Große Talente, schwarze Schafe
Was man auf den Friedhöfen am Halleschen Tor in Berlin über die Familie Mendelssohn und andere Berühmtheiten erfahren kann



Wer das Tor der Friedhöfe vor dem Halleschen Tor vom Mehringdamm her durchschreitet, lernt auf besondere Weise Berliner Geschichte und Kultur der vergangenen 200 Jahre kennen und kommt bestimmt wieder.



Felix Mendelssohn Bartholdy und seine Schwester Fanny Hensel sowie weitere Familienangehörige sind auf einem der Friedhöfe vor dem Halleschen Tor bestattet.





Wenige Schritte vom Haupteingang des Friedhofs am Mehringdamm entfernt lädt eine Gedenk- und Dokumentationsstätte in der früheren Kapelle ein, das geistige, künstlerische und wirtschaftliche Leben und Wirken der Familie Mendelssohn Bartholdy kennenzulernen.



Beim Besuch der Mendelssohn-Gedenkstätte fällt eine Marmortafel auf. Sie schmückte mit ihren eingemeißelten Buchstaben das Wohnhaus von Moses Mendelssohn in der Spandauer Straße 68 nicht weit vom Berliner Stadtschloss entfernt, das 2020 als Humboldt Forum eröffnet wird.



Der Kranich erscheint im Wappen eines prächtig dekorierten Adelsbriefs für Mitglieder der Familie Mendelssohn und ist auch auf der Stele an der Tür zum ehemaligen Bankhaus in der Berliner Jägerstraße mit dem stolzen Motto "Ich wach" abgebildet.



Die Tafel am heutigen Bundesrat in der Leipziger Straße erinnert daran, dass hier die Bankiersfamilie Mendelssohn gelebt und Felix die Ouvertüre zum "Sommernachtstraum" komponiert hat. Im Berliner Mendelssohn Bartholdy Park unweit des gleichnamigen U-Bahnhofs erinnern ein Findling und diese Bronzebüste an den berühmten Musiker.



Das frühere Mausoleum Massute wurde vor einiger Zeit in eine Gedenkstätte für Carl Gotthard Landhans umgestaltet. Leider fehlen Hinweise auf den Architekten sowie wie und wann man das Grabmal besuchen kan.





Es hat lange gedauert, bis an der Fassade eines Hotels in der Charlottenstraße unweit des Gendarmenmarkts, wo Carl Gotthard Langhans 20 Jahre gewohnt hat, eine Berliner Gedenktafel an den Architekten des Brandenburger Tors und weiterer bedeutender Bauwerke in- und außerhalb Berlins erinnert wurde. (Fotos: Caspar)

Auf den Friedhöfen vor dem Halleschen Tor im Bezirk Kreuzberg kann man ganz tief in die Berliner und deutsche Geschichte eintauchen. Hier sind zahlreiche Künstler, Architekten, Politiker, Vertreter der Wirtschaft und Fabrikanten, Bankiers und Militärs und viele andere bekannte und weniger bekannte Persönlichkeiten bestattet. Insgesamt gehen fünf im 18. Jahrhundert auf freiem Feld vor den preußischen Haupt- und Residenzstadt angelegte Friedhöfe ineinander über. Ihre Belegung war notwendig geworden, weil Bestattungen innerhalb der Stadtmauern aus hygienischen Gründen nicht mehr erlaubt waren. Da die Berliner Einwohnerschaft im Laufe des 19. Jahrhunderts stark zunahm und die Stadt sich weiter ausdehnte, mussten weiter Friedhofe an deren Peripherie geschaffen werde. Namhafte Architekten und Landschaftspfleger haben auf diesem Gebiet Großartiges geschaffen. Bis heute kann man an mehr oder weniger gut erhaltenen Mausoleen und Grabmälern sehen, wie sich die Sepulkralkultur entwickelt hat und welche Spitzelleistungen sie zustande brachte. An verschiedenen Stellen kann man an roten Ziegelsteinen erkennen, dass die eine oder andere Stelle ein Ehrengrab des Landes Berlin ist.

