Praktisch, schön und preiswert
Neues Buch schildert Verwendung von Kunststeinen in der Architektur des 19. Jahrhunderts



Das königliche Wappen mit dem Wahlspruch des englischen Hosenbandordens auf einem Wachhaus an der Westseite des Buckinghampalastes in London wird von einem Löwen und einem Einhorn flankiert. Das gut erhaltene Arrangement entstammt der Coade-Fabrik, aus der auch Attikafiguren, Monumentalvasen, Friese, Säulen, Grabmale, Einfassungen von Türen und Fenstern und viele andere Objekte stammen. Die besondere Zusammensetzung der Formmasse sicherte ihnen ein langes Leben und eine erstaunliche Resistenz gegenüber Wasser, Frost, Hitze und Befall von Organismen aller Art.



Der üppige Fassadenschmuck des für den bayerischen König Ludwig II. zwischen 1878 und 1886 erbauten Schlosses Herrenchiemsee besteht aus Terrakotta der Firma Villeroy & Boch.





Die 1824 bis 1831 nach Plänen von Karl Friedrich Schinkel erbauten Friedrichswerdersche Kirche steht auf dem zehn Jahre alten Foto noch auf freier Fläche. Der in Kupfertreibarbeit geschaffene Erzengel Michael als Drachentöter bestand ursprünglich aus Berliner Terrakotta.



Reliefplatten von Schinkels Bauakademie könnten irgendwann wieder zu sehen sein, wenn dieses Gebäude endlich am alten Platz unweit der Friedrichswerderschen Kirche wieder aufgebaut wird.



Das Terrakottarelief an der Fassade des Roten Rathauses schildert die Arbeit von Malern, Bildhauern und anderen Künstlern unter dem Schutz der Hohenzollern. Bei der Bombardierung des Rathauses wurden etliche Tafeln zerstört und bei seinem Wiederaufbau rekonstruiert oder nach alten Bildern neu geschaffen. Die Unterschiede fallen sofort ins Auge.



Das Handwerkervereinshaus in der Sophienstraße 18 unweit des S-Bahnhofs Hackescher Markt in Berlin wurde 1904/1905 errichtet und ist ein spätes Beispiel für die Verwendung von dunkelroter Terrakotta als Fassadenschmuck. Als Ort für politische Veranstaltungen der deutschen Arbeiterbewegung erlangte es historische Bedeutung.





Die Symbolfigur der Eisenbahn, mit der 1849 preußische Truppen nach Baden zur Niederschlagung des Aufstandes transportiert wurden, gehört zum Terrakottaschmuck des Triumphbogens am Weinberg nahe Schloss Sanssouci in Potsdam.





Reliefs mit einem Ofenbauer und einem Goldschmied samt Gehilfen und weitere Szenen schmücken die Fassade des 1881 als Kunstgewerbemuseum eröffneten Martin-Gropius-Baus an der Niederkirchnerstraße nahe der Topographie des Terrors und gegenüber dem Berliner Abgeordnetenhaus. (Fotos/Repros: Caspar)

Die Friedrichswerdersche Kirche am Werderschen Markt unweit des Berliner Schlosses, das um ein Jahr verspätet 2020 als Humboldt Forum eröffnet wird, soll noch in diesem Jahr nach siebenjähriger Schließung wieder zugänglich sein. Die Sanierungsarbeiten an dem Gotteshaus sind so gut wie abgeschlossen. Sie waren nötig, weil eng an ihren Seiten errichtete luxuriöse Wohnhäuser schwere Schäden im Gemäuer des nach einem Entwurf von Karl Friedrich Schinkel errichteten Gotteshauses angerichtet hatten. Risse, Abplatzungen und andere Schäden hatten die Staatlichen Museen zu Berlin Preußischer Kulturbesitz genötigt, ihre Ausstellung klassizistischer Marmorskulpturen der Schinkelzeit sowie über das Leben und Werk des berühmten Baumeisters, Architekten und Designers Schinkel abzubauen. Im Neuen Flügel des Schlosses Charlottenburg fanden sie eine neue Heimstatt. Wie die Friedrichswerdersche Kirche genutzt wird, ob von der zuständigen Gemeinde für Gottesdienste oder als Museum, ist im Moment noch nicht entschieden.

