Berlin wird Viermillionen-Stadt
Der Weg zur Bildung der Großgemeinde am 1. Oktober 1920 war lang und steinig / Hitlers "Germania"-Pläne blieben auf der Strecke



Groß-Berlin wurde 1920 in 20 Bezirke aufgeteilt. Alt-Berlin, auch Kernstadt genannt, bestand aus sechs Bezirken.



Berlin war vor und nach der Bildung der Großgemeinde 1920 eine Stadt krasser Gegensätze. Die meisten Bewohner lebten in engen und ungesunden Behausungen und wussten nicht, wie sie sich und ihre Familien ernähren sollten. Wer sich gegen die Ungerechtigkeiten wehrte, bekam es mit der Polizei und ihren Knüppeln zu tun. Die Zeichnung von George Grosz und Heinrich Zille (Mitte und rechts) schildern, wie dem damaligen Proletariat und Prekariat zumute war.



Ein Zeitungsausträger ruft vor dem Anhalter Bahnhof nach Kunden. Hier kamen unzählige Passagiere an, viele blieben für immer.



Wer Geld brauchte und Schmuck und andere passende Gegenstände zu versetzen hatte, konnte sich welches im Königlichen Leihamt in der Linienstraße 94 in Berlin-Mitte beschaffen, natürlich gegen saftige Gebühren. Das Haus ist die einzig noch erhaltene Institution dieser Art in der Stadt. 1784 als erstes amtliches Pfandhaus im deutschen Raum gegründet, verbindet es die Linienstraße mit der Torstraße. Das bis 1990 als Leihhaus genutzte Gebäude mit seiner einzigartigen Ziegelarchitektur steht unter Denkmalschutz.



Wer es sich leisten konnte, verbrachte seine Zeit in Berliner Tanzpalästen und feinen Restaurants. Sie stehen pars pro toto für die "Goldenen Zwanziger", die freilich alles andere als golden und grandios waren.



Um die enge Bebauung in der Innenstadt und angrenzenden Arealen zu überwinden und der Metropole einen großstädtischen Charakter zu verleihen, haben Stadtplaner und Architekten manche großartige Projekte zur Diskussion gestellt. Während solche Großsiedlungen an der Peripherie verwirklicht wurden, blieben der an New Yorker Vorbilder angelehnte Wolkenkratzer in der Nähe des Reichstagsgebäudes und manch andere großspurigen Ideen auf der Strecke.



Blick in einen typischen Berliner Hinterhof mit einem "Plumpsklo" und einer Wasserpumpe für zahlreiche Hausbewohner.



Die hochfliegenden Germania-Pläne sind zum Glück nur als Modelle und Zeichnungen überliefert, hier in einer Ausstellung im Deutschen Dom am Berliner Gendarmenmarkt. Um Baufreiheit zu gewinnen, haben die Nationalsozialisten zahllose Wohnhäuser abreißen lassen. Man hat errechnet, dass die Große Halle, der Triumphbogen und andere Monumentalbauten über kurz oder lang im schwankenden Boden der Stadt versunken wäre. Dieser bereitete schon immer Berliner Bauprojekten große Probleme.



Die heutige Straße des 17. Juni im Berliner Bezirk Tiergarten sieht noch genauso aus wie in der NS-Zeit, sonst aber hat sich in der Stadt an der Spree seither sehr viel und oftmals nicht zum Guten verändert. (Fotos/Repros: Caspar)

Kaiser Wilhelm II. in der Reichshauptstadt Berlin ehrgeizige Pläne. Er wollte aus der Metropole die bedeutendste Stadt der Welt machen. Berlin nahm damals eine Fläche von rund 67 Quadratkilometern ein und hatte 1,9 Millionen Einwohner. Doch erst nach dem Ende der Monarchie im Ergebnis der Novemberrevolution von 1918 wurde sie mit einem Schlag durch Eingemeindungen eine Viermillionen-Stadt. Als am 1. Oktober 1920 das Gesetz über die Bildung der neuen Stadtgemeinde Berlin im Preußischen Landtag beschlossen wurde, zählte man 3,8 Millionen Einwohner. Die Abstimmung fiel mit knapper Mehrheit von 165 zu 148 Stimmen bei fünf Enthaltungen aus, außerdem waren 82 Abgeordnete nicht anwesend. Angesichts dieser Lage war es nur natürlich, dass das Abstimmungsergebnis längere Zeit später diskutiert und infrage gestellt wurde.