Auf dem Gottesacker, wie man früher sagte, zwischen Mehringdamm, Blücherstraße, Zossener Straße und Baruther Straße sind der Dichter und Kustos des Berliner Botanischen Gartens Adelbert von Chamisso und sein Zeitgenosse E. T. A. Hoffmann bestattet, der unweit von hier in der Lindenstraße am Kammergericht tätig war, jedoch als Schriftsteller berühmt wurde. Hier fanden auch die Pianistin Fanny Hensel und ihr Bruder, der Komponist Felix Mendelssohn Bartholdy, ihre letzte Ruhe. Die Familie wohnte in einem Palais in der Leipziger Straße 3. Eine Tafel an einer Wand des nach seinem Abriss Ende des 19. Jahrhunderts neu erbauten Preußischen Herrenhauses und heutigen Bundesrats erinnert daran, Felix und Fanny und ihre Eltern hier lebten Felix an diesem Ort die Ouvertüre zum "Sommernachtstraum" komponiert hat. Außerdem sind auf dem mit einer Mauer umgebenen Friedhof David Gilly, Adolf Glaßbrenner, August Wilhelm Iffland, Ernst Schering, Carl von Siemens, Heinrich von Stephan, Antoine Pesne und Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff sowie August und Rahel Varnhagen von Ense und viele andere Persönlichkeiten beerdigt, denen Berlin, Preußen und Deutschland viel zu verdanken haben. Blaue Übersichtstafeln unweit der Eingangstore zeigen, wo sich welches Grab befindet. Allerdings bedarf es einiger Übung, Nachfragen beim Friedhofspersonal und möglicherweise auch mehrerer Besuche, bis man vor den Grabstelen steht, die man sehen möchte.

Von Johann Sebastian Bach begeistert

Bestattet sind auf dem nach der Dreifaltigkeitskirche in Berlin benannten Friedhof mehrere Mitglieder der weitverzweigten Familie Mendelssohn Bartholdy. Viele Besucher weilen andächtig vor den mit einem niedrigen Eisenzaun eingefriedeten Gräbern des Komponisten, Pianisten, Organisten und Dirigenten Felix Mendelssohn Bartholdy und einigen seiner Familienangehörigen. Der Sohn des Berliner Bankiers Abraham Mendelssohn Bartholdy und Enkel des bedeutenden jüdischen Philosophen Moses Mendelssohn wurde früh musikalisch gefördert und ausgebildet. Den ersten Klavierunterricht erhielt er gemeinsam mit seiner ebenfalls hochmusikalischen Schwester Fanny von der Mutter Lea, die wie die ganze Familie eine begeisterte Verehrerin von Johann Sebastian Bach war und half, den berühmten Thomaskantor wieder in Erinnerung und auf die Spielpläne zu bringen. Die Geschwister traten in die von Carl Friedrich Zelter geleitete Sing-Akademie zu Berlin ein und erhielten von diesem Kompositionsunterricht.

Bereits im Alter von 17 Jahren schrieb Felix Mendelssohn Bartholdy sein erstes Orchesterwerk, die berühmte und viel gespielte Ouvertüre zu Shakespeares "Sommernachtstraum". Sein systematisch betriebenes Studium Bachscher Werke mündete 1829 in einer erfolgreichen Wiederaufführung der "Matthäuspassion" in der Berliner Sing-Akademie. In Leipzig sammelte er bei Benefizkonzerten Geld für die Errichtung eines Bach-Denkmals aus Stein, das man heute am Dittrichring betrachten kann. Wenige Schritte später ehrt ein Bronzedenkmal mit allegorischen Sockelfiguren vor dem Gewandhaus den Komponisten und Gewandhausdirektor. Nachdem es von den Nazis aus antisemitischen Gründen beseitigt worden war, hat man es Jahrzehnte später nach historischen Bildern neu geschaffen und 2008 am alten Ort wieder aufgestellt. Erst nach dem Ende der Naziherrschaft durfte die Musik des jüdischen Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy und weiterer verfemter Künstler wieder öffentlich aufgeführt werden.

Verein pflegt Erbe einer berühmten Familie

Die 1967 gegründete Mendelssohn-Gesellschaft e.V. pflegt das geistige und künstlerische Erbes der Mendelssohn-Familie in allen ihren Zweigen und lädt zu Veranstaltungen in die Mendelssohn-Remise Jägerstraße 51 in Berlin-Mitte ein. Der Saal wurde um 1890 als Kassenhalle der Mendelssohn-Bank gebaut und diente später als Kutschremise. In der Jägerstraße 51 hatten die ältesten Söhne von Moses Mendelssohn, Joseph und Abraham, ihr 1795 gegründetes Bankhaus etabliert. Es entwickelte sich im Laufe des 19. Jahrhundert zur bedeutendsten Berliner Privatbank, bis es 1938 von den Nationalsozialisten liquidiert wurde. Eine mit einem Kranich und der Umschrift "Ich wach" geschmückte Bronzestele am Hauseingang erzählt aus der Geschichte der Künstler- und Bankiersdynastie. Träger der Mendelssohn-Remise ist die Mendelssohn-Gesellschaft e.V. Sie ist seit November 2009 mit dem Geschichtsforum Jägerstraße e.V. fusioniert, das die Mendelssohn-Remise in einen attraktiven Ausstellungs- und Veranstaltungsort verwandelt hat. Ziel aller Bemühungen ist die Förderung der Erinnerung an jene preußische Familie jüdischer Herkunft, die über fünf Generationen Deutschlands Kultur- und Wirtschaftsgeschichte beeinflusst hat. Zu diesem Zweck veröffentlicht die Mendelssohn-Gesellschaft Forschungsergebnisse, sammelt Dokumente und Ausstellungsobjekte, erkundet Berliner Topografien und beschäftigt sich im Geiste der Familie Mendelssohn mit bürgerlicher Verantwortung für das Gedeihen des Gemeinwohls. Von Zeit zu Zeit wird Führungen an Orte eingeladen, die mit der Geschichte der Mendelssohns und ihrer Freunde zu tun haben.

