








Wer vor einiger Zeit die Fernsehserie "Charité" über die Geschichte des berühmten Berliner Klinikums gesehen hat, wird sich an den Gerichtsmediziner Prof. Dr. Otto Prokop, verkörpert durch Philipp Hochmair, gut erinnern. Bis zum 30. September wird der "Mann mit der Fliege" in der Polizeihistorischen Sammlung am Platz der Luftbrücke in Berlin durch die Sonderausstellung "Sezierte Wahrheiten. Otto Prokop und sein Institut für Gerichtliche Medizin im geteilten Berlin" geehrt. Die von Montag bis Mittwoch jeweils von 9 bis 15 Uhr geöffnete Dokumentation knüpft an die die Zeit vor und nach dem Mauerbau von 1961 umfassende Staffel der Charité-Serie der ARD an und zeichnet ein breit angelegtes Persönlichkeitsprofil des angesehenen Forensikers, Blutgruppenforschers, Serologen, begnadeten Redners und Buchautors sowie Kämpfers gegen Okkultismus und Paramedizin.
Als Forscher, Gutachter und Wissenschaftsorganisator war Otto Prokop ein international angesehener Gelehrter, aber auch ein Wanderer zwischen den Welten, der dank seines österreichischen Passes hin und her fahren konnte. Nach dem Ende der DDR hat man ihm vorgehalten, dem SED-Regime zu Diensten gewesen zu sein, das ihm hohe Auszeichnungen verlieh und gute Arbeitsbedingungen ermöglichte. Er pflegte darauf zu antworten, dass er stets der Wahrheit verpflichtet war und sich nicht vor den Karren irgendeiner Ideologie spannen ließ. Wie auch in der TV-Serie deutlich wird, stellte sich der Professor vor seine Leute, wehrte politische Einflussversuche ab und beschaffte medizinisches Material auch dann, wenn es in der DDR Mangelware war.
Das Gesicht der Charité
Die vom Institut für Rechtsmedizin, dem Institut für Geschichte der Medizin und Ethik in der Medizin und dem Berliner Medizinhistorischen Museum der Charité gestaltete Dokumentation schildert auf zahlreichen Bild-Text-Tafeln den Lebensweg und das Schaffen des Mediziners, der von 1921 bis 2009 lebte und wie kein zweiter das Gesicht der Charité in der Zeit der DDR prägte. Er hatte 1957 einen Ruf an das renommierte Universitätsklinikum in Ost-Berlin und damit auf den ältesten Lehrstuhl seines Faches in Deutschland angenommen und verteidigte es gegen Einmischungsversuche sturköpfiger Funktionäre, die versuchten, die Charité auf "Linie" zu bringen. "Als Mitglied der Medizinischen Fakultät der Berliner Humboldt-Universität verschaffte er der Berliner Gerichtsmedizin deutschlandweit und international wieder Anerkennung", heißt es auf einer dieser Tafeln. Der engagierte Serologe und Blutgruppenforscher entwickelte treffsichere forensische Nachweismethoden, die nicht nur polizeilichen Ermittlungen bei unklaren Todesumständen auf eine naturwissenschaftliche Grundlage stellten, sondern auch bei allgemeinen Rechtsfragen etwa zur Klärung von Vaterschaften neue Möglichkeiten eröffneten.
Unter Prokops Leitung fanden fast 34000 forensische Sektionen statt. Wann immer eine Todesursache unklar war und/oder ein Mord aufgeklärt werden musste - Otto Prokop wurde um Hilfe gebeten und konnte helfen. Er blieb der Charité auch nach seinem offiziellen Ruhestand 1987 weiterhin eng verbunden und kam fast täglich in die in der Hannoverschen Straße ansässige Gerichtsmedizin. Prokop war eine Kapazität auf seinem Gebiet, auf sein Urteil wurde großer Wert gelegt. Er selbst aber sah sich auch kritisch, keineswegs als "Halbgott in Weiß", wie man Mediziner manchmal sarkastisch bezeichnet. Und so bleibt nach dem Besuch der Sonderausstellung sicherlich auch dieses 1969 im SPIEGEL abgedruckte Bekenntnis in Erinnerung: "Man muss auch einmal den Mut haben, bei Gericht zu sagen: Ich kann das nicht klären. Ich habe erlebt, dass mir vorgehalten wurde, Sie sind doch Professor für Gerichtliche Medizin, Sie müssen das doch wissen! Ich habe gesagt: Nein, ich weiß das nicht." Ob Prokop bei diesem Ausspruch auch den Allmachtsanspruch und die Rechthaberei der Staatspartei SED im Blick hatte, könnten vielleicht Fachleute sagen, die seine politische Einstellung besser als der Autor dieses Beitrags kennen.