Wer die Friedrichswerdersche Kirche umrundet, lernt preußische Sparsamkeit und sowie architektonische und künstlerische Innovation im frühen 19. Jahrhundert kennen. Schinkel hatte für das Gotteshaus vier Entwürfen gezeichnet. Von ihnen wählte der preußische Kronprinz Friedrich Wilhelm, ab 1840 König Friedrich Wilhelm IV., eine neogotische Variante mit unverputzten Ziegelmauern, zwei stumpfen Türmen mit jeweils vier kleinen Spitzen, einem aufwändig mit der Figur des Erzengels Michael als Drachentöter sowie Reliefs mit Engeln geschmückten Eingangsbereich mit zwei Türen sowie sparsamen Fassadengliederungen aus gebranntem Ton aus. In seinem Buch "Der englische Coade-Stein - die Villeroy & Boch ,Terrakotta'. Mit Exkursen zu Martin Klauer nach Weimar und Friedrich Schinkel nach Berlin" (216 S., zahlr. meist farbige Abb. Gesamtherstellung und Verlag BOD Norderstedt 2019, 29,80 Euro, ISBN 978-3-7347-1515-0) analysiert der Sachbuchautor Arthur Fontaine diesen aus brandenburgischen Vorkommen von den Tonwarenfabriken von Tobias Feilner, Cornelius Gormann und Ernst March gefertigten Terrakottaschmuck. Auch heute kann man ihn noch an vielen Gebäuden des 19. Jahrhunderts in Berlin, Potsdam und an anderen Orten finden.

Hart gebrannt bei 1100 Grad Celsius

Coade-Stein war in der nach dem englischen König Georg III. benannten georgianischen Stilepoche in England während der zweiten Hälfte des 18. und der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein bekanntes und beliebtes keramisches Material vor allem für skulpturale Objekte und schmückende Architekturteile. Arthur Fontaines hochinteressantes, viele neue Erkenntnisse und zudem hervorragend illustriertes Buch befasst sich eingangs mit dem englischen Kunststein (artificial stone) aus der im Londoner Stadtteil Lambeth tätigen Fabrik der Eleanor Coade und weitere Materialien dieser Art. Das gilt am Ende des Bandes auch den glasierten und ebenfalls als Bauschmuck, als Bodenfliesen und Grabmäler sowie zu anderen Zwecken verwendeten Erzeugnissen der auch heute hoch geschätzten und in die ganze Welt liefernden Firma von Villeroy & Boch in Mettlach. Der Verfasser vermittelt im deutschsprachigen Raum weitgehend fehlende oder verloren gegangene Kenntnisse über die zu ihrer Zeit bedeutsamen Keramikobjekte, von denen viele im Ursprungsland an und in sakralen und profanen Bauwerken, aber auch auf Friedhöfen und Parkanlagen zu sehen sind.

Die hauptsächlich aus Ton sowie kleineren Zusätzen aus gemahlenem Kalk-Natron-Glas, Feuerstein und Quarz bestehende, gut formbare Masse wurde in der Coade-Fabrik geknetet und in Negativformen eingebracht, wo ihnen Wasser entzogen wurde. Nach der Entfernung der negativen Formen wurden die Einzelstücke vier Tage lang in einem Ofen bei 1100 Grad hart gebrannt. Dieses Verfahren erforderte ähnlich wie die Porzellanherstellung hohes technisches Können, um gleichmäßige Hitze zu erzeugen und Fehlbrände zu vermeiden. Coade-Erzeugnisse und ähnliche Objekte waren billiger schneller als die Herstellung von Skulpturen aus Naturstein mit Hammer und Meißel. Man konnte aus den Formen beliebig viele Abdrücke gewinnen und gewann ein ausgesprochen witterungsresistentes Erzeugnis, das angesichts etwa des englischen und speziell des Londoner Klimas mehr Vorzüge als etwa Sandstein hatte und erlaubte, preiswert Serien ein und desselben Moitivs herzustellen.

Zwar hat es immer wieder Versuche gegeben, das Verfahren nachzuahmen und zu verbessern. Doch kamen andere Fabrikanten und Experimentatoren an das gestalterische und technische Niveau der von Eleonar Coade geleiteten Fabrik nicht heran. Leider ging es mit dieser nach dem Tod der Gründerin 1821 mit ihr bergab, zwölf Jahre später war das Unternehmen bankrott. Bis heute haben sich die als Hausschmuck verwendeten Reliefs, Säulen, Wappen und viele andere Skulpturen aus der Coade-Fabrik als erstaunlich witterungsbeständig erwiesen. Viele öffentliche und private Bauten in England sind mit ihnen geschmückt. Merkwürdigerweise konnte das Material in Deutschland ungeachtet seiner hervorragenden Eigenschaften und Wirtschaftlichkeit nie wirklich Fuß fasste. Eine löbliche Ausnahme ist das Schloss des bayerischen Königs Ludwig II. in Herrenchiemsee, das mit Erzeugnissen von Villeroy & Boch geschmückt ist.