Ausgedehnte Reisen führten Felix Mendelssohn Bartholdy nach England, Italien und Frankreich. Besonders in England fand er ein wohlwollendes und später begeistertes Publikum. 1833 wurde dem Vierundzwanzigjährigen die Leitung des Niederrheinischen Musikfestes in Düsseldorf angetragen. Der Erfolg erlaubte ihm kurz darauf die Stellung des Städtischen Musikdirektors in Düsseldorf zu übernehmen. Zwei Jahre später folgte der Musiker einem Ruf nach Leipzig, wo er mit 26 Jahren Leiter der Gewandhauses und seiner Konzerte wurde. In der Messe- und Universitätsstadt gründete er 1843 ein Konservatorium als erste Musikhochschule in Deutschland. Daneben war er zeitweilig in Berlin tätig, so 1842 als Preußischer Generalmusikdirektor. Aus seiner Ehe mit Cécile Jeanrenaud gingen fünf Kinder hervor.

Als am 14. Mai 1847 seine Schwester Fanny starb, zog sich Felix Mendelssohn Bartholdy tief getroffen aus der Öffentlichkeit zurück und erlitt im Oktober desselben Jahres seinen ersten Schlaganfall. Nach weiteren zwei Schlaganfällen starb er am 4. November 1847 mit nur 38 Jahren in Leipzig. Ein Sonderzug fuhr den Leichnam aus Leipzig nach Berlin, wo er an der Seite seiner geliebten Schwester bestattet wurde. Sein Grab ist durch ein schlichtes Kreuz aus weißem Marmor gekennzeichnet. Es befindet sich neben dem Gedenkstein für Fanny Hensel, seine mit dem Maler Wilhelm Hensel, und weiteren Gräbern auf dem Dreifaltigkeitsfriedhof I am Halleschen Tor in Berlin-Kreuzberg. Neben Felix und Fanny ist auf dieser Stelle der Sohn des Komponisten, Felix August Eduard Mendelssohn Bartholdy, bestattet. Die Eltern von Felix und Fanny, Abraham Ernst Mendelssohn Bartholdy und Felicia Pauline, sind in unmittelbarer Nähe der Familiengrabstätte bestattet. Zudem blieben weitere Gräber der Familie auf den Friedhöfen vor dem Halleschen Tor erhalten.

Kapelle in Gedenkstätte verwandelt

Für die Familie Mendelssohn Bartholdy wurde vor einigen Jahren nicht weit vom Eingang des Friedhofs am verkehrsumbrausten Mehringdamm eine sanierungsbedürftige Kapelle in eine Gedenk- und Ausstellungshalle umgewandelt. Die Dokumentation schildert die wechselvolle Geschichte der berühmten Familie im Lichte der Entwicklung der preußischen Haupt- und Residenzstadt Berlin. Die 26 biographischen und 24 thematischen Tafeln mit über 300 Abbildungen, darunter auch Reproduktionen wenig bekannter und gezeigter Dokumente und Porträts, stellen "die erste umfassende Präsentation zur gesamten Mendelssohn-Familie dar, die über 150 Jahre deutsch-jüdische Geschichte maßgeblich beeinflusst hat", wie es auf einer Informationstafel am Eingang des Friedhofs zu lesen ist. Ein Stammbaum zeigt den Besuchern, wer alles zu der Familie gehörte und wie umfangreich und weit gefächert deren Berufe waren.