Vergangenheit trifft Gegenwart
Bevor man das Museum betritt, wird man im Foyer des Polizeipräsidiums mit einem dunklen Kapitel Berliner Polizeigeschichte konfrontiert und erfährt dann im Museum weitere erschreckende Einzelheiten. Es geht um "Jüdisches Leben und Polizei - Vergangenheit trifft Gegenwart". Mit der Sonderschau beteiligt sich die Berliner Polizei am Jubiläumsjahr "1700 Jahre Jüdisches Leben in Deutschland" mit dem Ziel, ein sichtbares Zeichen gegen Antisemitismus und Demokratiefeindlichkeit zu setzen. Polizeipräsidentin Barbara Slowik erklärte bei der Eröffnung: "Wir sehen uns einem wieder aufkeimenden Antisemitismus in der Gesellschaft gegenüber. Es braucht deutliche und stete Zeichen von uns allen, von jeder und jedem, ein Bekenntnis zur Vielfalt und die Verurteilung von Antisemitismus. Auch wir als Polizei Berlin sind gefragt und leisten unseren Beitrag, seien es durch Projekttage, gemeinsame Gedenkveranstaltungen, die sehr entscheidende Einsetzung eines Antisemitismusbeauftragten bei der Polizei Berlin oder nun ein eigenes Projekt anlässlich des 1700. Jubiläums jüdischen Lebens in Deutschland. Wir wollen dadurch erneut und unmissverständlich deutlich machen, dass wir für Demokratie sowie Gleichwertigkeit der Menschen stehen und dem Antisemitismus, wie auch allen anderen Formen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit, konsequent entgegentreten. Jüdisches Leben muss ein selbstverständlicher Teil von Berlin und auch der Polizei Berlin sein."
Die Soderausstellung würdigt unter anderem den Polizeioffizier Wilhelm Krützfeld, der beim Novemberpogrom 1938 mit viel Zivilcourage und Überredungskunst verhinderte, dass die in seinem Abschnitt an der Oranienburger Straße stehende Neue Synagoge niedergebrannt wird. Krützfeld und einige Vertraute warnten untergetauchte Juden vor Razzien und Verhaftungen und half damit, bedrohtes Leben zu retten. Dass heutzutage Antisemitismus unter Berliner Polizisten nicht unbekannt ist und geahndet wird, macht die Dokumentation an anderer Stelle ebenfalls deutlich.
Respekt und Vorsicht, Vertrauen und Misstrauen
Das Museum wenige Schritte vom Foyer entfernt belegt an erschreckenden Exponaten, Fotos und Dokumenten, wie sehr die Berliner Polizei während der NS-Zeit in Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen beteiligt war, wie die so genannten Einsatzgruppen massenweise Juden und andere "Fremdvölkische" ermordeten und wie die meisten ihrer Angehörigem dem Regime bis zum grausigen Ende die Treue hielten. Gezeigt wird auch, wie Polizisten per Anweisung und Schulungen mit NS-Ideologie infiltriert wurden und wie das Regime eifrig das Bild von der Polizei als "Freund und Helfer" malte und wie diese Sichtweise nach 1945 auf beiden Seiten der deutsch-deutschen Grenze weiter gepflegt wurde. Dass vieles in dieser Hinsicht schief lief und die Bevölkerung früher und leider auch heute allen Grund hat, den Ordnungshütern zwar mit Respekt, Vorsicht und Vertrauen, aber auch mit Misstrauen zu begegnen, muss man sich beim Anblick der vielen Exponate hinzu denken. Wir tun das im Wissen, dass es immer wieder zu polizeilichen Übergriffen kam und kommt und Bestrafungen und Entlassungen von Ordnungshütern nötig sind.
Polizisten wurden in der Kaiserzeit verpflichtet, sich ordentlich zu kleiden und als Repräsentanten des Staates stets eine stramme Haltung an den Tag zu legen. Außer spektakulären Kriminalfällen wie Bankeinbrüche oder Serienmorde, aber auch die Fahndung nach dem "Hauptmann von Köpenick" im Jahr 1906 schildert die Polizeihistorische Sammlung die Ausbildung und den Arbeitsalltag Berliner Polizisten sowie Reglements für ihr Auftreten in der Öffentlichkeit. Für solche Anweisungen gab es offenbar gute Gründe. Denn die uniformierten oder in Zivil auftretenden Ordnungshüter waren unbeliebt, und es hagelte Beschwerden über flegelhaftes Auftreten sowie über ihre Uniformen, die unbedingt der Reinigung bedurften. Die Polizeiführung regelte genau, wie sich Kriminalpolizisten in Zivil bei der Observierung von Rechtsbrechern kleiden sollen.
Mordwerkzeuge und Verbrecheralben
Um Dieben, Betrügern, Falschspielern, Kinderschändern, Prostituierten und anderen Personen auf die Schliche zu kommen, sollten sich diem Beamten als Droschkenkutscher, Gepäckträger, Bademeister, Kellner oder Hotelpförtner, aber auch als "Damen", Stiefelputzer oder Autochauffeure tarnen. "Sie haben sich bei der Verkleidung, um sich nicht zu verraten, darauf zu achten, dass sie gegebenenfalls auch ihre Schuhe wechseln, und dass diese zur Kleidung passen; denn geriebene Verbrecher pflegen, wenn sie merken, dass sie beobachtet werden, und wenn sie vermuten, dass der Betreffende verkleidet sei, zunächst auf die Schuhe der betreffenden Person zu sehen."
Interesse verdient auch die Tatsache, dass sich Mord, Totschlag und andere Verbrechen in bestimmten "dunklen" Gegenden in Berlin öfter ereigneten als in anderen. Eine besonders berüchtigte Ecke, die von ängstlichen Naturen besser gemieden werden sollten, war die Umgebung des Schlesischen Bahnhofs, heute Ostbahnhof. Viele auch in der Ausstellung dokumentierte Verbrechen ereigneten sich hier, und manche Mordwerkzeuge in den Vitrinen mögen dort auf blutige Weise zum Einsatz gekommen sein. Nach Festnahmen wurden nach einem bestimmten Muster Polizeifotos angefertigt. Die Ausstellung zeigt, wie das geschah und gewährt auch Einblicke in so genannte Verbrecheralben. Überdies ist zu sehen, wie sich Verbrecher und Betrüger technisch hochrüsteten, um besser und schneller als die Polizei zu sein.
10. September 2021
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