat und den Sozialdemokraten Friedrich Ebert zum Reichspräsidenten wählte. Die von der Nationalversammlung im August 1919 angenommene Verfassung definierte das Deutsche Reich als parlamentarisch-demokratische Republik und knüpfte an Forderungen an, die schon in Revolution von 1848/49 erhoben, aber nicht verwirklicht wurden. Die Weimarer Verfassung hat viele demokratische Errungenschaften festgeschrieben, so die Rolle des Parlaments, das Wahlrecht sowie Volksbegehren und Volksentscheide, auch das Verhältnis von Reichsrecht gegenüber den Rechten der einzelnen deutschen Länder. Die Verfassung hatte Mängel, vor allem die dominierende Stellung des für jeweils sieben Jahre direkt vom Volk gewählten Reichspräsidenten. Ihm stand laut Artikel 48 das Recht zu, unter bestimmten Umständen den Reichstag aufzulösen, Neuwahlen anzusetzen und mit Notverordnungen zu regieren, was sich in der Spätphase der Republik als verhängnisvoll erwies.

Kampf bis aufs Messer

Linke und rechte Kräfte haben die Weimarer Republik bis aufs Messer bekämpft und waren in der Wahl ihrer Mittel, aber auch beim Abschluss von Zweckgemeinschaften weder wählerisch noch zimperlich. Nach und nach wurden die Errungenschaften unterhöhlt, und als 1933 die Nazidiktatur errichtet wurde, hat das ein großer Teil der Bevölkerung, der chaotischen Zustände überdrüssig und auf wirtschaftliche Konsolidierung hoffend, ehrlichen Herzens als Befreiung empfunden. Noch heute sprechen viele Leute nicht von einer schrecklichen, menschenverachtenden, rassistischen Diktatur, sondern eher verharmlosend vom Dritten Reich. Der Begriff wurde von den Nazis verwendet und ist schon daher verdächtig. Er sollte andeuten, dass nach der Periode der Fürstenherrschaft und des Weimarer "Systems" nun eine ganz neue Zeit des nationalen Aufbruchs und der Volksgemeinschaft angebrochen ist, eine Zeit, die Hitler und seine Anhänger als Führerstaat oder auch als Tausendjähriges Reich feierten, dessen Dauer und Herrlichkeit jede Vorstellungskraft sprengt.

Philipp Scheidemann und Karl Liebknecht riefen am 9. November 1918 in Berlin auf unterschiedliche Weise die freie deutsche Republik beziehungsweise die freie sozialistische Republik Deutschland ausgerufen. Einer später angefertigten Schalplattenaufnahme zufolge erklärte der SPD-Politiker: "Der Kaiser hat abgedankt; er und seine Freunde sind verschwunden. Über sie alle hat das Volk auf der ganzen Linie gesiegt! Prinz Max von Baden hat sein Reichskanzleramt dem Abgeordneten Ebert übergeben. Unser Freund wird eine Arbeiterregierung bilden, der alle sozialistischen Parteien angehören werden. Die neue Regierung darf nicht gestört werden in ihrer Arbeit für den Frieden und der Sorge um Arbeit und Brot. Arbeiter und Soldaten! Seid euch der geschichtlichen Bedeutung dieses Tages bewusst. Unerhörtes ist geschehen! Große und unübersehbare Arbeit steht uns bevor. Alles für das Volk, alles durch das Volk! Nichts darf geschehen, was der Arbeiterbewegung zur Unehre gereicht. Seid einig, treu und pflichtbewusst! Das Alte und Morsche, die Monarchie ist zusammengebrochen. Es lebe das Neue; es lebe die deutsche Republik!"

Rote Fahne statt Kaiserstandarte

Der linke Politiker und spätere Mitbegründer der Kommunistischen Partei Deutschlands, Karl Liebknecht, erklärte einige Zeit später von einem Balkon des Berliner Schlosses: "Der Tag der Revolution ist gekommen. Wir haben den Frieden erzwungen. Der Friede ist in diesem Augenblick geschlossen. Das Alte ist nicht mehr. Die Herrschaft der Hohenzollern, die in diesem Schloss jahrhundertelang gewohnt haben, ist vorüber. In dieser Stunde proklamieren wir die freie sozialistische Republik Deutschland. […] Durch dieses Tor wird die neue sozialistische Freiheit der Arbeiter und Soldaten einziehen. Wir wollen an der Stelle, wo die Kaiserstandarte wehte, die rote Fahne der freien Republik Deutschland hissen!"