Die neue Einheitsgemeinde, wie man damals sagte, hatte sich um das Dreizehnfache von knapp 67 Quadratkilometern auf 878 Quadratkilometer ausgedehnt. Der Zuwachs entsprach etwa der Fläche der Ostseeinsel Rügen entsprach. Praktisch über Nacht war die deutsche Reichshauptstadt nach Los Angeles die zweitgrößte Stadt der Welt und hatte nach London und New York die meisten Einwohner. Mit dem Gesetz wurden Berlin 94 Ortsteile zugeschlagen. Das waren die in ihrer Struktur, Geschichte und Bevölkerung ganz unterschiedlichen Städte Charlottenburg, Köpenick, Lichtenberg, Neukölln, Schöneberg, Spandau und Wilmersdorf, ergänzt durch kamen 59 Landgemeinden und 27 Gutsbezirke. Berlin war wegen des großen Anteils an Wäldern und Seen sowie Ackerflächen eine ausgesprochen grüne Stadt geworden, und die Bevölkerungsdichte pro Quadratkilometer sank drastisch von bisher 285 Einwohnern auf 44 Einwohner pro Hektar. Außerdem ging der Anteil der bebauten Fläche an der Gesamtfläche der Metropole zurück.

Einteilung in zwanzig Bezirke galt bis 2001

Die Stadt hatte sich so sehr ausgedehnt, dass umfangreiche Verkehrsbauten notwendig wurden, um einigermaßen schnell und bequem von einem Teil der nunmehr in 20 Bezirke gegliederten Reichshauptstadt in einen anderen zu gelangen. Für die benachbarte Provinz Brandenburg hatte die Bildung von Groß-Berlin nicht geringe Folgen, denn sie verlor an die Reichshauptstadt eine Fläche von 800 Quadratkilometern und 1,9 Millionen Einwohner und damit auch Steuerzahler. Allerdings fiel der Flächenverlust mit nur zwei Prozent relativ moderat aus. Die Neueinteilung der Hauptsstadt in 20 Verwaltungsbezirke blieb über den zweiten Weltkrieg und die Teilung hinweg bestehen und wurde erst am 1. Januar 2001 durch Zusammenlegung einiger Bezirke auf elf abgesenkt. Die 1920 festgelegte Zahl 20 setzt sich aus den sechs innerstädtischen Bezirken Mitte, Tiergarten, Wedding, Prenzlauer Berg, Friedrichshain und Kreuzberg sowie den sieben eingemeindeten Städten Charlottenburg, Köpenick, Lichtenberg, Neukölln, Schöneberg, Spandau und Wilmersdorf zusammen. Hinzu kamen die Bezirke Pankow, Reinickendorf, Steglitz, Tempelhof, Treptow, Weißensee und Zehlendorf.

Seit 1912 hatte ein "Bürgerbund für Groß-Berlin" für die Eingemeindungen gekämpft und war dabei zum Teil auf erbitterten Widerstand der betroffenen Kommunen gestoßen, die Einbußen an Autonomie und Einkünften sowie die Dominanz zentraler Regierungsstellen befürchteten. Solchen Einwänden hielten die Befürworter der Einheitsgemeinde wirtschaftliche und politische Vorteile entgegen. Sie betonten, die Mehrheit der Berliner und der betroffenen Städte und Gemeinden stehe hinter dem Plan und würde erkennen, dass die Vorteile die Nachteile überwiegen. Angestrebt wurden Zusammenlegungen und damit auch Einsparungen bei den kommunalen und weiteren Einrichtungen. Wie zersplittert die Lage war, zeigt die Lage auf dem Gebiet der Stadtwirtschaft. So hat man im Großraum Berlin 17 Wasser-, 43 Gas- und Elektrizitätswerke und fast 60 Kanalisationsbetriebe gezählt, die man zusammenfassen wollte.