In der Ausstellung ist Moses Mendelssohn, der berühmte Philosoph, Textilunternehmer und Stammvater der weit verzweigten Familie allgegenwärtig. "Moses' Nachkommen prägten als Künstler, Bankiers und Gelehrte die deutsch-jüdische Geschichte. 28 von ihnen und ihre Partner ruhen auf drei Friedhöfen am Halleschen Tor, ebenso manche Mitstreiter für die gemeinsam wahrgenommene bürgerliche Verantwortung", ist auf einer Tafel in der gut ausgeleuchteten Gedenkstätte zu lesen. "Biographien der Mendelssohns handeln von Aufbrüchen, Freundschaften, Zerreißproben, Karrieren, von Wahrheitssuche, von der Passion für Musik und Kunst, von Verfolgung, Flucht, Mut zum Neuanfang. Sie zeigen das Panorama der Neuen Zeit: große Talente, schwarze Schafe, hoffnungsvolle Erzieher, traditionsbewusste Modernisierer - eine Familie in Deutschland."

Das Haus war 1886 abgerissen worden, die Tafel hat man 1911 am Nachbarhaus angebracht, das im Zweiten Weltkrieg zerbombt wurde. Die Marmorplatte schien verloren, als das Ruinenfeld abgerissen und beräumt wurde. Doch dann hat man sie 1988 im Heizungskeller der Jüdischen Gemeinde an der Oranienburger Straße hinter Gerümpel wiederentdeckt, ist zu lesen, allerdings zerbrochen. "Das Centrum Judaicum den Erinnerungsstein der Mendelssohn-Gesellschaft für diese Ausstellung als Leihgabe überlassen. Auf der Stelle, wo das Wohnhaus des Gelehrten stand, erinnern Bild-Text-Stelen einschließlich eines Fotos von der Tafel mit spannender Geschichte an ihn (siehe dazu Eintrag auf dieser Internetseite vom 21. Januar 2017).

Die Jägerstraße war die Keimzelle des Berliner Bankenviertels, hier in unmittelbarer Nähe des Gendarmenmarktes besaß die Bankiersfamilie Mendelssohn mehrere Häuser. Stammvater Moses Mendelssohn war mit der Hamburgerin Fromet Guggenheim verheiratet begründete mit ihr die weit verzweigte Familie. Sein Bildnis schmückt das Lessingdenkmal im Tiergarten und weist damit auf die freundschaftlichen Beziehungen zu dem Dichter Gotthold Ephraim Lessing hin. Zum Christentum konvertierte Nachfahren von Moses Mendelssohn gehörten als Bankiers und Wissenschaftler zu den Spitzen des deutschen Kaiserreichs. Einige erhielten sogar den Adelstitel. In Hamburg entstand während der Weimarer Republik unter Albrecht Mendelssohn Bartholdy, einem Enkel des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy, das erste deutsche Friedensforschungsinstitut. Der bedeutende Völkerrechtler wurde von den Nazis aus seinem Amt vertrieben und starb 1936 im englischen Exil.

Ehrung für Baumeister Carl Gotthard Langhans

Lange gab es in Berlin keinen Erinnerungsort für den Architekten Carl Gotthard Langhans, den Erbauer des Brandenburger Tors und weiterer hochkarätiger Bau- und Kunstdenkmale des Klassizismus um 1800. Sein Grab in Breslau ist lange verloren, doch blieb die Grabstätte seines Sohnes Carl Ferdinand Langhans auf den Friedhöfen vor dem Halleschen Tor erhalten. Im September 2017 hat die Carl-Gotthard-Langhans-Gesellschaft Berlin im ehemaligen Mausoleum Massute eine Ausstellung zur Erinnerung an diesen großen Künstler eingerichtet. Am 1. Oktober 2018 wurde auf Initiative dieses Vereins eine Berliner Gedenktafel aus Porzellan am Ort seines ehemaligen Wohnhauses in der Charlottenstraße unweit des Gendarmenmarkts in Berlin-Mitte angebracht. Langhans war oberster Baurat für die preußische Provinz Schlesien und später erster Direktor des Oberhofbauamtes in Berlin. Er gilt als einer der vielseitigsten und einflussreichsten Baumeister Preußens. Sein Sohn Carl Ferdinand Langhans war ein bedeutender Theaterarchitekt.

Die 2015 gegründete Langhans-Gesellschaft Berlin e.V. setzt sich für Würdigung, Erhalt, Instandsetzung, wissenschaftliche Erforschung und öffentliche Vermittlung von Leben und Werk des ebenso innovativen wie einflussreichen preußischen Baubeamten und Architekten ein. Die mit Viktualienhandel und Kolonialwarenhandel befassten Brüder Massute hatten im März 1826 nicht weniger als 175 Taler an die Kirchenkasse der Gemeinde für den "überlassenen Fleck Landes auf dem zur Jerusalems- und Neuen Kirche gehörigen Begräbnisplatz von Ein und 3/4 Quadrat Ruthen Flächeninhalt" gezahlt. Zwischen den Geschäftsleuten und den beiden Langhans bestanden, so weit bekannt, keine Verbindungen.

12. September 2019

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