Staatspartei und ihre Gegenwelten
Die Ausstellung in der Berliner Kulturbrauerei über den Alltag in der DDR hat immer etwas Neues zu bieten



Das Museum Alltag in der DDR in der Kulturbrauerei Knaackstraße 97 im Berliner Bezirk Prenzlauer Berg ist Dienstag bis Sonntag von 10 bis 18 Uhr und am Donnerstag bis 20 Uhr geöffnet, Eintritt frei.



Nach außen gab sich die DDR als großartige Handels- und Wirtschaftsmacht aus, im Inneren fehlte es vorn und hinten. Wenn sonst nichts klappte, an Politparolen gab es im Arbeiter-und-Bauern-Staat keinen Mangel.





Solange alle DDR-Bewohner satt waren, trocken wohnten und ihren Schnaps hatten, konnte eigentlich nichts passieren, war das Kalkül der SED-und Staatsspitze, aber wehe, wenn sie Reisefreiheit und wirkliche demokratische Verhältnisse verlangten, dann schlug die Staatsmacht unbarmherzig zu.



Wie ein typisches Westpaket aussah, wird in der Ausstellung gezeigt, wie es darin gerochen hat, muss man sich aus eigenem Erleben hinzu denken. Nebenan stellt der Fotograf Daniel Biskup seine Bilder aus der Zeit nach dem Mauerfall aus.





Die allgegenwärtige Stasi konnte nicht verhindern, dass sich in der DDR 1989 viel oppositioneller Zündstoff ansammelte. Hier ein von dem Berliner Grafiker Manfred Butzmann mit einem Kreuz aus dem Hebelarm eines Müllcontainers versehenen Fahrrad, das in einer öffentlichen Aktion zusammengeschweißt und 1987 während des Kirchentages in Ost-Berlin als Protest gegen politische Unterdrückung vorgeführt wurde.



Daniel Biskup stellt neben der DDR-Ausstellung Fotos aus, die er in den Jahren nach dem Mauerfall und dem Ende der DDR aufgenommen hat. (Fotos: Caspar)

Der Fall der Mauer am 9. November 1989, vor nunmehr fast 30 Jahren, und die Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 regen überall im Land neue Diskussionen darüber an, wer dieser zweite deutsche Staat war, was zu seinem Ende führte, was er uns bedeutet, was er hinterlassen hat und wie sich die Hoffnungen der Menschen im Osten und Westen in das vereinigte Deutschland erfüllt haben oder auch nicht. Wer die Ausstellung "Alltag in der DDR" in der Berliner Kulturbrauerei besucht, taucht in eine seltsame, je nach Biographie und Herkunft unterschiedlich erlebte und beurteilte Welt ein. Die einen werden die Fahnen, Transparente, Brigadetagebücher und Gemälde von Arbeitern und Bauern, die Kleidungsstücke, Reklameschilder und alten Konserven, die Plakate und Politikerbildnisse, die Wohnungseinrichtungen, Erzeugnisse des täglichen Bedarfs und all die anderen tausend kleinen Dinge, die man oft nur nach langem Anstehen zu kaufen bekam, sowie heiter und ernst stimmende Fotos aus DDR-Zeiten und vieles andere sowohl mit Erstaunen und als Entsetzen betrachten.

Die vom Haus der Geschichte in Bonn gestaltete Ausstellung zeigt das Leben der Ostdeutschen während der siebziger und achtziger Jahre. Sie schildert, wie das SED-Regime einerseits den Arbeitsalltag und Freizeit prägte oder zu bestimmen versuchte und wie sich die Bewohner des zweiten deutschen Staats auf der anderen Seite ideologischer Bevormundung entzogen. Für manche Besucher gibt es ein Wiedersehen mit der Art und Weise, wie sie innerhalb ihrer engen Grenzen gereist sind, wie sie gekleidet waren und unter zum Teil erbärmlichen Bedingungen gewohnt haben. Dargestellt ist, wie sie sich auf ihren Datschen und Campingplätzen eine kleine Gegenwelt zur ständigen Berieselung mit Politparolen und Wettbewerbsaufrufen geschaffen haben. Besucher können in einer authentisch eingerichteten Gaststätte, in einem Wohnzimmer oder an einer Werkbank Platz nehmen und erfahren dort mehr über Freizeit und Improvisation, Wohnungsbau und Verwahrlosung vieler Innenstädte. Die Exponate werden durch historische Dokumente, Zeitzeugenberichte und zeitgenössisches Filmmaterial ergänzt, um den DDR-Alltag aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten.

