Hier irrte Theodor Fontane
In Tangermünde erinnert ein Denkmal an Grete Minde, die nach dem Stadtbrand von 1616 Opfer rachsüchtiger Richter wurde



Dass die Geschichte mit Tangermünde wenig glimpflich umgegangen Ist, sieht man der Stadtansicht aus dem 17. Jahrhundert nicht an.



Kaiser Karl IV. steht, in Bronze gegossen, als Nachbildung der Statue von der Berliner Siegesallee im Garten der Burg zu Tangermünde. Daneben hält der Friedrich I., der erste brandenburgische Kurfürst aus dem Hause Hohenzollern, Wache.



Die Bauten im Burgbereich werden als Hotel genutzt, in der Nähe gibt es ein Stadtmuseum. Rechts erinnert die Tafel an einem der wiederhergestellten Backsteinbauten an Kaiser Wilhelm II., der sich vor über hundert Jahren viel um Tangermünde und seine Burg gekümmert hat.



Die Stadt Tangermünde wurde bereits 1136 als Mitglied der Hanse erwähnt, ihr durch Handel und Bierbrauerei erworbener Wohlstand spiegelt sich in prächtigen Bauten der Backsteingotik wieder (links Hünerdorfer Tortum und die Stephanskirche im Hintergrund).





Ansehnlich sind die Stadttore, die Kirchen und Klöster, aber auch die mittelalterliche Stadtbefestigung einschließlich der Stadttore sowie das Historische Rathaus (Foto oben), in dem das Stadtgeschichtliche Museum eingerichtet ist.





Die von Lutz Gaede gestaltete Bronzefigur von 2009 auf dem Marktplatz vor dem Rathaus zu Tangermünde zeigt die zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilte Grete Minde in gebückter Haltung und in Ketten gelegt. Theodor Fontane hat die Akten zu dem Fall entweder nicht gekannt oder schlicht ignoriert. (Fotos/Repro: Caspar)



Zwei Herrscher des Mittelalters - der römisch-deutsche Kaiser Karl IV. und der brandenburgische Kurfürst Friedrich I. - halten vor der Burg zu Tangermünde Wache. Ehemals in der brandenburgischen Altmark gelegen, gehört die frühere Residenz- und Hansestadt jetzt zu Sachsen-Anhalt. Die Figuren sind Bronzeabgüsse zweier Standbilder aus Marmor, die Kaiser Wilhelm II. im Jahr 1900 für die Siegesallee in Berlin zum Ruhm des brandenburgisch-preußischen Herrscherhauses fertigen ließ. Dass die Herrscherfiguren auf einer Grünanlage im Tangermünder Burgbezirk hoch über der Elbe stehen, hat gute Gründe. Kaiser Karl IV., den Ludwig Cauer im Jahr 1900 mit dem Brandenburgischen Landbuch in der Hand darstellt, ließ 1375 in einem Landbuch zahlreiche Städte und Ortschaften erfassen, deren heutige Jubiläen sich vielfach auf die Erwähnung in dieser erstklassigen Quelle märkischer Siedlungsgeschichte beziehen.

In der strategisch günstig gelegenen Stadt am westlichen der Elbe unterhielt der Kaiser zwischen 1373 und 1378 eine glanzvolle Residenz. Zwar hatte Karl IV. als König von Böhmen seinen Hauptsitz auf dem Hradschin in Prag, doch manchmal zog es ihn in den Norden, um dort durch seine Anwesenheit und eine prachtvolle Hofhaltung Macht zu demonstrieren. So schlug in Tangermünde für wenige Jahre das Herz des Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation.

Karl IV., der als Markgraf in der Mark Brandenburg anstelle seiner unmündigen Söhne regierte, ließ die Burg zu Tangermünde großzügig ausbauen und bequem einrichten. Theodor Fontane schwärmt in den "Wanderungen durch die Mark Brandenburg" vom Schloss und der Kapelle, "deren Edelsteinpracht ans Märchenhafte streifte". Hinter ihren Mauern wurden wichtige Regierungshandlungen vollzogen und Urkunden ausgestellt, doch fanden hier auch prunkvolle Feste und Turniere statt, von denen man sich überall im Reich bewundernd erzählte. Der fromme Kaiser tat einiges für sein Seelenheil, indem er Kirchen Stiftungen zukommen und sie prächtig ausstatten ließ. Als er 1378 starb, trauerte das ganze Land, vor allem aber die Altmark und die Prignitz, wie Fontane schreibt, "denen der Heimgegangene durch alles das, was er für Tangermünde getan hatte, vielfach eine Quelle des Wohlstandes geworden war".

