Inkunabel moderner Baukunst
Der Große Refraktor und der Einsteinturm dominieren den Potsdamer Telegrafenberg



Die unter Denkmalschutz stehenden Bauten wurden mit öffentlichen und privaten Mitteln saniert und auf den neuesten Stand der Technik gebracht.



Das Gebäude mit der großen Kuppel birgt ein Präzisionsinstrument, das von Fachleuten und zu bestimmten Anlässen auch von interessierten Laien benutzt werden kan





Eine Inkunabel modernen Bauens ist der einhundert Jahre alte Einsteinturm. Er gehört zum Astrophysikalischen Institut Potsdam und wurde 1997 bis 1999 grundlegend saniert. Die Skizze aus der Planungszeit zeigt die futuristischen Konturen der von Erich Mendelsohn geplanten Hülle für wissenschaftliche Geräte. (Fotos/Repro: Caspar)

Potsdam besitzt nicht nur einen weltweiten Ruf als Stadt der königlich-preußischen Schlösser und Gärten, sondern auch als erstklassiger Wissenschaftsstandort mit einer Universität und zahlreichen wissenschaftlichen Instituten. Seit der Kaiserzeit, als sich das Deutsche Reich zu einer führenden Wirtschafts- und Wissenschaftsmacht entwickelte, wird am Rande der Residenz- und Garnisonstadt an der Havel, draußen auf dem Telegrafenberg, intensiv in den Himmel geschaut und astronomische und astrophysikalische Forschung betrieben.

Das unter Denkmalschutz stehende Observatorium und die anderen Bauwerke und wissenschaftlichen Geräte wurden in den vergangenen Jahren aufwändig restauriert. Die reich dekorierten Ziegelbauten aus dem späten 19. Jahrhundert strahlen wieder in altem Glanz. Die erste speziell für Astrophysik errichtete Sternwarte liegt im heutigen Wissenschaftspark Albert Einstein und gehört zum Leibniz-Institut für Astrophysik Potsdam. Ein Förderverein kümmert sich um den Erhalt des Großen Refrakors. Geld kam in den vergangenen Jahren von der in Bonn ansässigen Deutschen Stiftung Denkmalschutz, die die Treuhänderschaft über die Pietschker-Neese-Stiftung ausübt.

Die denkmalpflegerischen Maßnahmen auf dem Telegrafenberg begannen mit dem 1899 in Betrieb genommene Großen Refraktor im Astrophysikalischen Observatorium, wenige Schritte vom weltberühmten Einsteinturm entfernt. Dabei wurde das ausgeklügelt konstruierte Linsenteleskop zum Fotografieren, Messen und Beobachten von Himmelskörpern bis hin zu kleinsten Lichtstärken untersucht, gereinigt und wieder "gängig" gemacht. Der große Refraktorturm für das astrophysikalische Observatorium wurde von Baurat Johann August Friedrich Laske errichtet. In Anwesenheit von Kaiser Wilhelm II., der an Naturwissenschaft interessiert war, wurde das Hauptteleskop des Astrophysikalischen Observatoriums Potsdam in Betrieb genommen. Beim britischen Bombenangriff vom 14. April 1945 wurden das Gebäude und der Refraktor beschädigt, doch gelang bis 1953 die Reparatur durch die Firma Carl Zeiss in Jena. Himmelsbeobachtung fand bis 1968 am Refraktor durchgeführt, danach wurde der Betrieb eingestellt.

Bürgerliches Engagement für Kulturerbe

Der 1997 gegründete Förderverein Großer Refraktor Potsdam e. V. und viele Spender machten es möglich, dass das Teleskop zunächst 1999 und dann vollständig zwischen 2003 und 2006 denkmalgerecht restauriert wurde. Dank bürgerlichen Engagement für das kulturelle und bauliche Erbe wieder funktionstüchtig gemacht, konnte das tonnenschwere Instrument als bedeutender Zeuge feinmechanisch-optischer Präzisionsarbeit aus der Zeit um 1900 in Betrieb genommen werden. Die Möglichkeit, den Refraktors sowie den Telegrafenberg mit seinen der Schinkel-Tradition verpflichteten Bauwerken und den kostbaren, zum Teil weltweit einmaligen Geräten kennenzulernen, bieten alljährlich der Tag des offenen Denkmals sowie regelmäßige Führungen, bei denen Besucher auch die Arbeitsweise des unter Denkmalschutz stehenden Geräts kennenlernen.

