Krögel, Kaak und Hausvogtei
In Altberliner Gefängnissen ging es hart zur Sache, und mancher Verbrecher verschwand für viele Jahre hinter hohen Mauern



Öffentliche Hinrichtungen waren noch im 18. und frühen 19. Jahrhundert eine besonders schaurige Art der Volksbelustigung.



"Molkenmarkt" war im 19. Jahrhundert ein Synonym für Polizei- und Justizwillkür, politische Schnüffelei und die Tätigkeit der Sicherheits- und Sittenpolizei schlechthin.



Das Palais Schwerin besitzt eine barocke Fassade und ein neuzeitlichem Innenleben. In DDR-Zeiten wachte hier und nebenan in einem Teil der Münze das Ministerium für Kultur, dass die Direktiven des SED-Zentralkomitees peinlich beachtet werden



Gegenüber dem Ephraimpalais auf der rechten Seite des alten Fotos wachte die Berliner Polizei, dass alles seinen gesetzlichen Gang geht oder das, was die Obrigkeit darunter verstand.





Der Krögel soll im alten Berlin eine Touristenattraktion gewesen sein, die Bewohner fanden diese Aufmerksamkeit überhaupt nicht gut. Das Gelände wurde in den 1930er Jahren für den Neubau der Reichsmünze dem Erdboden gleich gemacht.



Nach einer Razzia werden verdächtige Personen von der Polizei unter den Blicken von Neugierigen auf die Wache gebracht.





Das Spiegeldenkmal und Schrifttafeln im Boden erinnern an die Verfolgung und Ermordung jüdischer Mitbürger, die hier in der Textilindustrie gearbeitet haben, durch die Nationalsozialisten. (Fotos/Repros: Caspar)

Wenn man im mittelalterlichen Berlin, und nicht nur dort, Diebe, Betrüger, Wegelagerer, Aufrührer, Brandstifter, Ehebrecher und Mörder nicht gleich dem Henker überantwortete, steckte man sie in Verliese und Hungertürme, schickte sie in Spinn- und Arbeitshäuser oder auf die Festung in der damals noch selbstständigen Stadt Spandau. Verhandelt wurde über Rechtsbrecher aller Art in der Gerichtslaube am Rathaus, dem Vorläufer des Roten Rathauses. Als es um 1870 errichtet wurde, hat man die historisch wertvolle Gerichtslaube Wilhelm I., König von Preußen und deutscher Kaiser, geschenkt und im Park Babelsberg neu erbaut. Eine Kopie lädt im Berliner Nikolaiviertel zu Speis und Trank ein. An der Fassade erinnert die Nachbildung des gräulichen Mischwesens aus Vogel und Mensch, Kaak genannt, daran, dass unter ihm Rechtsbrecher aller Art öffentlich an den Pranger gestellt, ausgepeitscht und angespuckt wurden.

Flugblätter aus der Barockzeit und danach berichten von öffentlichen Hinrichtungen, zu denen die Berliner hinaus zum Galgenberg pilgerten, um sich an der Enthauptung, dem Rädern, Erhängen und Verbrennen von Verbrechern aller Art zu weiden. Bei diesen schaurigen Schauspielen haben Eltern ihre Kinder darauf hingewiesen, dass ihnen solch ein Schicksal blüht, wenn sie sich nicht an die Gebote der Bibel und die weltlichen Gesetze halten. Wie sich dieser brutale Anschauungsunterricht auf sensible Gemüter Kinder ausgewirkt hat, ist nicht überliefert.

Bevor in der preußischen und deutschen Haupt- und Residenzstadt Berlin ein Mustergefängnis an der Lehrter Straße in der Nähe des heutigen Hauptbahnhof sowie weitere Haftanstalten in Alt Moabit, Tegel und Plötzensee sowie Amtsgerichtsgefängnisse in Köpenick, Lichtenberg, Neukölln, Reinickendorf, Pankow und an anderen Orten gebaut wurden, standen urtümliche, geradezu gruselig anmutende Haftanstalten zur Verfügung, die die Menschen mit Angst und Schrecken erfüllten. So erinnert heute noch die kleine Straße Krögel in der Nähe des Molkenmarkts an einen Ort, für den man gemischte Gefühle hegte. Einerseits gab es hier die erste Berliner Badeanstalt, in der sich Männer und Frauen ungezwungen ergehen und Kontakte anbandeln konnten. Andererseits gehörte zu dem Viertel das Palais Schwerin, das nach dem Minister Otto Graf von Schwerin benannt ist und als Kriminalgericht, Polizeidirektion und Gefängnis übel beleumdet war. Allein im Jahr 1875 sollen in dem mittelalterlich anmutenden Gefängnis hinter dem Palais Schwerin mehr als 23 000 Menschen inhaftiert gewesen sein. Man kann sich gut vorstellen, wie es dort in den überfüllten Zellen zuging und was die Gefangenen aushalten mussten.