Endlich ist es erreicht, alles Trennende ist fortgeräumt

Überall kam es zu unnötigen Reibungsverlusten bei den Behörden und ein Neben-, manchmal auch Rivalitäten und ein Gegeneinander in ihrer Arbeit auf Kosten der Bevölkerung. Es existierten unterschiedliche, isoliert von Nachbargemeinden aufgestellte Bebauungspläne, die der Entwicklung des Verkehrswesens im Wege standen. Der 78jährige SPD-Politiker und Altersvorsitzende der neu gewählten Berlinert Stadtverordnetenversammlung Wilhelm Pfannkuch fasste erleichtert und glücklich die Stimmung am 15. Juli 1920 so zusammen: "Endlich ist es erreicht: der sehnlichste Wunsch der übergroßen Mehrheit der Bevölkerung des Wirtschaftsgebietes Groß-Berlin ist in Erfüllung gegangen, die Einheitsgemeinde ist Tatsache geworden! Mit der Hinwegwerfung des Wilhelminischen Regiments war die Bahn frei geworden. Der Popanz der Berliner Präfektur ist verscheucht. Das freieste Wahlrecht bildet das feste Fundament, auf dem das Selbstverwaltungsrecht der Einheitsgemeinde beruht. Der Widerstreit der Interessen der einzelnen Glieder der Einheitsgemeinde wird nicht so über Nacht erlöschen. Aber für den Ausgleich der hier und da sich gelten machen wollenden Sonderinteressen wird das freie Wahlrecht das heilsame Korrektiv bilden; unter dem Einfluss desselben wird es den noch Widerstrebenden klar werden, dass alles Trennende fortgeräumt und das Verbindende und Ausgleichende gefördert werden muss. Dieser Arbeit zu dienen ist die Organisation der Einheitsgemeinde zugeschnitten."

Es dauerte einige Zeit, bis sich die Vorteile der heftig diskutierten Bildung von Groß-Berlin bemerkbar machten. Zu nennen sind unter anderem die Vereinheitlichung der kommunalen Dienstleistungen und Tarife sowie die Angleichung des Finanz-, Steuer- und Abgabewesens beziehungsweise der Gehälter und Löhne. Aufgrund der Eingemeindungen erübrigten sich gerichtliche Auseinandersetzungen über das Schulwesen, die Kanalisation und Unterstützungsleistungen an Bedürftige. Selbstverständlich ließen sich um ihre Rolle als regionale Größen besorgte Bedenkenträger und Groß-Berlin-Gegner nicht beeinflussen. So organisierten konservative Gruppen in Köpenick, Spandau und Zehlendorf sowie in verschiedenen Randgemeinden lautstark eine Gegenbewegung, die sich "Los von Berlin-Bewegung" nannte, aber keine sonderliche Bedeutung erlangte. Man muss ja bedenken, dass die Zeiten zwei Jahre nach dem ersten Weltkrieg hart und unübersichtlich waren. Auf den Straßen herrschen bürgerkriegsartige Zustände, es gab immer wieder politische Morde, alle hetzten gegen alle, und viele verunsicherte Menschen wussten nicht, wie sie und ihre Angehörigen den nächsten Tag überstehen sollen. Von Forderungen ihrer Vertreter, aus der als Moloch verunglimpften Metropole wieder auszuscheiden, ließen sich weder der Preußische Landtag noch das Berliner Abgeordnetenhaus beeindrucken, und so verstummte mit den Jahren der Unmut.

Zusammengepfercht auf engstem Raum

Wie eng und ungesund man in Berlin um 1900 und lange danach zusammen lebte, geht aus zeitgenössischen Beschreibungen und erschreckenden Bildern hervor. Danach gab es in der Weberstraße eine Mietskaserne mit 180 Wohnungen und 590 Bewohnern, in der Königsberger Straße stand ein Haus mit 142 Wohnungen, in denen 616 Menschen zusammengepfercht waren, am Schlesischen Bahnhof zählte man 830 Menschen in 166 Wohnungen. Die größte Dichte wurde in der Ackerstraße mit 1300 Bewohnern in einem einzigen Haus mit etlichen Höfen und Hintergebäuden festgestellt. Wo sich eine Gelegenheit bot, suchte man sich andere, möglichst bessere Wohnung. Solche Umzüge mit ein wenig Hausrat, Möbeln und Wäsche gehörten zum Berliner Straßenbild. Heinrich Zille hat den Zuständen in den Hinterhöfen, das Leben in den Kneipen und den Jammergestalten, die mit ihrer geringen Habe auf dem Weg zu einer neuen Bleibe waren, ergreifende Zeichnungen gewidmet. Viele dieser Behausungen bestanden nur aus einer einzigen Küche, in der man kochte und dich an dicht schlief. Toiletten gab es im Hausflur oder im Hof. Wer konnte, floh aus diesen beengten Verhältnissen. Deshalb wurden unzählige Kneipen zum eigentlichen Wohnzimmer vieler Berliner.