Der Einsteinturm auf dem Telegrafenberg ist eine Inkunabel modernen Bauens nach dem Ersten Weltkrieg und die erste bedeutende Arbeit des Architekten Erich Mendelsohn. Von 1919 bis 1924 errichtet, bildet der Turm eine ungewöhnliche Hülle für ein Sonnenobservatorium. Um die von Albert Einstein in der Allgemeinen Relativitätstheorie vorher gesagte Rotverschiebung von Spektrallinien im Schwerefeld der Sonne nachweisen zu können, hatte der Astrophysiker Erwin Finlay Freundlich ein Turmteleskop konzipiert, für den Mendelsohn ein einzigartiges expressionistisches Wissenschaftsbauwerk schuf. Zwar konnte die Gravitationsrotverschiebung zunächst nicht gefunden werden, jedoch nahmen andere wichtige Forschungen über die Sonnen- und Plasmaphysik hier ihren Anfang. Es verknüpft auf einzigartige Weise Naturwissenschaft und Kunst, denn es war dem Architekten glänzend gelungen, die Anforderungen der Forschung mit seinen eigenen Vorstellungen von Formgebung in Einklang zu bringen.

Stahlbetonbau und Ziegelbauweise

Der Einsteinturm war als Stahlbetonbau konzipiert, der Architekt der Darstellung nie widersprochen, obwohl sie nur die halbe Wahrheit enthielt. Das Bauen mit Beton war damals noch nicht ausgereift, und die Qualität des Materials ließ zu wünschen übrig. Seine Schalung in ungewohnter Form war noch nicht ausreichend erprobt. Mendelsohn musste daher das Observatorium schließlich in Mischbauweise errichten lassen. Aus Beton sind der Kuppelkranz, die Außenwände der Anbauten sowie die Terrasse und Terrassentreppe. Der Turm und die Dächer über den Anbauten bestehen aus Ziegelmauerwerk. Der gewünschte Eindruck eines homogenen Betonbaues entstand erst, nachdem alles mit einer gleichmäßigen Schicht von feinkörnigem, hell ockerfarbenem Spritzputz überzogen war.

Die Errichtung der Nazidiktatur 1933 und insbesondere die rassistisch motivierte Ächtung Albert Einsteins und die Vertreibung seiner jüdischen Mitarbeiter führten zu einem Niedergang der Astronomie in Potsdam. Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs 1939 war die astronomische Forschung faktisch am Ende, und ihre Wiederbelebung nach 1945 erfolgte unter großen Schwierigkeiten. Der Einsteinturm war beim Bombenangriff auf Potsdam am 14. April 1945 schwer beschädigt worden, außerdem musste wertvolle Beobachtungsinstrumente als Reparationsleistung an die Sowjetunion abgegeben werden. Nachdem die Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin 1947 das Astrophysikalische Observatorium Potsdam sowie die Sternwarten in Babelsberg und Sonneberg übernommen hatten, konnte an alte Traditionen angeknüpft werden.

Das übrige Gelände auf dem Telegrafenberg wird zum größten Teil vom Geo-Forschungszentrum Potsdam und anderen Instituten der Klima-, Polar- und Meeresforschung genutzt. Der Wissenschaftspark Albert Einstein ist tagsüber für Besucher geöffnet, allerdings ist die Besichtigung des Einsteinturms im Rahmen von Führungen nur von Oktober bis März möglich, da das Observatorium in den Sommermonaten für aktuelle Forschungsaufgaben ständig benutzt wird (Foto links Geräte im Einsteinturm). n.

23. Mai 2019

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