Doch war nach dem Ersten Weltkrieg weder von Ruhe und Frieden noch von Einigkeit und Recht und Freiheit die Rede. Kaiser Wilhelm II. und die anderen deutschen Bundesfürsten waren in der Hoffnung abgetreten, über kurz oder lang wieder ihre Throne einnehmen zu können. Geblieben waren die Generale und all die anderen Stützen des Kaiserreichs, und sie dachten nicht daran, einen Zipfel Macht an die Arbeiter und Soldaten abzugeben, die den Regimewechsel ermöglicht und mit ihrer Rebellion den Krieg beendet hatten. Für die verheerende Entwicklung des Ersten Weltkriegs und die katastrophale Niederlage wollten weder die Fürsten noch die Politiker und das Militär im Deutschen Reich verantwortlich sein. Sie behaupteten, an der Katastrophe seien nicht sie, die Befehlshaber, und die Soldaten Schuld, sondern aufgewiegelte Zivilisten in der Heimat, die angeblich den tapferen Kriegern einen Dolchstoß in den Rücken versetzt hätten.

In seinem Erinnerungsbuch "Ereignisse und Gestalten" schrieb der im niederländischen Exil komfortabel lebende Ex-Kaiser Wilhelm II.: "Dreißig Jahre ist die Armee mein Stolz gewesen. Ich habe für sie gelebt und an ihr gearbeitet. Und nun nach vier glänzenden Kriegsjahren mit unerhörten Siegen mußte sie unter dem von hinten gegen sie geführten Dolchstoß der Revolutionäre zusammenbrechen, gerade in dem Augenblick, als der Friede in Greifnähe stand! Und dass in meiner stolzen Flotte, meiner Schöpfung, die Empörung zuerst offen zutage getreten ist, hat mich am tiefsten ins Herz getroffen". Schuldgefühle gegenüber den Millionen Kriegstoten und Versehrten plagten den ehemaligen Monarchen nicht.

Karl Liebknecht und seine Mitstreiter vom Spartakusbund forderten Ende 1918 die Fortführung der bürgerlich-demokratischen Revolution und ihre Umwandlung in ein proletarisch-sozialistische Revolution. Aus Angst vor der "Bolschewisierung" nach russischem Vorbild taten sich rechtsextreme Offiziere und andere Personen zusammen mit dem Ziel, die Spartakusbewegung und ihre Führer, allen voran Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, zu liquidieren. Ende 1918 kam es in Berlin und an anderen Orten zu Putschversuchen von Freikorpsleuten und zu Mordanschlägen, denen zahlreiche Menschen zum Opfer fielen. Mitten im Chaos fand vom 30. Dezember 1918 bis 1. Januar 1919 unter dem Motto "Alle Macht den Räten, nieder mit Imperialismus und Militarismus, Verbrüderung mit der russischen Revolution" der Gründungsparteitag der KPD statt.

Einer muss den Bluthund machen

Um Ruhe und Ordnung wiederherzustellen, setzte der Sozialdemokrat Gustav Noske Regierungstruppen gegen Spartakisten und andere Revolutionäre in Marsch. Mit seinem Befehl: "Jede Person, die mit der Waffe in der Hand, gegen Regierungstruppen kämpfend angetroffen wird, ist sofort zu erschießen" und dem Bekenntnis "Einer muss den Bluthund machen! Ich scheue die Verantwortung nicht!' verschaffte er sich den zweifelhaften Spitznamen Blutnoske oder Bluthund. Unter solchen Bedingungen gedieh der politische Mord. Freikorpsleute machten Jagd auf linke Aktivisten und heizten die Spannungen mit entsprechenden Aufrufen weiter an. Liebknecht und Luxemburg wurden am 15. Januar 1919 bestialisch ermordet. Die Folge waren neue Protestaktionen, die blutig aufgelöst wurden. Vier Tage später fanden die Wahlen zur Nationalversammlung statt, in denen die bürgerlichen Parteien die Mehrheit erlangten. Die KPD hatte die Wahl, an der erstmals auch Frauen teilnehmen konnten, boykottiert. Das Nachkriegsparlament trat im fernen Weimar zusammen, weil die Verhältnisse in Berlin zu unsicher waren. Das verschaffte dem Staat den Namen Weimarer Republik.

