Asyl für arme ehrbare Frauen
Das Predigerwitwenhaus in der Breiten Straße gilt als ältestes Gebäude in Potsdam, ist es aber nicht



In Stadtführern und bei Besichtigungstouren wird das Predigerwitwenhaus an der Breiten Straße oft als ältestes Gebäude der Landeshauptstadt bezeichnet. Doch dafür gibt es keinen Beweis.



Für die Platzierung der Büste des kurfürstlichen Stifters über dem Eingang wurde im frühen 19. Jahrhundert Karl Friedrich Schinkel bemüht.



Stummer Zeuge der Vorliebe König Friedrichs II. für palastartige Bürgerbauten sind die Hiller-Brandtschen Häuser in der Breiten Straße gleich neben dem Predigerwitwenhaus.





Die Umgebung des Langen Stalls (oben Foto vor 1945) hat sich nach Abriss der Garnisonkirche und weiterer Bauten in der Breiten Straße fundamental verändert, auf dem Bild von heute ist ein Teil einer Feuerwache zu erkennen.





Was aus den Mosaiken vom Rechenzentrum aus farbigen Glassteinen wird, ist nicht bekannt. (Fotos/Repro: Caspar)

Hinter der ehemaligen Garnisonkirche blieb die Vorderfront des aus der Regierungszeit des Soldatenkönigs Friedrich Wilhelm I. stammenden, in Fachwerkbauweise errichteten Exerzier- und Reithauses erhalten, genannt Langer Stall. Der aus der Zeit seines Vaters stammende, tatsächlich wie ein langer Stall aussehende Fachwerkbau nur zum Exerzieren von Soldaten gefiel Friedrich II. nicht. Er bescheinigte ihm ein "schlechtes Ansehen daselbst neben den dabey stehenden neu erbauten Häusern und der Garnisonkirche". So erhielt das Gebäude eine von Georg Christian Unger mit allegorischen Figuren geschmückte Prachtfassade.

Auf der Spitze steht der römische Kriegsgott Mars, zu seinen Seiten stehen Herkules und Minerva sowie die in der Barockzeit so beliebten Trophäen. Das Gebäude brannte wie die benachbarte Garnisonkirche und viele andere Häuser beim Bombenangriff am 14. April 1945 aus. Lediglich blieb die eindrucksvolle Vorderfront zur Breiten Straße hin erhalten. Die Sandsteinstatuen wurden seinerzeit von den Brüdern Johann Christoph und Michael Christoph Wohler sowie von Johann Melchior Kambly geschaffen, die Stuckreliefs stammten von Constantin Philipp Georg Sartori. Bei der Restaurierung um 1980 Jahren hat man verloren gegangene Skulpturen durch Nachbildungen ersetzt.

Langer Stall nur als Torso erhalten

Ursprünglich stand vor der Schaufassade jeweils eine aus zwei Sandsteinfiguren bestehende Skulpturengruppe. Diese und weitere Figuren sind nicht mehr erhalten. Auf der Fläche des ehemaligen Langen Stalls sollen künftig Wohnungen gebaut werden, doch gibt es über deren Gestalt noch unterschiedliche Ansichten. Einher gegen die Planungen mit dem Abriss des aus DDR-Zeiten stammenden Datenverarbeitungszentrums, das volkstümlich Rechenzentrum genannt wird im Sockelbereich mit Mosaiken aus bunten Glassteinen zum Thema "Der Mensch bezwingt den Kosmos" des Künstlers Fritz Eisel geschmückt. Dem EDV-Zentrum wurden zusammen mit dem Abriss der Ruine der Garnisonkirche weitere Häuser in der Breiten Straße ohne Sinn und Verstand und gegen Bürgerproteste geopfert.

Kriegsgott Mars könnte um drei Ecken auf das Predigerwitwenhaus in der Breiten Straße 14 blicken, auf einen neunachsigen und dreigeschossigen Putzbau mit Satteldach. Gestiftet von der Kurfürstin Dorothea, der zweiten Gemahlin des Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm, wurde die Heimstatt der verwitweten Ehefrauen von Geistlichen und ihren Kindern erbaute Haus um 1674 auf den Grundmauern eines ehemaligen Forst- und Schulzenhauses errichtet. Das Stift besaß zwölf Wohnungen von Hinterbliebenen von meist reformierten Predigern und Schulbediensteten sowie einem Pfleger und wurde 1682 eröffnet, etwa zu der Zeit, als an der nicht weit entfernten Havel ein kurfürstliches Schloss erbaut wurde. Es wird angenommen, dass Johann Gregor Memhardt den Entwurf für das Gebäude zeichnete, das von Joachim Ernst Bläsendorf ausgeführt wurde. Einer der ersten geistlichen Inspektoren war von 1693 bis 1741 der Theologe und Mitbegründer der Königlich-Preußischen Akademie der Wissenschaften Daniel Ernst Jablonski.

Ein Badezimmer für 14 Bewohnerinnen

In dem Haus fanden "ehrbare arme Witwen" Asyl, und zwar solche, die mit Theologen verheiratet waren, und auch Hinterbliebene von Handwerkern und Soldaten. Allerdings wurde den Leitern der Anstalt aufgetragen, vor allem "auf Prediger- und Schulbediensteten-Witwen reflexion" zu machen. Vereinzelt verbrachten auch alte Ehepaare in dem Haus unter bescheidenen Bedingungen ihren Lebensabend. Viel ist an der Legende nicht dran, dass die Insassen das besinnliche und behütete Wohnen wie in einem Altersheim genossen. So mussten sich 14 Bewohnerinnen ein Badezimmer teilen und sieben eine gemeinsame Toilette. Erst 1979/80 wurde das Haus an die Fernwärme angeschlossen und kam nach und nach in den Genuss von Sanierungs- und Renovierungsarbeiten

Das Predigerwitwenhaus hat, formal gesehen, seit seiner Eröffnung 1682 nicht weniger als 337 Jahre auf dem Buckel. Doch ist der heutige Bau neben den palastartigen Hiller-Brandtschen Häuser mit ihrer auffälligen Palastfassade und reichem Figurenschmuck auf der Attika nicht der aus der Barockzeit, als Kurfürst Friedrich Wilhelm die Stadt Potsdam zu seiner zweiten Residenz ausbaute. Auf den alten Grundmauern wurde 1826/27 ein klassizistischer Neubau errichtet. Weithin sichtbar ist eine Büste des Großen Kurfürsten in der Mitte unter dem Dreiecksgiebel. Blattornamente schmücken das Giebelfeld sowie das Zepter, das der Kurfürst von Brandenburg als Erzkämmerer des römisch-deutschen Reiches führte. Das vor einer rot gefassten Halbrundnische Porträt stammt vermutlich aus der Werkstatt des niederländischen Bildhauers Bartholomeus Eggers.

Infolge von Schäden durch Feuchtigkeit befand sich das Haus 1813, im ersten Jahr der Befreiungskriege gegen das napoleonische Frankreich, in einem baufälligen Zustand. Die Königliche Regierung zu Potsdam schlug Friedrich Wilhelm III. im Januar 1824 den Abriss vor. Am 17. August 1826 erfolgte die Grundsteinlegung für den erweiterten Neubau mit 23 Witwenwohnungen. Das 1827 fertig gestellte Wohngebäude in klassizistischen Formen entstand nach den Plänen des Regierungs- und Baurats Carl Wilhelm Redtel. Das Predigerwitwenhaus wurde bis 2006 als Wohnstift genutzt und dann von der evangelischen Kirche an einen privaten Investor verkauft.

23. Mai 2019

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