Vom ABV über Kumpeltod zur ZPKK -
Vergessene und untergegangene Beispiele aus dem DDR-Wortschatz



Der Wortschatz der Demonstranten am 1. Mai 1953 ist zum großen Teil bereits verloren gegangen. (Repro: Caspar)

Wir leben in einer Zeit, die schnell vergisst. Was nicht andauernd in den Medien erscheint, ist immer weniger gegenwärtig, und manches wird, weil es an mehr oder weniger angenehme Zeiten erinnert, auch verdrängt, taucht vielleicht noch in Kabarettvorstellungen und nostalgisch gefärbten Filmen über die DDR auf. Wissen Sie noch, was ein ABV, eine BGL, HGL und LPG war? Es ist keine zwanzig Jahre her, da waren die Abkürzungen für den Abschnittsbevollmächtigten, die Betriebsgewerkschaftsleitung und die Hausgemeinschaftsleitung oder die Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft in aller Munde. Man nahm Broiler oder Suppe aus Tempolinsen zu sich, las Frösi, Atze, Für Dich oder das ND, das Zentralorgan der SED, fuhr zum Einkaufen nach Berlin, die Hauptstadt der DDR, nahm an der Schule der sozialistischen Arbeit teil und führte als Teil des Arbeitskollektivs ein Brigadetagebuch. Man konnte etwas mit dem RGW, dem Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe, anfangen, wusste, wann der Tag der Befreiung ist, schaute Sudelede zu, also dem geifernden Moderator des Schwarzen Kanals Karl Eduard von Schnitzler, und war froh, wenn man mal ein Päckchen aus dem NSW, dem nichtsozialistischen Wirtschaftsgebiet, sprich Westdeutschland, mit echtem Kaffee darin erhielt. Dann gab es noch die BPO, die Betriebsparteiorganisation, und wenn es politisch mal ganz schlimm kam, wurde man vor die KPKK oder ZPKK, also die Kreis- beziehungsweise Zentrale Parteikontrollkommission geladen und hatte einen Rauswurf aus der SED zu erwarten, die sich als Avantgarde des gesellschaftlichen Fortschritts verstand.

Liste mit vielen Lücken
Viele dieser Wörter sind vergessen, untergegangen, aus dem allgemeinen Sprachgebrauch verschwunden. Linguisten haben sich ihrer angenommen und sammeln sie. In dem von Johannes Thiele herausgegebenen „Rotbuch Deutsch - Die Liste der gefährdeten Wörter Schwarzbuch Deutsch – Die Liste der untergegangenen Wörter“ (Marix Verlag Wiesbaden 2006, 158 Seiten, 6 Euro, ISBN 10: 3.86539-111-7) sind sie und weitere gefährdete Wörter von ABC-Schütze und Adamskostüm, Aasen und Aftermieter bis Zeter und Mordio und Zonenrandgebiet aufgelistet. In dem zweigeteilten Buch findet man auch einen Abschnitt über Wörter, die in der DDR gebräuchlich waren. Die Überschrift „Die DDR-Liste der gefährdeten und untergegangenen Wörter“ suggeriert, dass es sich bei der Aufzählung um „die“ und nicht etwa um „eine“ Liste dieser Art handelt. Denn schaut man die Tabelle genauer an, so wird man schnell feststellen, dass sie unvollständig und zum Teil auch fehlerhaft ist. Alu-Chip beispielsweise hat kein DDR-Bewohner zu seinen leichtgewichtigen Münzen gesagt. Dieser im Westen erfundene Begriff wurde erst nach der „Wende“ populär. Statt „Asche“ zur Nationalen Volksarmee (NVA) zu sagen, hieß es „ich gehe zur Fahne“, und wie das diffamierende Wort „Beutegermane“ für Vertriebene und Umsiedler in den DDR-Wortschatz gekommen sein soll, müsste der Herausgeber begründen. Kurzum, die Liste ist unbefriedigend. Daher seien hier ein paar Ergänzungen aufgeführt.

Die DDR verstand sich als Antifaschistisch-demokratische Grundordnung und nannte ihre 1961 errichtete Mauer offiziell Antifaschistischen Schutzwall. Wer einen Ausreiseantrag in den Westen stellte, konnte darauf warten, dass er seinen Arbeitsplatz verlor und gemaßregelt wurde. Wer gar Republikflucht versuchte und dabei geschnappt wurde, kam in die Fänge der Stasi, der politischen Geheimpolizei. Sie bediente sich zahlloser IM, also Inoffizieller Mitarbeiter zur Ausschnüffelung von Meinungen und staatsfeindlicher Betätigung. Wer von den politischen Häftlingen Glück hatte, wurde von der BRD, der Bundesrepublik Deutschland, freigekauft. Damit hat die DDR Devisen oder Valuta in Millionenhöhe erwirtschaftet, was nun wieder die KoKo, die Kommerzielle Koordinierung des Staatssekretärs Alexander Schalck-Golodkowski, in den Stand versetzten, besonders begehrte Industrie- und Konsumgüter unter anderem für die Bewohner von Wandlitz, also des Prominentengettos nördlich von Berlin, zu beschaffen.