Blick nach Weimar und Berlin

Das Buch macht in einen Exkurs mit dem zur Goethezeit in Weimar tätigen Bildhauer Martin Klauer bekannt, der mit seinen Versuch, Coade-Stein herzustellen, nicht sehr weit kam. Ein weiterer Ausflug gilt Karl Friedrich Schinkel, der im frühen 19. Jahrhundert so genannte Berliner Terrakotta als Fassadenschmuck an Kirchen und Bürgerhäusern populär machte. Indem Arthur Fontaine nach Weimar und Berlin blickt, hebt er gravierende Unterschiede zwischen heimischer Terrakotta und den ganz anders gearteten Coade-Steinen hervor. Schinkel dürfte sie bei seiner Reise im Jahr 1826 gemeinsam mit Peter Christian Beuth kennen- aber nicht lieben gelernt haben. Er und andere Architekten und Fabrikanten sowie ihre Auftrageber verwendeten unbeeindruckt von den englischen Produkten, sofern sie ihnen überhaupt bekannt waren, einheimischen Ton für mal dunkelrot, mal hellgelb gefärbte Reliefs sowie Fenstergewände, Portaleinfassungen und andere Fassadenelemente. Im 19. Jahrhundert hat man statt Figuren, Reliefs sowie Säulenkapitelle und -basen gern auch preiswerten Zinkguss eingesetzt und farbig gefasst, was ebenfalls auch heute an und in profanen und sakralen Bauwerken des 19. Jahrhunderts bewundert werden kann. Nach der deutschen Reichseinigung von 1871 erreichte die Nachfrage nach "Bauterrakotta" ihren Höhepunkt, doch nahm gegen Ende des 19. Jahrhunderts das Interesse an Gebäuden mit roten und gelben, ungeputzten Ziegeln ab, und so auch die Terrakottakunst ihren Höhepunkt überschritten.

Der Verfasser geht näher auf die Verwendung von Terrakotten an der Fassade der Schinkelschen Bauakademie und am - leider nicht mehr vorhandenen Wohn- und Geschäftshaus von Tobias Feilner im Berliner Bezirk Kreuzberg, das man als deren Vorläufer ansehen kann. Der Weg geht hin zu der aus zahlreichen Szenen aus der Geschichte der Stadt bestehenden Steinernen Chronik am Roten Rathaus und macht mit dem Terrakottaschmuck am Martin-Gropius-Bau, das kunsthandwerkliche Techniken feiert sowie Wappen deutscher Bundesstaaten zeigt. Erwähnt werden auch die aufwändige Gestaltung der Maschinenbaufabrik von August Borsig und weitere Gebäude aus rotem Backstein in der damaligen preußischen Haupt- und Residenzstadt an der Spree bekannt.

Triumphtor am Fuß des Weinbergs

Arthur Fontaine erwähnt unter anderem das am Fuß des Potsdamer Weinbergs oder Mühlenbergs unweit vom Schloss Sanssouci stehende Triumphtor, das Friedrich Wilhelm IV. zu Ehren seines Bruders Wilhelm, des nachmaligen preußischen Königs und deutschen Kaisers Wilhelm I., 1851 errichten ließ. Die Inschriften zur Straße und zum Berg erklären die doppelte Bedeutung des an römische Bauten dieser Art erinnernden Herrscherdenkmale. Dass es sich bei dem Triumphtor um ein erstrangiges politisches Monument handelt, unterstreichen in großen Buchstaben die Widmungen. Auf der Stadtseite ist zu lesen: FRIEDRICH WILHELM IV., K. v. P. (König von Preußen), HAT DIES THOR ZU ERBAUEN BEFOHLEN HUNDERT UND SECHS JAHRE NACH DER GRÜNDUNG VON SANS-SOUCI; MDCCCLI. Rückseitig zum Berg hin steht: ZU EHREN DES PRINZEN VON PREUSSEN, FR. WILHELM LUDW., DES FELDHERRN; DER FÜHRER UND DER KRIEGER, WELCHE DEN AUFRUHR IN DER RHEINPFALZ UND IN BADEN BESIEGTEN. MDCCCXLIX. Vor ein paar Jahren restauriert, gehört das reich mit antikisierenden Reliefs aus gelbroter Terrakotta geschmückte Tor neben dem Michaelsdenkmal auf der Rückseite des Babelsberger Schlosses zu den preußischen Erinnerungsmalen aus der Zeit der Niederschlagung der Revolution von 1848/49 in Baden, bei der sich Wilhelm Prinz von Preußen als "Kartätschenprinz" einen schlechten Namen machte. Die von den namhaften Bildhauern Gustav Bläser, Hermann Schievelbein und Wilhelm Dankberg modellierten Reliefs wurden in den Fabriken von Feilner/Friese und March gebrannt. Indem sich Arthur Fontaine mit geformter und gebrannter Tonmasse der unterschiedlichsten Zusammensetzung befasst, setzt er deren Herstellern und den entwerfenden Künstlern ein schönes, fundiertes und auch gut anzuschauendes Denkmal, dem ich viele Leser wünschen möchte.

23. Juli 2019

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