"Ich kämpfe gegen das Unrecht, das in Deutschland geschieht, denn ich sehe Schatten aufsteigen, wohin ich mich wende. [...]. Seit Jahrzehnten hat Deutschland keine ernstere Periode durchlebt als diese; das stärkste aber, was in solchen Zeiten geschehen kann, ist: das Unrecht abtun" - das schrieb der spätere Reichsaußenminister Walther Rathenau im Jahre 1911. Elf Jahre später wurde er Opfer seiner demokratischen Grundüberzeugung und seiner Verständigungspolitik gegenüber den ehemaligen Kriegsgegnern. An der Einmündung Erdener Straße in die Koenigsallee im Berliner Bezirk Wilmersdorf erinnert ein schlichter Stein mit einer Inschriftenplatte aus Bronze an den Mordanschlag, dem der Politiker am 24. Juni 1922 zum Opfer fiel. Walther Rathenau hatte sich einen Namen durch die Aushandlung des Vertrags von Rapallo mit Sowjetrussland gemacht und war dafür eingetreten, dass Deutschland seinen Verpflichtungen aus dem Vertrag von Versailles gegenüber den Siegermächten nachkommt, weshalb konservative, nationalistische, antisemitische und faschistische Kreise gegen ihn hetzten und ihn als Landesverräter und angeblichen Erfüllungspolitiker verunglimpften.

Jede Stunde Demokratie

Dem Mord an Rathenau durch zwei Mitglieder der rechtsextremen Organisation Consul war ein regelrechtes Kesseltreiben gegen den jüdischen Politiker voran gegangen. Man warf ihm zu große Nachgiebigkeit gegenüber den Siegermächten des Ersten Weltkriegs und seinen unbedingten Einsatz für die junge Republik und ihre demokratischen Errungenschaften vor. Mit der Mordtat sollte nicht nur ein aufrechter Demokrat liquidiert, sondern auch die neue, noch sehr instabile republikanische Ordnung getroffen werden. In seiner Trauerrede erklärte Reichskanzler Joseph Wirth am 25. Juni 1922 im Reichstag, mit dem Mord an Rathenau seien die großen Entwicklungen jäh unterbrochen worden, "und die Herren, die die Verantwortung dafür tragen, können das niemals mehr vor ihrem Volke wieder gutmachen." Wirth forderte in jeder Stunde Demokratie und meinte nicht Demokratie, "die auf den Tisch schlägt und sagt: wir sind an der Macht! - nein, sondern jene Demokratie, die geduldig in jeder Lage für das eigene unglückliche Vaterland eine Förderung der Freiheit sucht!" Der Reichskanzler beendete seine mit lang anhaltendem Beifall von Mitte bis Links quittierten Rede mit den Worten: "Da steht der Feind, der sein Gift in die Wunden eines Volkes träufelt. Da steht der Feind - und darüber ist kein Zweifel: dieser Feind steht rechts!"

Nach den Todesschüssen auf Walther Rathenau erließ die Reichsregierung zwei Verordnungen zum Schutz der Republik, die wenig später in das "Gesetz zum Schutz der Republik" eingingen. Allerdings wurde es vor allem gegen Kommunisten und die Linke angewendet, obwohl es gegen extremistische Organisationen jeder Couleur gerichtet war. Elf Jahre später war die Weimarer Republik am Ende, die Herrschaft der Nationalsozialisten begann. Für sie war Walther Rathenau eine Unperson. Erst nach dem Ende der braunen Diktatur war ein ehrendes Gedenken an den aufrechten Demokraten möglich.

5. Februar 2018

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