Gewählt wurde nach der Einheitsliste, in der auch die Blockparteien vertreten waren. Wer nicht wählen gegen konnte oder wollte, wurde von Wahlhelfern mit der fliegenden Wahlurne heimgesucht. 99,5 Prozent Zustimmung oder so ähnlich für die Kandidaten der Nationalen Front wurde schon vorab im PB, dem Politbüro im Zentralkomitee (ZK) der SED, beschlossen. Der offensichtliche Betrug bei den Kommunalwahlen im Mai 1989 war übrigens einer der Nägel am Sarg der DDR! Der langatmige Titel Generalsekretär des ZK der SED und Vorsitzender des Staatsrats musste grundsätzlich ausgeschrieben und in den Fernseh- und Rundfunknachrichten ausgesprochen werden. Dazu kam noch die Bezeichnung Vorsitzender des Nationalen Verteidigungsrats der DDR.

Hausbuch, Kampfgruppen, Chemiebezirk
Diese und andere Begriffe sind aus dem Wortschatz der DDR gefallen. Ebenso kennt man den durch seine schrecklichen Abgase und verseuchten Gewässer berüchtigten Chemiebezirk Halle kaum noch. Und dann gab es noch das Hausbuch, in das man seine Besuche, vor allem solche aus dem Westen, eintragen musste, ferner Intershop und Genex-Läden, wo man seltene Waren für Westgeld erhielt, so man welches hatte, des weiteren die Kampfgruppen als paramilitärische Truppe der SED und das Jugendaufgebot, mit dem die in blauen FDJ-Hemden steckende junge Generation für hohe Leistungen in der Wirtschaft und beim Studium animiert wurde. Stets im Dezember gab es Gerangel um die Jahresendprämie, um die sich Kollektive der sozialistischen Arbeit eigentlich keine Sorge machen mussten, zumal wenn ein fester Klassenstandpunkt sie auszeichnete, wenn sie am sozialistischen Wettbewerb teilnahmen, um die Planziele zu erfüllen und überzuerfüllen, die Wandzeitungen immer hübsch gestalteten, an der täglichen Zeitungsschau teilnahmen und die Zehn Gebote der sozialistischen Moral respektierten.

Spitzbarts Menschengemeinschaft
Wer sich am Jägerschnitzel, also einem gebratenen Stück Jagdwurst, satt gegessen hatte, nahm, bei den Frauen gern auch im Schmucke einer bunten Kittelschürze, einen Schluck Kumpeltod zu sich oder etwas vom Blauen Würger, womit zwei besonders üble Schnapssorten volkstümlich umschrieben wurden. Nach dem Sturz des Mauerbauers Walter Ulbricht, genannt Spitzbart, fiel der von ihm propagierte Begriff Sozialistische Menschengemeinschaft, der ein wenig an die NS-Volksgemeinschaft erinnerte, weg. Jetzt verkündete Erich Honecker die Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik. Im Mittelpunkt dieses Sozialprogramms standen die Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen und die Lösung der Wohnungsfrage mit Hilfe von Trabantenstädten im Plattenbaustil. Dass auch im Westen solche Plattenbausiedlungen errichtet wurden und sich zu sozialen Brennpunkten entwickelten, wird heute gern übersehen, den „Platte“ wird grundsätzlich mit DDR in Verbindung gebracht. Angesagt waren in der Honecker-Ära jetzt die Parolen „Meine Hand für mein Produkt“ und „Arbeite mit, plane mit, regiere mit“, und wer etwas erfunden hat, konnte sich auf der MMM, der Messe der Meister von Morgen, präsentieren.

Obwohl das Warenangebot dürftig war, leistete sich das DDR-Fernsehen eine Zeitlang die Werbesendung TTT. Bei diesen Tausend Teletipps konnte man zuschauen, wie mollig warm Wolldecken sein können, wie gut Florena-Creme für die Haut ist und was man alles aus Rotkohl machen kann, als ob man das nicht auch so wüsste.

Manche Leute haben auch heute mit dem Wort Wende ein Problem. Der von Egon Krenz nach der Entmachtung von Honecker am 18. Oktober 1989 in den politischen Sprachgebrauch eingeführte Begriff meinte allerdings kein radikales Umschwenken, sondern nur kosmetische Verbesserungen und die Beibehaltung der führenden Rolle der Partei der Arbeiterklasse, also der SED. Da manche bisher Hundertfünfzigprozentige damals die Zeichen der Zeit schnell erkannten und sich ins andere Lager begaben, rief man ihnen das Schimpfwort Wendehals hinterher.

Deutsche an einen Tisch
Manches ließe sich unserer Wortbetrachtung noch anfügen, etwa die Bewegung „Kumpel greif zur Feder“, also die in den 1960er Jahren von der SED geförderte Bewegung, um schriftstellerische Talente in der Arbeiterklasse zu finden und zu fördern, die Normannenstraße als Inbegriff des Stasikomplexes in Berlin-Lichtenberg oder die Politische Einheit Westberlin als Bezeichnung für eine Stadthälfte, die die DDR nur zu gern ihrem Territorium einverleibt hätte. Übrigens hat man sich bereits in der frühen DDR recht von Schlagwörtern wie „Deutsche an einen Tisch“ oder „Deutschland einig Vaterland“ (nach einer Zeile in der DDR-Hymne) verabschiedet, als nämlich die Zweistaatentheorie en vogue wurde und der zweite deutsche Staat seinen eigenen Weg beschritt. Erst in den turbulenten Tagen und Wochen des so genannten Wendeherbstes 1989 wurden die Begriffe wieder aus der Versenkung geholt.

Helmut Caspar

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