Historisierende Neubauten aus der Kaiserzeit

Als Karl IV. 1378 starb, versanken Burg und Stadt für ein paar Jahrzehnte in einen Dornröschenschlaf. Nachfolgende Markgrafen hatten wenig Interesse an der ehemaligen kaiserlichen Residenz. Erst als Kaiser Sigismund den Burggrafen Friedrich VI. von Nürnberg 1412 mit der Markgrafschaft Brandenburg belehnte und ihn bald darauf zum Kurfürsten von Brandenburg erhob, blühte Tangermünde wieder auf. Daran erinnert das zweite Bronzedenkmal, ebenfalls eine Kopie eines Marmorstandbildes von der Berliner Siegesallee, das der Bildhauer Ludwig Manzel geschaffen hat. Kurfürst Friedrich I. wird in zeitgenössischer Hoftracht als selbstbewusster Herrscher gezeigt, der nun endlich geordnete Zustände in der von Wirren und Fehden gebeutelten Mark Brandenburg herstellte und zugleich Stammvater der bis 1918 regierenden Hohenzollerndynastie war. Sein Sohn und Nachfolger Friedrich II., genannt Eisenzahn, und weitere Kinder wurden in Tangermünde geboren.

Traditions- und geschichtsbewusst, wie die Hohenzollern waren, ließen sie im 19. Jahrhundert in der Stadt an der Elbe verschiedene im Laufe der Geschichte zerstörte oder nur noch als Ruinen stehende Gebäude sanieren und rekonstruieren. Die mittelalterliche Burg wurde in Anlehnung an eine Stadtansicht auf einem Merian-Stich von 1634 historisierend und ziemlich fantasievoll nach Plänen des Architekten Paul Möbius rekonstruiert. Der Abschluss der Bauarbeiten, an die im Burgbereich eine Tafel mit goldener Inschrift erinnert, für Kaiser Wilhelm II. ein willkommener Anlass, der Stadt den eingangs erwähnten Bronzeabguss des Marmorstandbildes Karls IV. von der Siegesallee zu schenken, das ihn als gütigen Landesherrn zeigt. Dass eine Hand das Brandenburgische Stadtbuch und die andere Hand die am Gürtel hängende Geldtasche fest hält, deutet an, dass der Kaiser, der zugleich Markgraf von Brandenburg war, für Ordnung und Sparsamkeit in diesem seinem Land sorgte, aber auch Geld scheffelte und mit vollen Händen wieder ausgab.

Tangermünde revanchierte sich für das Geschenk aus Berlin, indem sie die 1912 eine Bronzekopie des Standbildes des Kurfürsten Friedrich I. von der Siegesallee anlässlich der Fünfhundertjahrfeier der Belehnung der Hohenzollern mit der Mark Brandenburg und der Erhebung des bisherigen Burggrafen von Nürnberg zum Kurfürsten von Brandenburg aufstellen ließ. Ihre Blütezeit erlebte die Stadt im 15. Jahrhundert, kenntlich an ihrer reichen Bebauung im Stil der Backsteingotik. Als 1488 Bewohner von Tangermünde im Streit um eine Biersteuer rebellierten, entzog der brandenburgische Kurfürst Joachim I., genannt Nestor, den Tangermündern die Gunst und verlegte seine Residenz in die Doppelstadt Berlin-Cölln. Der Fall in die Bedeutungslosigkeit tat Tangermünde nicht gut.

Gequält und zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilt

Als am 13. September 1617 die Stadt fast vollständig abbrannte, schob man die Schuld an dieser Katastrophe zu Unrecht dem Waisekind Grete Minde in die Schuhe. Angeblich soll die Patriziertochter aus Rache für das ihr vorenthaltene Erbe den Brand gelegt haben. Eine Stadt anzuzünden war damals nicht schwer, denn fast alle Häuser bestanden aus Holz und hatten Strohdächer, eine Feuerwehr, wie wir sie kennen, gab es damals noch nicht. Alarm wurde durch Kirchenglocken, Tuten und lautes Rufen ausgelöst. Grete wurde Opfer einer ungerechten, voreingenommenen und von Hass gejagten Justiz. Gequält, geschunden und zum Tode verurteilt, endete sie 1619 auf dem Scheiterhaufen. In seiner Novelle "Grete Minde" hat Theodor Fontane das schaurige Ereignis literarisch verarbeitet.

