Medaillen mit Inschriften wie "Aus erobertem Geschütz" oder "Aus der Bronze der zerstörten Kronleuchter der zerstörten Kirche" fristen in manchen Sammlungen ein Mauerblümchendasein. Man schaut sie an und legt sie beiseite, dabei haben es diese Prägungen oder Gussstücke im wahrsten Sinne des Wortes in sich. Wer nach ihnen systematisch sucht, wird bald eine kleine, aber feine Kollektion zum Thema "Reliktmedaillen" zusammenstellen können.
Während der Befreiungskriege von 1813 bis 1815 hat der preußische König Friedrich Wilhelm III. nicht nur das von ihm gestiftete und von Karl Friedrich Schinkel gestaltete Eiserne Kreuz an tapfere Offiziere und Soldaten und verdienstvolle Zivilisten verliehen, sondern auch Medaillen aus der Bronze eroberter Kanonen. Man hätte auch anderes Material nehmen können, aber die Verwendung von Metall aus Feindesland hatte etwas Rührendes, und manch ein Träger wird sich noch nach Jahren mehr oder weniger angenehm an Kanonendonner und Pulverdampf erinnert haben. Auch Krieg von 1870/71 gegen Frankreich, aus dem das deutsche Kaiserreich hervorging,
Interessantes Sammel- und Forschungsgebiet
Der Oberbegriff für diese und weitere Ausgaben lautet Reliktmedaillen. Mit ihnen sind Erinnerungsprägungen gemeint, die aus der Bronze eingeschmolzener Kanonen und Glocken sowie aus Resten von kupfernen Kirchen-, Schloss- und anderen Dächern gefertigt wurden, die durch Brand und Beschießung zerstört wurden. Es gibt auch Medaillen mit dem Vermerk, dass sie aus dem Metall zerstörter Kirchenleuchter oder ehemaliger Orgelpfeifen bestehen. In dem Buch "Eberhard Auer: Numismetallogica - Ausgewählte Aufsätze aus Anlass seines 80. Geburtstages", herausgegeben von Patrick Breternitz und Heinz Reutersberg (Schriftenreihe der Kölner Münzfreunde e. V. Bd. 1 2021, 482 Seiten, zahlreiche Abbildungen, ISBN 978-3-9823399-0-0, Bezug: andreas.henseler@muenzfreunde.koeln) sind Beispiele für die aus Metallresten gefertigten Medaillen erwähnt. Sie bilden ein bei uns noch wenig bekanntes, in den USA und England aber recht populäres und interessantes Sammel- und Forschungsgebiet.
Unter den Relikt- oder auch Phoenix-Medaillen werden Objekte mit besonderem Erinnerungswert verstanden, weil das Metall aus zerschmolzenen Kirchendächern, ehemaligen Glocken oder auch Kanonenkugeln besteht, Manche Medaillen wurden gegen Spenden für den Wiederaufbau der betreffenden Gebäude verkauft. Erwähnt sei, dass Kaiser Wilhelm II. 1916 verfügte, dass die Buchstaben der seinerzeit sehr umstrittenen Inschrift DEM DEUTSCHEN VOLKE am Portal des Berliner Reichstagsgebäudes aus der Bronze eroberter französischer Kanonen bestehen. Man kann die Maßnahme auch als Affront gegen den damaligen Kriegsgegner Frankreich deuten.
Eisenketten zu Medaillen
Eberhard Auer erwähnt unter anderem Medaillen, die an den großen Stadtbrand in Hamburg 1842, den 1867 abgebrannten Dom zu Frankfurt am Main oder die aus erbeuteten französischen Kanonen gegossenen Medaillen mit der Ansicht einer für den Kölner Dom bestimmten Glocke gefertigt wurden. Das Geläut wurde noch 1918, im letzten Jahr des Ersten Weltkriegs, der deutschen Rüstungsindustrie geopfert. Aus ihren Resten hat man 1924 spezielle Reliktmedaillen geschaffen. Nach der Erstürmung der Pariser Bastille am 14. Juli 1789 hat der ortsansässige Bauunternehmer François Palloy damit begonnen, mithilfe angeheuerter Männer die verhasste Zwingburg einzureißen. Er tat das nicht nur aus Hass gegen die Königsherrschaft und Liebe zur Revolution, sondern weil sich die Relikte als Andenken an eine untergegangene Zeit im ganzen Land gut vermarkten ließen. Und so war es nur natürlich, dass er auch Medaillen aus dem Eisen von den Ketten der Zugbrücke der Bastille prägen ließ. Helmut Caspar
Siehe auch Beitrag vom 16. August 2021 auf dieser Seite über das Buch von Eberhard Auer
9. September 2021
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