Forderungen nach einer Neuorganisation der Stadt Berlin gab es bereits im 19. Jahrhundert. Seit Beginn der industriellen Revolution und mehr noch nach der Gründung des Deutschen Reichs im Jahr 1871 platze die Stadt wegen des Zuzugs zahlloser Menschen geradezu aus den Nähten. Immer mehr ehemals landwirtschaftlich genutzte beziehungsweise brachliegende Flächen wurden mit Wohnhäusern bebaut oder mit Industriebetrieben besetzt. Weiter machen wie bisher war ein Ding der Unmöglichkeit, deshalb sannen weitblickende Kommunalpolitiker und andere Personen nach einem Ausweg und sahen ihn unter anderem in der Bildung einer Großgemeinde.

Unsolidarische Finanzierung von Gemeinschaftsaufgaben

Diejenigen, die diese forderten oder auch ablehnten, verfolgten unverkennbar eigene Interessen. So befürwortete der Landkreis Niederbarnim die Eingemeindung von Moabit und Wedding, weil die dort anfallenden hohen Sozialausgaben die eigene Kreiskasse belasteten. Hingegen stellte sich der Landkreis Teltow gegen die Angliederung von Schöneberger und Tempelhofer Gebieten, weil die dort lebende überwiegend bürgerliche Bevölkerung eine wichtige Quelle der Steuereinnahmen war. Die unterschiedlichen Haltungen kamen im Preußischen Landtag und der Berliner Stadtverordnetenversammlung zur Sprache, wo man einerseits die Übernahme der finanzschwachen Arbeitergemeinden Moabit und Wedding ablehnte und andererseits an den besser situierten Schöneberger und Tempelhofer Gebieten interessiert war. Prinz Wilhelm von Preußen, der in Vertretung des erkrankten Königs Friedrich Wilhelm IV. regierte und nach dessen Tod am 2. Januar 1861 als Wilhelm I. dessen Nachfolge antrat, sprach ein Machtwort, indem er diese Gebiete nach 40 Jahren ergebnisloser kommunalpolitischer Diskussion per königlichen Kabinettsbeschluss zum 1. Januar 1861 Berlin zuschlug.

Seit den 1890er Jahren nahm die Diskussion über die Disproportionen in der Entwicklung der Stadt und die unsolidarische Finanzierung von Gemeinschaftsaufgaben wieder zu. Die wohlhabenden Vororte im Süden und Westen profitierten von den geringen Sozialkosten ihrer Bewohner, was ihnen Steuersenkungen ermöglichte. Hingegen traten in der Kernstadt und den östlichen Vororten gegenteilige Effekte ein, was zu sozialer Reibung und politischem Zündstoff führte. Langsam aber nahm die "Lokomotive Groß-Berlin", wie man damals sagte, Fahrt auf, so dass vor nunmehr einhundert Jahren Groß-Berlin gebildet werden konnte. Damit allerdings waren die sozialen Spannungen sowie Probleme mit der Infrastruktur, dem Straßenbau und dem Verkehrswesen und weiteren lebenswichtigen Gebieten nicht verschwunden.

Abrisse und gigantische Neubauten

Bei den vielen Büchern, Dokumentation und Filmen über Adolf Hitler wird manchmal übersehen, dass sich der Diktator auch als Bauherr betätigte. In Berlin, Dresden, Linz, München, Nürnberg, Weimar und anderen Städten hinterließ sein Bauwahn unübersehbare Spuren, doch zum Glück wurden in der Reichshauptstadt die himmelschreienden Architekturvisionen nur zum kleinen Teil verwirklicht. Der Zweite Weltkrieg machte einen Strich durch den Plan, binnen 20 Jahren aus der Stadt an der Spree die "Welthauptstadt Germania" zu machen, das Zentrum eines von deutschen Herrenmenschen regierten Weltreiches. Als große Teile der Stadt schon in Schutt und Asche lagen, versprach Hitler bei einer Neujahrsansprache für 1944 seinen Untertanen herrliche Zeiten und überging in der ihm eigenen zynischen Art das große Unglück, unter dem unendlich viele Ausgebombte litten: "Der Bombenkrieg gegen deutsche Städte greift uns alle tief ans Herz. Es sind weniger die Städte selbst, ihre Häuser und öffentlichen Bauten. Denn sicher, wir beklagen unsere verlorenen Kunstdenkmäler, aber wir werden unsere Städte schöner errichten, als sie vorher waren. Unser organisierter nationalsozialistischer Volksstaat wird in wenigen Jahren die Spuren dieses Krieges beseitigt haben". Aus den Ruinen werde eine neue deutsche Städteherrlichkeit erblühen. Berlin und Hamburg, München, Köln, Kassel und die anderen großen und kleinen beschädigten Städte werde man in wenigen Jahren kaum mehr wieder erkennen, behauptete der Diktator.