Billige und teure Butter - was soll das?

Wenn man die Ausstellung in längeren Abständen besucht, wird man sehen, dass da und dort wohlbekannte Exponate wie etwa Büsten von SED-und Staatsfunktionären, Transparente oder vor der Verschrottung bewahrte Maschinen durch neue Stücke ausgetauscht sind. Interesse verdienen Tagebucheinträge und Eingaben von DDR-Bewohnern an die Behörden wie diese aus dem Jahr 1989: "Hinzu kommt noch, dass jetzt im Delikat Butter verkauft wird, das Stück 250 Gramm zu 6,80 M. Was soll das sein? Was essen wir denn da an Butter für 2,40 M? Ich möchte sagen, was ist da los? Haben wir, die wir heute Rentner sind, unsere Republik von Anfang an so schlecht aufgebaut? Sind die Werte, die wir geschaffen haben, nichts?" [Anmerkung: "Delikat" waren Sonderläden, in denen "bessre" Lebensmittel und Spirituosen zu höheren Preisen als in normalen Läden verkauft wurden. Manche Leute verdienten so gut, dass sie sich diesen Luxus leisten konnten]. An anderer Stelle wird aus Eindrücken über die erst nach amtlicher Genehmigung erlaubten Westreisen so zitiert: "Viel bunter als Ansichtskarten - das war mein erster Eindruck, als ich nachts aus dem Zug stieg. Es riecht anders, vielleicht riecht es nur nicht…" oder "Ich habe von dieser Westreise die Erfahrung mitgenommen, dass es wahrscheinlich nicht geht, den Leuten mal eine Woche…Freiheit zu geben, denn wenn sie davon gekostet haben, wollen sie das Ganze." Die Ausstellung geht der Frage nach, wie dieser Staat, in dem ein Brötchen 40 Jahre lang fünf Pfennig und ein Brot 78 Pfennig gekostet haben, in dem es zwar immer Schnaps und Orden gab, aber Bananen und Autos Mangelware waren, der auf den höchsten Fernsehturm in Deutschland stolz, aber nicht genug Wohnungen für alle hatte, in dem die schönsten Märchenfilme gedreht, aber kritische Fragen an das von der Staatspartei beherrschte Gemeinwesen verboten und oppositionelle Künstler ausbürgert wurden, der jeden Tag von Weltoffenheit und Völkerfreundschaft sprach, die eigenen Bürger nicht dorthin reisen ließ, wohin sie wollten.

Leute mit und ohne Reiseerlaubnis

Forderungen nach freien Wahlen und Reisefreiheit hat im "Wendejahr" 1989 tausende Menschen auf die Straße gebracht, und so spielen sie auch in der Alltags-Ausstellung eine herausragende Rolle. Dazu kann man überall solche Wortmeldungen finden: "Endlich war ich an der Reihe. Als ich denen sagte, ich wolle lediglich in den Westen, weil meine Tante gern mit mir Weihnachten feiern möchte, war meine ,Reise' schon beendet", notierte ein Unbekannter, und ein anderer hielt fest: "Meine Normalität bekam einen Sprung in dem Moment, als ich den Pass in den Händen hielt. Die Unterscheidung der klassenlosen Gesellschaft in die beiden Klassen ,Passinhaber' und Ausgeschlossene (oder Eingeschlossene) spürte ich schnell am eigenen Höhenflug (bis zur Ängstlichkeit beim Autofahren: Jetzt darf nichts mehr passieren!) und am Neid - aber auch der Mitfreude - von anderen."