Viele Menschen glaubten nach der Lektüre der Erzählung "Grete Minde" von Theodor Fontane, das verheerende Feuer am 13. September 1617 sei tatsächlich von Grete Minde gelegt worden. Inzwischen gilt als sicher, dass man die junge Frau zu Unrecht auf dem Scheiterhaufen verbrannt hatte. Margaretha Minde oder Minden war die Tochter einer katholischen Spanierin und des protestantischen Tangermünder Bürgers Peter von Minden. Als dieser unter Mordverdacht geriet, floh er aus seiner Heimatstadt und starb später im Exil. Seine Witwe soll daraufhin von ihrem Schwager, dem Ratsherrn Heinrich von Minden, für Grete den Erbteil ihres Vaters gefordert haben. Da aber Heinrich von Minden die Rechtmäßigkeit der Ehe seines Bruders anzweifelte, verweigerte er die Herausgabe der Erbschaft. Nach dem Stadtbrand am 13. September 1617 in Tangermünde blieb die Klärung der Ursache zunächst ergebnislos.

Erst zwei Jahre später fand man eine vermeintlich Schuldige, als der Räuber Tönnies Meilahn festgenommen wurde, der seit 1616 mit Grete verheiratet war. Er behauptete bei seiner Vernehmung, Grete habe die Stadt angezündet, weil sie sich um ihr Erbe betrogen fühlte. Unter Folter gestand die Angeschuldigte die Tat und wurde zum Tod verurteilt. Man schleppte sie am 22. März 1619 auf den Marktplatz von Tangermünde. Den Gerichtsakten im Stadtarchiv zufolge wurden ihr "fünff finger an der Rechten Hand einer nach dem andern mit glühenden Zangen abgezwacket, nachmalen ihr Leib mitt vier glühenden Zangen, nemlich in der Brust und Arm gegriffen, Folglich mitt eisernen Ketten uff einem erhabenen Pfahle angeschmiedet, lebendig geschmochet und allso vom leben zum tode verrichtet werden, von Rechts wegen." Ketten an Händen und Füßen

Bald nach der Veröffentlichung der Erzählung "Grete Minde" (1880) von Theodor Fontane entdeckte der Jurist und Heimatforscher Ludolf Parisius beim Studium der Prozessakten Anhaltspunkte dafür, dass Grete Minde unschuldig war. In seinem Buch "Bilder aus der Altmark" (1882/83) bezeichnete er das Gerichtsurteil als "Justizmord". Wahrscheinlich musste Grete Minde sterben, weil die aufgebrachte Bevölkerung von Tangermünde die Überführung eines Brandstifters beziehungsweise einer Brandstifterin verlangte. Möglicherweise arbeitete auch die Patrizierfamilie Minden auf eine Verurteilung hin, um sich auf diese Weise Gretes Erbschaftsansprüche zu entledigen. Am 22. März 2009, dem 390. Jahrestag der Hinrichtung von Grete Minde, wurde vor dem historischen Rathaus in Tangermünde eine Bronzeskulptur des Bildhauers Lutz Gaede enthüllt, die Grete Minde in gebeugter Haltung als Gefangene mit Ketten an Händen und Füßen darstellt.

Der Justizmord an Grete Minde wurde in den vergangenen Jahren verfilmt und literarisch verarbeitet. Heidi Genée schuf den Film "Grete Minde - Wald voller Wölfe" mit Katerina Jacob in der Titelrolle, in dem Grete Minde als Brandstifterin erscheint, obwohl die Tat schon längst in Zweifel gezogen war. Fontanes doch sehr fragwürdige Deutung bildete auch die Vorlage für die zur Tausendjahrfeier von Tangermünde im September 2009 auf dem Pfarrhof der St. Stephankirche uraufgeführte Oper "Grete Minde" von Sören Nils Eichberg (Musik) und Constanze John (Libretto). Hingegen orientierte sich Hannelore Reimann in ihrer Erzählung "Flammen über Tangermünde" von 1992 an den historischen Tatsachen.

Im Gegensatz zu Fontanes Deutung gilt heute die wahre Grete Minde als unschuldiges Opfer von Intrigen und einer unfähigen, eilfertigen und eifernden Justiz. Weitere Stadtbrände in den Jahren 1676 und 1678 sowie Zerstörungen und Plünderungen im Dreißigjährigen Krieg sorgten für den Niedergang der ehemals so stolzen Residenz- und Hansestadt. Als Preußen 1806/7 einen Krieg gegen Frankreich verloren hatte, wurden Tangermünde und weitere bedeutende Landesteile jenseits der Elbe dem neu gegründeten, von einem Bruder Napoleons I. regierte Königreich Westphalen zugeschlagen und kam nach den Befreiungskriegen von 1813 bis 1815 wieder nach Preußen.

8. Mai 2019

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