Übel beleumdete Adressen

Im Zusammenhang mit dem Bau der Reichsmünze wurde das bei Berlin-Besuchern wegen seiner speziellen Atmosphäre beliebte, aber wohl alles andere als attraktive und menschenfreundliche Altbaugebiet rund um den Krögel abgerissen. Und kaum jemand hat ihm eine Träne nachweint. Da das Palais Schwerin als kultur- und staatspolitisch wichtig eingestuft wurde, hat man es 1937/38 unter Beibehaltung der barocken Fassade im Inneren umgestaltet und durch zwei Seitenflügel erweitert, aber nicht, wie vielfach behauptet, nach rückwärts versetzt. In DDR-Zeiten teilten sich das Kulturministerium und der VEB Münze der DDR den weiträumigen Komplex am Molkenmarkt und Rolandufer. Nach der Wiedervereinigung 1990 prägte die Staatliche Münze Berlin in der Nachfolge des VEB Münze der DDR als nunmehr fünfte bundesdeutsche Geldfabrik gesamtdeutsch, wobei 1990 und danach die Hamburger Münze bei der Umstellung auf die neuen Nominale half. Die Berliner Münze steuert 20 Prozent aller deutschen Kurs- und Gedenkmünzen bei und stellt darüber hinaus zahlreiche Medaillen her, nicht aber Orden wie zu DDR-Zeiten.

Das im Flügel der Münzanstalt am Molkenmarkt befindliche Ministerium für Kultur der DDR war der verlängerte Arm der SED-Führung, die sehr auf die Beachtung ihrer Vorgaben auf dem Gebiet von Kunst und Kultur bedacht war und alles unterdrückte, was ihr politisch und ideologisch nicht in den Kram passte. Am Molkenmarkt wurde unter anderem entschieden, ob Bücher gedruckt, Filme gedreht oder Bilder gemalt werden dürfen oder nicht. In dem Gebäudekomplex war auch der mit der Herstellung von Werbematerialien und Postkarten befasste Planet Verlag untergebracht.

Wer die Wahrheit saget frei…

Die Hausvogtei war im alten Berlin ein gefürchteter Ort, von dem man nur hinter vorgehaltener Hand sprach. Bis Mitte des 18. Jahrhundert als Nebenstelle der königlichen Münze genutzt, wurde das Haus am Hausvogteiplatz im Bezirk Mitte für Gerichtsverhandlungen und als Gefängnis genutzt. Nach dem Abriss der auch von Justizbeamten bewohnten und als Gefängniskapelle genutzten Hausvogtei im Jahre 1891 entwickelte sich die Gegend zu einem Zentrum der Berliner Textilindustrie. Im Gefängnis am Hausvogteiplatz hat man Verdächtige inhaftiert, die der Hofgerichtsbarkeit unterstanden, also Bedienstete und Handwerker des königlichen Hofes sowie Bewohner des Stadtteils Friedrichswerder. Außerdem war das Gefängnis zuständig für die Berliner Juden. Das seinerzeit viel zitierte Wort "Wer die Wahrheit weiß und saget sie frei, der kommt in Berlin in die Hausvogtei" bezieht sich auf Personen, die sehr schnell in die Fänge der Justiz gerieten, weil sie demokratische Verhältnisse, gar die Abschaffung der Monarchie und allgemeine, gleiche und geheime Wahlen und eine Verfassung forderten, welche die Beteiligung des Volkes an den Angelegenheiten des Staates garantiert, wie es die von der in Frankfurt am Main nach der Revolution von 1848 tagenden Nationalversammlung vorsah.

Die Häuser, die den unregelmäßig geformten Hausvogteiplatz säumen, erinnern an den wirtschaftlichen Aufschwung, den die junge Reichshauptstadt nach der Gründung des deutschen Kaiserreichs im Jahre 1871 nahm. Ein aus drei großen Spiegeln gebildetes Denkmal am Eingang zum U-Bahnhof Hausvogteiplatz ist den jüdischen Inhabern und Angestellten der an dieser Stelle tätigen Konfektionsbetriebe gewidmet, die nach 1933 von den Nationalsozialisten in die Emigration getrieben oder im Zweiten Weltkrieg in die Vernichtungslager verschleppt und dort ermordet wurden. Wenn man den U-Bahnhof verlässt, kann man auf einzelnen Treppenstufen die Namen zahlreicher jüdischer Konfektionshäuser lesen, dazu die Daten ihrer Enteignung durch die Nazis. .

17. Dezember 2018

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