Hitler und seinen Helfern gefiel Berlin mit seinen aus dem 18. und 19. Jahrhundert stammenden engen Strukturen und dem Prunk und Protz der "verjudeten Kaiserzeit" nicht, wie sie sagten. Bemängelt wurde, dass die Stadt nur einen Prachtboulevard besitzt, die bereits im 17. und 18. Jahrhundert angelegte Straße Unter den Linden. Über die City verteilt waren viele enge Quartiere und die elenden Mietskasernen aus den Gründerjahren, und es fehlte an großzügigen Flaniermeilen und repräsentativen Plätzen. Der einzige größere Platz in der Mitte der Stadt war der der Museumsinsel vorgelagerte Lustgarten. Nach Beseitigung von Blumenrabatten, eines königlichen Reiterdenkmals, eines Springbrunnens und der großen Granitschale vor dem Alten Museum wurde aus ihm eine Steinwüste gemacht, die für Aufmärsche und Kundgebungen im Zeichen des Hakenkreuzes benutzt wurde. Erst nach der deutschen Wiedervereinigung 1990 hat man den Lustgarten wieder begrünt und ihm auch einen Brunnen geschenkt.

Ungetüme aus Granit und Marmor

Abriss der alten Wohn- und Geschäftsviertel und großzügige Neubebauung waren schon immer ein Thema für Architekten und Stadtplaner. Sie konnten in der Weimarer Republik aus Geldmangel nicht in Angriff genommen werden. Hitlers Ideen für die radikale Neugestaltung Berlins kamen den Wünschen nach einer Neuordnung Berlins entgegen. Wie das gemacht wird, hatte schon der italienische Diktator Mussolini in Rom vorgemacht. Vor dem Reichstag entwarf Hitler am 30. Januar 1938 anlässlich des fünften Jahrestag der so genannten Machtergreifung dieses Bild vom künftigen Berlin, das im Rahmen des Vierjahresplans ausgebaut werden soll: "Als äußeres Zeugnis für diese große Epoche der Wiederaufstellung unseres Volkes aber soll nunmehr der planmäßige Ausbau einiger großer Städte des Reichs treten, an der Spitze die Ausgestaltung Berlins zu einer wirklichen und wahren Hauptstadt des Deutschen Reiches. Ich habe daher an diesem heutigen Tage ähnlich wie für den Bau unserer Straßen einen Generalbauinspektor ernannt, der für die bauliche Ausgestaltung der Reichshauptstadt verantwortlich ist und dafür Sorge tragen wird, in das Chaos der Berliner Bauentwicklung jene große Linie zu bringen, die den Geist der nationalsozialistischen Bewegung und dem Wesen der Reichshauptstadt gerecht wird. Für die Durchführung des Plans ist eine Zeit von 20 Jahren vorgesehen." Der bei dieser Gelegenheit zum Berliner Generalbaudirektor ernannte Architekt Albert Speer machte sich sogleich ans Werk gemäß der Auffassung seines Chefs "Wenn Völker große Zeiten innerlich erleben, so gestalten sie diese Zeiten auch äußerlich. Ihr Wort ist dann überzeugender als das gesprochene. Es ist das Wort aus Stein."

Die Macht des Staates und der sie tragenden Partei sollte sich durch Bauten in ganz neuen Dimensionen dokumentieren. Angesichts solcher Monumentalbauten sollte die Welt den Atem anhalten. Nicht mehr "Klein Klein" in ehemaligen Adelspalästen und engen Büros war gefragt, sondern Ungetüme aus Granit und Marmor, die noch in tausend Jahren stehen und nachfolgende Generationen erschauern lassen, war die Vision. Als am 14. Juni 1938 mit großem zeremoniellem Aufwand unter wehenden Hakenkreuzfahnen der Grundstein für das Haus des Deutschen Fremdenverkehrs am Runden Platz in der Nähe des Potsdamer Platzes gelegt wurde, überschlugen sich die vom Propagandaminister Joseph Goebbels gesteuerten Medien mit Lobeshymnen. Wenige Jahre später lagen große Teile Berlins in Schutt und Asche. Nach dem Krieg gab es in geteilten Stadt zum Teil wahnwitzige Neubaupläne, aber zum Glück aus unterschiedlichsten Gründen nicht ausgeführt wurden. Doch das ist eine andere Geschichte.

9. Oktober 2019

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