Nach den Enthüllungen über die Verstrickung von deutschen Diplomaten in die
Verbrechen des Nationalsozialismus, veröffentlicht in dem Buch "Das Amt und
die Vergangenheit. Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der
Bundesrepublik Deutschland" (München: Blessing-Verlag 2010), sind weitere
Publikationen dieser Art zu erwarten. Kurz vor der Bundestagswahl 2009 hat
der damalige frühere Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) eine aus
sieben Historikern bestehende Kommission eingesetzt, um die Beteiligung des
Ministeriums an der Aufrüstung, der Kriegsfinanzierung sowie der Verfolgung
und Ausplünderung von Juden und anderen Menschen zwischen 1933 und 1945
klären zu lassen. In einem Ende 2010 vorgestellten Zwischenbericht wird
festgestellt, dass die oberste Finanzverwaltung des Reiches keineswegs eine
unpolitische Fachbehörde ohne ideologische Ausrichtung war, wie es seine
Mitarbeiter nach dem Ende der Hitlerherrschaft gern glauben machen wollten,
sondern eine ihrer wichtigsten Säulen. Die am Berliner Wilhelmplatz in einem
vornehmen Palais aus der Kaiserzeit untergebrachte Behörde lieferte den
Schmierstoff, der das Regime bis zum bitteren Ende am Laufen hielt und einem
Teil der Deutschen dank der massiven Ausbeutung der besetzten Länder und
ihrer Bewohner so etwas wie ein normales Leben ermöglichte. Mit den
Untersuchungen wird der Blick auf den Kern der NS-Diktatur gelenkt, denn das
rücksichtslose Eintreiben von Steuern und Schulden, aber auch die
Heranziehung von Spareinlagen, die Erhebung von Sondersteuern bei den so
genannten Gemeinschaftsfremden, mit denen die jüdische Bevölkerung gemeint
war, und weitere Maßnahmen hätte sie sich nicht so entfalten können, wie sie
es tat.
Die bis zum Ende der NS-Herrschaft von Reichsfinanzminister Ludwig (Lutz)
Graf Schwerin von Krosigk (1887-1977) geleitete Behörde begann sehr bald
nach Hitlers "Machtergreifung", mit Hilfe der Finanzämter politisch
unliebsame Personen sowie Emigranten zu enteignen und ihnen systematisch die
Lebensgrundlage zu entziehen. Die Maßnahmen wurden in einem speziellen
Judenreferat des Reichsfinanzministeriums koordiniert und überwacht.
Ähnliche Dienststellen gab es auch im Auswärtigen Amt und in anderen
Reichsbehörden sowie im Terrorapparat der SS und Gestapo, die allesamt an
der Berliner Wilhelmstraße angesiedelt waren, woran heute die "Topographie
des Terrors" erinnert. Die Forscher haben die Mechanismen untersucht, wie
sich der NS-Staat die Mittel für seine Kriegspolitik beschaffte, wie die von
der Wehrmacht besetzten Länder ausgebeutet wurden und welche Vermögenswerte
den in die Vernichtungslager deportierten Menschen geraubt wurden. Zu
erwarten sind neue Einsichten über die Art und Weise, wie die
Nationalsozialisten durch Umverteilungsprozesse die so genannte
Volksgemeinschaft gefestigt haben.
Inwiefern in der zu erwartenden Publikation die Münzpolitik eine Rolle
spielen wird und ob sie auch auf die Gestaltung von Kurs- und Gedenkmünzen
sowie von Geldscheinen eingeht, wird sich zeigen. In einem solchen Kapitel
müssten Erkenntnisse über Planungen für neues Hartgeld in Kolonien stehen,
die das Deutsche Reich erobert wollte, und es sollte dann auch die Frage
erörtert werden, warum um 1942 eine Münze mit Hitler-Kopf durch
Reichsfinanzminister Schwerin von Krosigk zwar in Auftrag gegeben wurde,
aber nicht zu ihrer Massenprägung kam. 1949 im so genannten
Wilhelmstraßen-Prozess, benannt nach der von Reichsministerien gesäumten
Wilhelmstraße in Berlin, wegen der Plünderung des Eigentums deportierter
Juden durch die Finanzämter und anderer Verbrechen zu zehn Jahren Haft
verurteilt, wurde der Mitunterzeichner des nationalsozialistischen
Ermächtigungsgesetzes vom 24. März 1933 und Träger des Goldenen
Parteiabzeichens bereits 1951 entlassen und trat danach nur noch als Autor
von Memoiren, eines Buches über "Staatsbankrott. Die Geschichte der
Finanzpolitik des Deutschen Reiches von 1920 bis 1945" und anderer
Publikationen in Erscheinung. Des Ministers Staatssekretär Fritz Reinhardt
(1895-1969), der unter anderem für die Kriegsfinanzierung und die Verwaltung
der Vermögenswerte zuständig war, die die SS den in den Vernichtungslagern
ermordeten Juden und anderen Menschen geraubt hatten, gelang nach dem Krieg,
sich entnazifizieren zu lassen, wie andere Personen aus seinem Amt und
weiteren Behörden auch. Es ist davon auszugehen, dass manchen in der jungen
Bundesrepublik wegen seines "Fachwissens" ein Neustart gelang, vergleichbar
mit jenen Schreibtischtäter im Auswärtigen Amt, die sich das Mäntelchen der
Unschuld umhängten und nach dem Motto "`Mein Kampf´ verbrannt, Hitler nicht
gekannt" als Ministerialbeamte und Botschafter weitermachten und, als sie
die Altersgrenze erreichten, ehrenvoll verabschiedet wurden. Erst als sich
Proteste gegen diese Praxis und auch im Todesfall gegen Nachrufe mehrten,
setzte der damalige Bundesaußenminister Joschka Fischer (Bündnis 90/Die
Grünen) gegen erhebliche Widerstände im eigenen Haus jene
Historikerkommission ein, die unlängst die eingangs erwähnte Dokumentation
vorlegten. Fischers Nachfolger Guido Westerwelle (FDP) hat das Buch
inzwischen zur Pflichtlektüre im Auswärtigen Amt erklärt. Ob ein künftiger
Finanzminister das gleiche für die Dokumentation über die Verbrechen
deutscher Finanzbeamte in der NS-Zeit anordnet, wird sich hoffentlich bald
zeigen.
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