Aus eigenen Beständen sowie zahlreichen Spenden und Leihgaben bestehend, lässt die Ausstellung klamme Gefühle aufkommen. Mit zahlreichen Objekten aus Betrieben, Schulen, Instituten, Polizeiwachen, Privatwohnungen und anderen Orten, ferner Dokumenten sowie Film- und Tonaufnahmen und anderen Exponaten zeigt sie die Spannungen zwischen dem von der Partei und Regierung propagierten Ansprüchen und der rauen Wirklichkeit. Sie schildert an Einzelschicksalen, wie eng die Grenzen für eine individuelle Entfaltung waren und welche Kraft man brauchte, sich den ideologischen Vorgaben der SED und den von ihr kreierten "Geboten der sozialistischen Moral" zu entziehen. Die Schau in der früheren Brauerei vermittelt ferner Einsichten in die Arbeitswelt zwischen Planvorgaben und Improvisation, aber auch in das Kultur- und Bildungssystem sowie die Freizeitgestaltung, und sie zeigt, in welch miserablem Zustand sich die Städte und Dörfer, ja die ganze Infrastruktur des Arbeiter-und-Bauern-Staates befand. Deutlich wird zugleich, warum sich die DDR, die sich nach außen als eine der weltweit führenden Wirtschaftskräfte präsentierte, in den 1980-er Jahren unausweichlich einem Kollaps zubewegte und was den Bewohnern geblüht hätte, hätte sie noch länger existiert.

Zuchthausstrafe für verbotene Lektüre

Wer das alles miterlebt hat, dem ruft die Ausstellung noch einmal ins Gedächtnis, wie DDR-Bewohner mit kreativen Ideen versuchten, die Hürden der sozialistischen Mangelwirtschaft zu überwinden und im Kampf um ordentlichen Wohnraum kleine Siege zu erzielen. Doch mit solchen Banalitäten gaben sich die so genannten führenden Persönlichkeiten in Staat und Partei nicht ab. Wo immer sie Parteitagsreden schwangen und sich medienwirksam unters Volk begaben, gab es nur schöne Verheißungen für ein glückliches Leben nach dem von Honecker propagierten Motto "Vorwärts immer, rückwärts nimmer". Viele Leute ließen sich mit solchen Sprüchen nicht abspeisen. Wer aufbegehrte, bekam es mit dem Geheimdienst, der Polizei und der Justiz zu tun. So wird an erschreckenden Beispielen gezeigt, dass die Staatsmacht unbarmherzig zuschlug, wo immer sie Opposition und von den marxistisch-leninistischen Normen abweichendes Denken und Handeln vermutete. Zugleich wird gezeigt, dass sich im Untergrund mutige Leute zusammentaten, um der elenden Bevormundung und Kontrolle eine Alternative entgegenzusetzen und Menschenrechte einzufordern. Wie gefährlich es sein konnte, wenn man verbotene "Westliteratur" besaß und las, zeigt in der Ausstellung das Beispiel eines jungen Druckers, der den Roman von George Orwell "1984" über die Machenschaften in einem totalen Überwachungsstaat geschenkt bekam und dafür wegen angeblicher Nachrichtenübermittlung und staatsfeindlicher Hetze zu drei Jahren und drei Monaten Zuchthaus verurteilt wurde.

In einer Zeit gesellschaftlicher, politischer und kultureller Transformation hat der Fotograf Daniel Biskup Menschen, Städte und Dörfer in den Blick genommen. Seine Fotos in Räumen neben dem Museum zum Alltag in der DDR zeigen Stimmungsbilder im deutschen Osten von den ersten Jahren nach dem Fall der Mauer im Osten. Es geht um die Frage, wie die Bewohner der "neuen Bundesländer" die Zeit nach der Wiedervereinigung und den Wandel der Konsumwelt erlebt haben, wie sie mit ihrer Vergangenheit umgegangen und mit den tiefgreifenden, für viele wenig erfreulichen Veränderungen in der Arbeits- und Berufswelt sind. Der bekannte Fotojournalist und Dokumentarist wirft darüber hinaus einen Blick auf den desolaten Zustand der Infrastruktur, die die DDR zurückgelassen hat. Beim Verlassen der Ausstellung werden die meisten Besucher sagen "Ein Glück, dass das alles aus und vorbei ist."

19. September 2019

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